13
Aber all dies wurde noch vom Grote Markt übertroffen. Spontan fühlte ich mich bemüßigt, ein Video über diesen Platz wie aus einer anderen Welt zu drehen. Einfach um es für mich festzuhalten. Dieser geschichtsträchtige Platz hatte mir die Sprache verschlagen. Der goldverzierte Stuck an den Häusern, überhaupt die aufwendigen Stuckarbeiten um den ganzen Platz. Unten auf einer Seite Cafes - hochpreisig. Sonst nur Menschen (Touristen wie wir) unterwegs.
Klasse. Ursprünglich war dies ein morastiger Grund gewesen, der deshalb nicht bebaut und erst im 11. und 12. Jahrhundert trockengelegt werden konnte. Rasch entwickelte sich der Platz - auch aufgrund seiner Nähe zum Händlerviertel - zum Marktplatz. Vom wachsenden Wohlstand der Brüsseler Kaufleute blieb der Grote Platz nicht verschont.
Hier fanden auch politische Versammlungen, Feste und Gerichtsprozesse statt. 1523 wurden hier z.B. die ersten Protestanten verbrannt, 1695 hingegen wurde der Platz dank des Beschusses der französischen Artillerie fast vollständig zerstört. Nach dem notwendigen Wiederaufbau erhielt sich die neu geschaffene barocke Einheitsfassadenfront bis heute. Jetzt gibt es wochentags wohl noch einen Blumen- und Sonntags den Vogelmarkt.
Von einem Marktbetrieb war für uns nichts zu erkennen, aber das tut der Schönheit des Marktes kein Abbruch. Eine Steigerung konnte es an diesem Tag nicht mehr geben; hinzu kam unser Verlangen nach Abendessen, da mussten wir uns erst einmal orientieren.
Doch so schön die Innenstadt auch ist: Die verwinkelten wie engen Gässchen ließen wenig Raum für große Geschäfte oder eine "normale" Gastronomie. Tatsächlich fanden wir in einer wenig schmuckvollen Seitenstraße eine Reihe von Restaurants, deren Kellner ihre potenziellen Gäste gleich auf der Straße ansprachen und in ihren Laden zogen.
Wie auf der Reeperbahn, kam uns beiden unisono in den Sinn. Normalerweise wären wir einfach weiter gegangen, hätten diese Bauernfängerei vermieden. Doch wir hatten Hunger und ein Imbiss war weit und breit nicht in Sicht gewesen. Daher lernten wir das "Nuits Str. Georges" kennen, seines Zeichens wohl ein italienisches Restaurant.
Meine Löwin bestellte Nudeln, ich griff zur Pizza Tonno mit Knoblauch, dazu ein belgisches Bier. Der Preis unseres Essens war für die Stadt des europäischen Parlaments sicherlich in Ordnung gewesen, die Qualität war annehmbar, ein kulinarisches Feuerwerk durften wir hier sicherlich nicht erwarten. Aber wir waren satt, das war die Hauptsache.
Anschließend machten wir uns auf den Rückweg zum Bahnhof, bestiegen den Zug und winkten dem Bahnhof von Ruisbroek bei unserer Durchfahrt nach Halle zu. Dort umsteigen und zurück nach Ruisbroek. So gegen 20.30 Uhr stiegen wir dort aus und gingen durch die Unterführung unter den Gleisen; zielgerichtet immer zu unserem Hotel zurück.
Zur Unterführung: Dieser schmale Gang mit den schnuckeligen orangen Abwasserrohren unter der Decke, knapp über zwei Meter hoch und vielleicht drei Meter breit, wirkte trotz der unangenehm grellen Neonbeleuchtung düster und bedrohlich. Die hübsch bemalten Wandkacheln machten diesbezüglich den Kohl auch nicht mehr fett.
Nur noch ein kurzer Fußmarsch an der Bushaltestelle vorbei… Mit der Buslinie 50 hätten wir also auch fahren können - ohne Umweg über Halle… Toll; egal jetzt. Im Ibis Budget angekommen, gingen wir sofort auf unsere Kemenate und packten die Karten aus. An dem dafür eigentlich ungeeigneten Seitentisch spielten wir noch ein oder zwei Partien Take 5, bis es an der Zeit war, in die Heia zu gehen.
Meine Löwin schlief gleich ein, ich gönnte mir noch eine Folge "Kobra übernehmen sie" und las dafür nichts mehr. Am nächsten Tag hatten wir Kulturprogramm im Atomium; in der Enge des Bettes konnte ich dennoch gut einschlafen.
Montag, 22. April.
Leicht gerädert wachte ich auf, die Enge des Bettes hatte sich letzte Nacht in vielen Wachphasen erkenntlich zeigen können. Und als ob das nicht schon genug gewesen wäre, mussten wir am Bahnhof von Ruisbroek feststellen, dass der von mir herausgesuchte Zug nach Brüssel doch eher Richtung Halle fuhr.
Missmutig hingen wir also am Morgen dieses Tages am Bahnhof ab. Lediglich die Schleuse des Kanals hinter dem Bahnhof, die gerade von einem Lastenkahn durchfahren wurde, brachte ein wenig Abwechslung in das ruhige Geschehen. Ruhig war es tatsächlich in der Gegend; Weder der Verkehrslärm noch Vögel oder sich bewegende Menschen ließen vermuten, dass wir uns in der unmittelbaren Nähe der "europäischen Hauptstadt" befanden.
Man kann das Ganze einfach nur als verschnarcht bezeichnen. Nun hatten wir noch einen weiten Weg vor uns, die Zugfahrt betrug zwar nur ne knappe halbe Stunde bis zum Bahnhof Brüssel Süd, aber dort mussten wir noch in die U Bahn umsteigen, um bis zum Atomium gelangen zu können. Die Fahrten im bequemen Zug sowie der U Bahn waren zwar relaxed, weil wir keine Probleme hatten, einen Sitzplatz zu ergattern, aber teuer.
Einen Verkehrsverbund wie bei uns kennen die Belgier selbstverständlich nicht, so dass ich für die 2 Karten der U Bahnfahrt allein 13,80 € berappen durfte. Nervig war zudem, dass ich beim Verlassen der U Bahnstation am Atomium diesen Fahrschein zum "Ausloggen" vor einem Scanner halten musste, ehe ich die Schranke passieren konnte.
Da fühlte ich mich doch glatt an Sanifair erinnert. Was da fehlte, war die Gutschrift für den Kiosk nebendran. Dazu herrschte an der Station ein großes Gewusel, in dem ich nebenbei noch den Fahrschein aus meiner Brieftasche, welche sich in der äußeren Jackentasche befand, herausholen musste.
Denn ich hatte mir an diesem Morgen geschickter Weise überlegt gehabt, auf meine niedliche abschließbare Herrentasche zu verzichten. Die hätte ich mir dann umhängen können, meinte aber, dass sie mich einengen würde. So wanderte meine Brieftasche mit Pass, Führerschein und allen Karten in die nicht abschließbare Außentasche meiner Regenjacke, welche praktischerweise keine Innentaschen aufweist.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen