Sonntag, 1. Januar 2017

Hartmudo Spezial: Mutter

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Am Sonntag radelte ich dann mit meiner Löwin in die Klinik Salzdahlumer. Kopfschmerzen hatte ich trotz des Suffs am Vortag mit Detzer und Nelling keine, so dass sich die Fahrt trotz des schwülen Wetters bei stechender Sonne gut bewältigen ließ. Es war wohl auch diese sonnige Wetterlage, die da bereits seit einigen Tagen vorherrschend war., die für Mutters Zusammenbruch verantwortlich zeichnete.
Seit bald zwei Tagen lag Mutter jetzt schon auf dieser Station, zusammen mit zwei anderen älteren Damen. Aber im Vergleich zum Dienstag, an dem ich sie zuletzt gesehen hatte, war sie nicht wiederzuerkennen. Sie sah schon erheblich besser aus. Sie hing ja auch am Tropf und bekam Flüssigkeit eingeträufelt. Sie konnte sogar schon wieder meckern. Über das schlechte Essen hatte sie viel zu erzählen, dazu hätte man sie stundenlang in der Notaufnahme unbehandelt liegen lassen, nachdem sie gestürzt war und dann lange in ihrem eigenen Blut gelegen hätte.
Als ich den Pfleger darauf ansprach, wurde er sofort elektrisch. Er zeigte mir irgendwelche Protokolle, durch die ich eh nicht durchstieg, und versicherte mir hoch und heilig, dass dies nicht so gewesen sein könne und Mutter dies verwechseln müsse. Ich halte es ebenfalls für wahrscheinlicher, dass Mutter noch in ihrer Wohnung hingefallen ist, so schwächlich, wie sie wohl war.
Gebetsmühlenartig versuchte ich ihr beizubiegen, dass sie nicht wegen eines Fehlverhaltens ihres Hausarztes dort eingeliefert werden musste. Dieses fantasierte sie sich zusammen, weil sie eben der Wahrheit schon immer entsagt hatte. Sie war schlichtweg dehydriert und hatte noch dazu kaum etwas gegessen, falls überhaupt. Dazu dann waren im Krankenhaus die Kartoffeln zu hart, das Fleisch war auch nicht richtig und und und. Ich bin ja schon mäkelig, aber Mutter toppt alles.
Meine Löwin und ich versuchten ihr eine Kurzzeitpflege nahe zu bringen. Ein betreutes Wohnen konnte sich Mutter zu diesem Zeitpunkt schon vorstellen, in ein Altersheim wollte sie aber partout nicht. Der soziale Dienst des Krankenhauses sollte sich um die Beantragung einer Pflegestufe kümmern. Derweil versprach ich Mutter, sie am Dienstag wieder zu besuchen.
Und so machte ich das dann auch. Am Dienstag stieg ich wie gewohnt aus dem Zug, ging aber zuerst zu Rossmann, um für Mutter eine Kiste Raffaello mitzubringen. Macht man ja, wenn man jemanden im Krankenhaus besucht. Auch heute stach die Sonne wieder mächtig, als ich dann mit dem Fahrrad in die Klinik Salzdahlumer fuhr.
Mutter sah noch ein Stückchen besser als letztes Mal aus. Die Infusionen mit Flüssigkeit zeigten offensichtlich die erhoffte Wirkung. Das hinderte Mutter natürlich nicht am Meckern. Sie würde die falschen Medikamente bekommen, meinte sie. So zum Beispiel eine blaue statt einer gelben Tablette. Ich formuliere das hier so überspitzt, um zu verdeutlichen, dass Mutter den Unterschied zwischen Wirkstoff einer Medikation und dem Hersteller eines Medikaments nicht wirklich klar ist. Egal ob rund oder eckig, auf den Wirkstoff und die Dosierung kommt es an. Das will sie aber partout nicht verstehen.
Zwischendurch musste ich noch das Zimmer verlassen, weil eine ihrer Zimmergenossinnen den WC Stuhl neben dem Bett benutzen wollte. Das formschöne Teil, in einem dekorativen Dunkelblau gehalten, stand quasi genau vor Mutters Nase. Warum es Mutter im Krankenhaus nicht gefiel, wusste ich jetzt immer noch nicht….
Anschließend die übliche Litanei über das Essen und meine „bösen“ Schwestern. Oder die Nachbarin, die die Treppenwoche nicht machen wollte. Immer, wenn ich versuchte, sie für die Zeit nach dem Krankenhaus zu sensibilisieren, faselte sie von der Nachbarin, dem schlechten Krankenhausessen oder beklagte die Medikation. Sie fühlte sich im Stich gelassen, war aber nicht bereit, sich der Zukunft zu stellen. Oder war sie schon am Anfang der Demenz?
Letzteres würde ich erst einmal verneinen, da sie schon immer wild herumfantasierte, wenn es eng wurde. Das ist für mich nichts Neues.
Jedenfalls fuhr ich hinterher unverrichteter Dinge nach Hause. Der Sozialdienst war immer noch nicht da gewesen. Und bereits zum Wochenende sollte sie wohl entlassen werden, da sie nicht mehr akut gefährdet war und durch die Infusionen etwas aufgepäppelt worden war.
Am Freitag, dem 29.7., schaute ich noch einmal vorbei. Diesmal hatte ich Jaffa Cake dabei. Als ich endlich das Zimmer betrat, schlief Mutter gerade. Ich wollte sie nicht wecken und versuchte mein Glück im Schwesternzimmer.
Und Hurra, der Arzt war da. Ein Dr. Vogel sollte der behandelnde Arzt sein, so hatten es mir meine Schwestern schon im Vorfeld gesagt. Und jetzt hatte ich die Gelegenheit, mich mit ihm persönlich zu unterhalten. Er sagte mir, dass er schon dabei sei, Mutter auf eine Kurzzeitpflege einzustimmen. Für ihn war das Ganze die übliche Routine mit den Geronten, dasselbe gilt sicherlich auch für den Umgang mit den Angehörigen wie mir. Jedenfalls war ich jetzt frohen Mutes, das wir Mutter von der Notwendigkeit einer Kurzzeitpflege überzeugen könnten. Dr. Vogel stimmte mit mir auch darin überein, dass sie sich dort hoffentlich so wohl fühlen möge, dass ein anschließender dauerhafter Heimaufenthalt gesichert wäre.
Uns allen, bis auf Mutter natürlich, war schon längst klar, dass dies der einzig mögliche Weg sein dürfte. In ihre Wohnung im 3. Stock kommt sie schließlich nicht mehr alleine hoch, sie würde ihre Wohnung nie mehr verlassen können. Würde Mutter sich aber dieser Wahrheit auch stellen können, oder würde sie weiter zicken wie ein kleines Mädchen?
Ich war erstaunt, dass sie an diesem Tag einsichtig war. Ihre Gespräche mit Dr. Vogel hatten wohl doch geholfen. Ich bekam ein gutes Gefühl, das es jetzt angehen könnte. Es fehlte nur noch das Engagement des sozialen Dienstes und schon könnte es losgehen. Mutter sperrte sich nicht mehr gegen die Kurzzeitpflege, war allerdings beim Thema einer dauerhaften Unterbringung nicht wirklich begeisterungsfähig.
Wenigstens schien es ihrer Bettnachbarin besser zu gehen. Während meines vielleicht halbstündigen Aufenthaltes im Zimmer benutze sie den WC Stuhl gleich zweimal. Beim zweiten Mal, da war ich eigentlich schon im Aufbruch, kam Mutter ebenfalls mit nach draußen. Sie benutzte den Rollator, den ihr Sunny freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. Eine Leihgabe von Grace.
Apropos Grace: Kaum war ich hinterher zu Hause, ging es auch gleich weiter nach Dettum zum Hoffest von Frankie und Grace. Unser Kegelverein war ja eingeladen; leider kamen nur noch Berta und Bud mit. Es gab dort wieder Eierlikör satt und gezapftes Bier. Wir hatten dort einen sehr schönen Abend. Meine Schwestern und ich schafften es sogar, nicht über Mutter zu reden. Gut benuschelt (ich, nicht sie) fuhr uns meine Löwin hinterher heim.

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