Samstag, 23. April 2022

Warum spielt denn der Poldi nicht?

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Do. 16. Juni
Jogi Löw nahm noch einmal zu seinem verschwitzten T Shirt vom Sonntag Stellung. Er werde beim nächsten Spiel ein dunkles Shirt statt einem hellgrauen tragen, da würde man die Schweißflecken nicht so sehen. Jogi, da nehme Dich beim Wort heute Abend. Um 21.00 Uhr gegen Polen, so dachte ich und hoffte, das die Hools nicht allzu viel Wirbel machen.
Für mich hieß es heute langer Donnerstag. Das bedeutet, dass ich erst kurz nach 19.00 Uhr mitten in der zweiten Halbzeit des Spiels Nord Irland gegen Ukraine nach Hause kommen konnte. Wales gegen England um 15.00 Uhr verpasste ich somit komplett.
Es war einer dieser Donnerstage, an dem sich das Publikum bei mir die Türklinke in die Hand gab. Die Hälfte meiner Kolleginnen hatte Urlaub, so dass wir den Andrang nicht so schnell wie gewohnt bewältigen konnten. Die Kollegen, die sich um die zahlreichen Flüchtlinge kümmern, kamen bis zum Feierabend gar nicht mehr zur Toilette. Wobei, eingedenk an Herrn Löw.,.. ist dies sinnbildlich zu verstehen. Ich bin sicher, dass die Kollegen es rechtzeitig geschafft haben, wenn es nötig war.
Gegen 15.00 Uhr war ich mit einem Neufall beschäftigt und erklärte der Kundin ausführlich, welche Unterlagen ich von ihr noch benötige und wie es dann weitergeht. Den Spielbeginn hatte ich im Kopf abgespeichert. Das erste Match dieser Europameisterschaft, welches ich komplett verpasse. Neugierig war ich aber schon, und so schaffte ich es immerhin, den Live Ticker vom Kicker nach einer halben Stunde und in der Halbzeit zu checken.
England gegen Wales. 0:1 zur Pause und ein offenbar langweiliges Spiel, in dem die Waliser hinten drin stehen und die Engländer sich vorne festbeißen. Gareth Bale mal wieder - kurz vor der Pause hatte er einen Freistoß ins englische Tor geknallt. Da waren die Waliser Fans bestimmt aus dem Häuschen. Die einzige Chance, ansonsten hielten sie hinten alles dicht. Für den großen Außenseiter war das egal.
Da habe ich wohl nicht allzu viel verpasst, dachte ich erleichtert bei mir. Nun ist es ja so, das Fußball überwiegend von der Spannung lebt. Bei den vielen knappen Ergebnissen bisher, sowie den häufig späten Toren, dann noch in der Nachspielzeit, kann man sicherlich von einer spannenden Veranstaltung sprechen. Entweder Wales mauert das nach Hause oder die Engländer geben noch mal Gas. Ich befürchtete Letzteres, denn da ist viel Potenzial in der Truppe.
Und das zeigten sie dann wohl auch nach der Halbzeit. Trainer Roy Hodgson musste zwangsläufig mehr riskieren, da bei einer Niederlage das Ausscheiden dieses Mitfavoriten bereits in der Vorrunde droht. Mit Vardy vom Sensationsmeister aus Leicester sowie Sturridge brachte er zu Beginn der zweiten Halbzeit zwei frische Stürmer. Bald darauf markierte Vardy den Ausgleich. Und obwohl die Engländer Wales nicht wirklich einschnüren konnten, dauerte es – mal wieder – bis zur 92. Minute, bis Sturridge den 2:1 Siegtreffer erzielte. Die Waliser wähnten sich garantiert schon im Achtelfinale, jetzt müssen sie wieder zittern. Und die Engländer hatten das Erfolgserlebnis, das sie im Turnier noch weit puschen kann.
Zu meinem Feierabend, also 18.00 Uhr, war die deutsche Gruppe an der Reihe. Ukraine gegen Nordirland ist nun nicht gerade eine Paarung, für die man nachts wach bleiben würde. Deshalb vermisste ich sie auch nicht, als ich im Schnellbus gen Braunschweig fuhr und die ganze Zeit mit den Kolleginnen vom Jobcenter quatschte; so wie jeden Donnerstag halt. Erst auf dem Bahnhof in Braunschweig, beim Warten auf den Bus nach Lehndorf, schaute ich in den Kicker Live Ticker (ich liebe diese Wortkombination!). 0:0 und ein niveauarmes Spiel.
Offenbar waren selbst die Nordiren torgefährlicher als die enttäuschenden Dribbelkönige aus der Ukraine, denn kurz nach der Halbzeit klingelte es im Gehäuse der Ukraine. Großer Jubel bei der „Green White Army“, wie sich die bierseligen Fans Nordirlands selbst gern bezeichnen. Ich bekam das dadurch mit, das ich nach Hause kam und meine Löwin begrüßte. Sie schaute das Spiel gerade auf ihrem Fernseher. Oh, 1:0 für Nordirland. Ich wunderte und freute mich, ging aber erst einmal schnell auf die Toilette. Ich könnte auch dringend sagen. Meine Löwin erzählte irgendetwas von einem Hagelschauer und einer Spielunterbrechung.
Die letzte Viertelstunde schauten wir zusammen. Der Schiedsrichter hatte nach einer Stunde das Spiel wegen Unwetters kurz unterbrechen müssen. Hat man ja auch nicht so häufig. Mein Eindruck vom Spielgeschehen war geprägt von vollkommen schwachen Ukrainern und den Ball blind nach vorne bolzenden Nordiren. Witzig wurde es knapp 10 Minuten vor Ende, als die Briten auswechseln wollten und der Mann mit der 13 nicht vom Feld wollte, sondern einfach abwinkte und wieder aufs Spielfeld lief. Daraufhin bewegte sich der 14er Richtung Spielfeldrand, wurde aber von seinem Trainer mit wild rudernden Armbewegungen zurückgeschickt. Die Nordiren verzichteten daraufhin auf die Auswechselung und der Schiedsrichter zeigte dem 14er die gelbe Karte.
