Montag, 8. November 2021

H. Lecter: Alf

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Das Vorglühen war in diesen Jahren natürlich Ehrensache gewesen, daher fingen wir bereits kurz vor oder nach 14 Uhr an. Wir reden hier natürlich über Bier, obwohl es draußen schon sehr frisch gewesen war. Winterjacke und Mütze gehörten selbstverständlich zu unserem Repertoire, aber im Bus lief ja die Heizung.
Wir saßen hinten, gönnten uns das eine oder andere Döschen und scherzten wie üblich über unsere Arbeit, nicht über unsere Kunden. Ich denke schon, dass Frank-Walter sowie Max und Buck mit dabei gesessen hatten.
Auf alle Fälle war Detzer für die schweren Geschütze zuständig, eine Flasche Jelinek hatte er ja irgendwie immer bei solchen Gelegenheiten dabei gehabt. Dies war für Alf natürlich genau das Richtige, so dass er nach der ersten Dose Bier akkurat auf Jelinek umstieg.
Während der Fahrt konnten wir die gute Stimmung hervorragend halten, was im Hinblick auf Alf sicherlich ratsam war. Nachdem wir dank einer vergnüglichen Fahrt endlich in Hildesheim angekommen waren, verteilte sich die Blase relativ schnell über den gesamten Weihnachtsmarkt.
Der Weihnachtsmarkt in Hildesheim war und ist von der Größe her mit Braunschweig vergleichbar, wenn nicht gar noch größer. Es gab damals sogar schon ein richtiges Riesenrad, welches den gesamten Weihnachtsmarkt überstrahlte. Unsere Clique jedenfalls bewegte sich abseits der Amtsführung von Glühweinstand zu Glühweinstand.
Zwischendurch hatten wir auch feste Nahrung zu uns genommen, da reden wir zwar nur über Bratwürste, aber zum Ausfetten der Magenwände reichte das vollkommen. Es gab mal wieder nur einen, der keinen Hunger hatte.
Hier haben wir wieder mal das große Manko von Alf: Wenn er soff, dann aß er nichts. Nada. Nun wissen erfahrene Trinker eigentlich, dass dies der größte Fehler ist. Eine gute Unterfütterung schützt schließlich vor ungewollten Ausfällen, von der Magenschleimhaut mal ganz abgesehen. Gerade bei Schnaps, aber noch mehr bei diesem elend sauren und süßen Glühwein, ist das Sodbrennen gleich um die Ecke, sofern man nicht gegensteuert.
Alf hielt sich dennoch überraschend gut, als wir beide, irgendwann isoliert von den anderen, vor dem Riesenrad standen. Dank des Anblickes dieser klassischen Rummelplatzattraktion erwachte wieder das Kind in Alf, so dass ich für uns beide eine Karte für eine Runde auf dem Rad kaufte.
Wir bestiegen eine Gondel, waren in dieser jedoch nicht die einzigen Passagiere. Das Ding war offen und bestand eigentlich nur aus zwei gegenüberliegenden Doppelsitzen. Alf und ich quetschten uns nebeneinander auf einen schmalen Doppelsitz, der vieleicht 12 Jahre alte Junge gegenüber saß für sich allein.
Getränke waren in der Gondel selbstverständlich verboten, aber wir zwei waren auch so schon ganz gut weit vorne. Dies äußerte sich dadurch, dass Alf plötzlich anfing zu singen. Sein "Holla Di Holla Di Ho" erschallte über den gesamten Weihnachtsmarkt, zumal wir jetzt bereits ein gutes Viertel der Runde hinter uns hatten und somit gute 10 m über dem Erdboden schwebten.
Es ging immer höher hinauf und Alf fasste den Entschluss, jetzt aufstehen zu müssen und noch lauter zu singen. Dazu wippte er im Takt, was die Gondel in Bewegung versetzte. Ehe Alf heraus fiel, stand ich ebenfalls auf, um ihn festzuhalten, was die Gondel leider noch mehr in Bewegung versetzte. Gegenüber der Junge war bereits ganz weiß im Gesicht.
Es schien, dass er bereits mit seinem Leben abgeschlossen hatte angesichts dieser beiden restlos besoffenen Idioten, die in dieser Gondel wie wild herum wackelten. Die Kollegas erzählten mir später, dass Alfs Singen und mein hysterisches Gekreische über den gesamten Weihnachtsmarkt zu hören gewesen sei.
Wenigstens gelang es mir, Alf zu beruhigen und zum Hinsetzen zu bewegen. Der Junge dagegen, mit dem wir zu Beginn der Fahrt noch geredet hatten, war auf einmal sehr still geworden. Er redete kein Wort mehr. Er schien auch nicht gesund gewesen zu sein, so kalkweiß, wie sein Gesicht aussah.
Als die Gondel endlich hielt und wir aussteigen mussten, war er auch sehr schnell verschwunden. Irgendwie schien das Riesenrad nicht so sein Sport gewesen zu sein. Diese Aktion ereignete sich bereits am Ende des uns zeitlich gesetzten Rahmens, in dem wir uns auf dem Weihnachtsmarkt vergnügen durften.
Der Rest der Belegschaft befand sich daher bereits bei den Bussen und wartete eigentlich nur noch auf Alf und mich, als wir endlich angetrottet kamen. Mr. Ed, seinerzeit unser Amtsleiter, nahm Alf augenblicklich zur Seite. Ich hatte nicht mitbekommen, was er Alf zu sagen hatte. Etwas Erfreuliches wird es nicht gewesen sein, aber von Alf war auf der Rückfahrt nichts zu vernehmen. Im Nachhinein wundert es mich, dass Mr. Ed sich mich nicht auch noch vorgeknöpft hatte.

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