2:0 für Nordirland dann noch in der Nachspielzeit. Sie hatten es tatsächlich geschafft, den historischen Sieg bei ihrer ersten Endrundenteilnahme an einer Europameisterschaft. Riesenjubel unter ihren Fans und auch wir verdrückten ein paar Tränen vor Rührung. Der 13er wurde übrigens 5 Minuten vor Ultimo doch noch ausgewechselt.
Phil hatte sich nachmittags gemeldet und konnte erst gegen 8.00 Uhr vorbeikommen. Meine Löwin hatte das Grillen aber schon professionell vorbereitet und war startklar. Ich liebe diese Frau für ihren Enthusiasmus und die Power, die sie immer wieder antreibt. Häufig bin ich damit etwas überfordert, weil es für mich dadurch anstrengend wird oder ich ein schlechtes Gewissen habe, weil ich sie nicht ausreichend unterstütze. Noch häufiger aber schafft sie es, mich aus meiner Lethargie zu reißen.
So auch diesmal, als sie mich – zu Recht – ermahnen musste, die Grillutensilien ins Wohnzimmer bzw. zum Grill zu tragen. Sie hatte Fußschmerzen und ich war mal wieder zu verkopft oder von irgendetwas abgelenkt, anstatt ihr zu helfen, wo sie sich doch schon seit Stunden abgerackert hatte. Da Phil sich verspätete, legten wir schon mal Würste und Kängurusteak auf den Grill.
Phil kam rechtzeitig, als die ersten Würste fertig waren. Vom Känguru waren sowohl er als auch meine Löwin begeistert, ich bin da eher so ein Wurstboy und hatte das Fleisch noch nicht einmal probiert. Der von meiner Löwin gemachte Nudelsalat war okay, auch nicht so mein Ding. Den habe ich mir in 55 Lebensjahren weg gezüchtet, den Appetit auf Nudelsalat.
Meine Löwin hatte für diesen Salat extra schwarz rot gelbe Schmetterlingsnudeln gekocht. Doch statt der Deutschland Nudeln hatte sie Dortmund Nudeln hinterher, weil die rote Farbe platt herausgekocht wurde. Eine Schweinerei sondergleichen, was für einen Mist die manchmal so verkaufen. Hätten wohl die Nudeln als Knabbergebäck verzehren sollen oder was?
Im Studio erklärte Holger Stanislawski die bislang aufgetretenen Schwächen der deutschen Mannschaft an der Videowand. Da konnte Olli Kahn nur erstaunt glotzen. Gut erklärt und trotzdem unterhaltsam. Weißbier Waldi hätte da nur dämlich rumgefaselt. Und der unsägliche Udo Lattek am Taktiktisch könnte sich davon noch ein paar Scheiben abschneiden, wenn er noch leben würde.
Phil sah das genauso und schlorkte ein alkfreies Warsteiner, ein Werbepräsent des Edeka Marktes vom letzten Samstag. Ich hatte schon das zweite Wolters am Hals und die Wurst im Mund. Nebenbei fing das Spiel an und plätscherte so vor sich hin. Es entwickelte sich ein interessantes…
…Gespräch, nicht Spiel. Denn das Spiel war derart grottenschlecht, das wir einfach kaum hinschauen wollten. Und Phil hatte einiges zu erzählen. Das war allemal interessanter. Er möchte sich bei Porsche bewerben , weil er für sich so merkt, dass er bei Conti verheizt wird. Sein Chef schustert ihn die ganze Arbeit zu und meckert trotzdem herum, weshalb die beiden aneinandergeraten sind. Phil lässt sich bei der Arbeit die Butter nicht vom Brot nehmen, dafür bewundere ich ihn. Da ist er konsequent.
Er möchte endlich mehr im technischen Bereich arbeiten statt im Einkauf. Das Geld ist ihm weniger wichtig und das ist auch gut so. Wegen der vielen Dienstreisen und Arbeiten nach Feierabend und am Wochenende, was auch mit seinem begleitenden Studium zusammenhängt, kommt sein Privatleben zu kurz. U.a. haben auch Frauen keinen Bock drauf, wenn ihr Typ permanent unterwegs ist und keine Zeit für sie hat.
Da verstehen Frauen keinen Spaß. Da nützt es auch nichts, wenn Mann sich vernünftig anzieht und nicht so lodderig rumläuft. Kleidung, da war doch noch was. Der Bundes-Jogi! Er hatte wirklich kein helles T Shirt an, sondern ein schwarzes Polo Shirt. Weißes T darunter. Derart leger gekleidet sah er natürlich wieder gut aus, machte das Spiel aber nicht besser.
So plätscherte das Spiel im Hintergrund vor sich hin. Es war ein übles Gegurke. Milik hatte für Polen zweimal die gute Gelegenheit, den entscheidenden Treffer zu erzielen. Aber beide Male scheiterte er kläglich. Trotz Mario Gomez, der später noch eingewechselt wurde, bekam unser Team nichts auf die Reihe. Sicher standen die Polen tief. Trotzdem muss ein Weltmeister und Titelkandidat mehr bringen. Das kommt aber sicher noch ab dem Achtelfinale.
So jedoch kam es zum ersten 0:0 dieser Europameisterschaft. Wir hatten einen schönen Abend, aber kein schönes Spiel. Phil fuhr zurück nach Hause und meine Löwin und ich räumten noch schnell das Gröbste weg, ehe wir uns ablegten.

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