Donnerstag, 8. Januar 2015

H Lecter: Angie 1/x

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Es war letztes Jahr, als Viktor mich anrief. Er holt seinen Raketentreibstoff immer noch von Angie, die mit ihrem Freund wohl immer noch in der Schuntersiedlung wohnt. Er hatte ihr erzählt, dass er mich wiedergetroffen hatte – dank Jürgen und Edith hatte ich ihn tatsächlich ein paar Mal gesehen. Durch Zufall traf ich ihn auch mal bei Kaufland auf dem Parkplatz und hatte die Gelegenheit, mich kurz mit ihm zu unterhalten.
Egal, er meinte nur am Telefon, dass Angie gern mal wieder etwas von mir hören würde. Wir hatten uns schließlich 15 Jahre lang aus den Augen verloren. Das ich mittlerweile verheiratet bin, hatte sie laut Viktor auch gefreut. Gesagt, getan. Viktor gab mir die Nummer und ich rief bei Angie an.
Sie war hoch erfreut, nach all den Jahren wieder etwas von mir zu hören. Meiner Löwin hatte ich vorher schon Bescheid gesagt, ich wollte sie mitnehmen, wenn ich mich mit Angie treffe. Am nächsten Wochenende sollte es dann samstags stattfinden. Vorher sollte ich aber nochmal zur Sicherheit anrufen.
Als ich dann anrief, hatte ich ihren Freund dran, der den Hörer auch an die total schläfrig wirkende Angie weiterreichte. Dieses Wochenende würde es ihr nicht passen, weil sie nach der Arbeit ziemlich müde sei (ach was!). Ich hinterließ ihr meine Nummer und bat sie, mich anzurufen, wenn es passt.
Auf ihren Rückruf warte ich heute noch. Aber das war mir auch klar, weil Angie schon immer unzuverlässig war. Das wir uns jetzt doch nicht getroffen haben, finde ich schade, weil gerade Angie mich stark beeinflusst hat – positiv wie negativ – und ich meiner Löwin gern die Möglichkeit gegeben hätte, einige meiner „Nücken“ dank eines Kontaktes mit Angie besser verstehen zu können. Das war dann also nach 15 Jahren nochmal ein typischer Lapsus von Angie.
Ich weiß noch, wie das Ganze startete. Es muß so 1984 oder 1985 gewesen sein, als ich Angie kennenlernte. Ich weiß nicht mehr, ob ich seinerzeit noch in der Ausbildung oder schon beim Bund war. Auf alle Fälle war es Pocke, der sie anschleppte.
Irgendeines Abends sprach Pocke zu mir: „Hartmudo, ich habe da so ne scharfe Blonde kennengelernt. Die ist zwar schon 31, sieht aber viel jünger aus.“ Ich erwähne dies, weil für Pocke schien dies seinerzeit ein wesentliches Kriterium zu sein. Wir zwei Hübschen hatten Mitte der 80er Jahre bekanntlich die Power WG in der Nußbergstr. Und hingen auch sonst oft zusammen ab.
So lernte ich Angie dann auch kennen, als Pocke und ich auf einen unserer Törns im Jolly einliefen. „Da hinten ist sie!“ schrie mir Pocke am Rande der Tanzfläche ins Ohr und deutete Richtung hintere Theke unten. Wer das Jolly noch kennt: Am Ende der langgezogenen Tanzfläche des Jolly Joker war rechts eine ca. 4 – 5 Meter hohe Sitztribüne und links die Flaschbiertheke. Mittig befand sich die Bühne, auf der die Bands bei den Gigs in ca. 3 Meter Höhe auftraten. Gleichzeitig lief darüber die Treppe ins obere Stockwerk, auf dieser Empore konnte man komplett um den Laden herumlaufen. Doch zuerst kam man oben nach diesen Treppen an einer Theke an – Hinten Oben halt.
Hinten unten war demnach unter bzw. noch hinter der Bühne und natürlich der Platz, wo sich alle trafen. Alle meint natürlich die wirklich wichtigen Leute wie Pocke oder meine Wenigkeit, Urmel, Kroll, UMD und und und. Jenny arbeitete übrigens auch eine Zeitlang an dieser Theke, so dass wir uns allein schon aus diesem Grund fast ausschließlich dort aufhielten.
Ich fragte mich, ob die von Pocke in höchsten Tönen angepriesene Angie die Attraktivität von Jenny – seinerzeit die wohl hübscheste Bedienung im Laden – ausstechen könnte.
Aus ca. 15 Meter Entfernung, so im Halbdunkeln, sah Angie wirklich rattenscharf aus in ihrer blauen Jeansjacke zu den blauen Jeans und den schwarzen Halbschuhen. Die Klamotten weiß ich noch bis heute, denn Angie trug eigentlich immer, also in all den Jahren, in denen wir uns trafen, diese Art von Klamotten.
Pocke und ich traten näher; Unsere Biere waren eh alle. Wir brauchten Nachschub. Das war der Moment, an dem ich Angie das erste Mal bei Licht sah. Und das Licht schmeichelte ihr nicht, das war der Gedanke, der mir seinerzeit in den Kopf schoß. Bitte bedenkt, dass Pocke und ich zu der Zeit selber noch nicht mal Mitte 20 waren und eine 31jährige ist da eigentlich schon ne alte Frau. Aus heutiger Sicht würde ich das vielleicht nicht mehr so krass sehen, aber damals kam mir unwillkürlich der Begriff „verlebt“ in den Sinn.
Nicht, das es mich wirklich tangiert hatte. Ein sexuelles Interesse hatte ich eh nicht, da Pocke sie ja kennengelernt hatte und mir der Ehrenkodex diesbezüglich Zurückhaltung auferlegte. Ich fand sie auch nicht wirklich häßlich, als ich Angie das erste Mal sah. Sie war eben nur zu „alt“ in meinen (damaligen) Augen.
Das hört sich jetzt alles gemein oder auch nur krude an, aber ich weiss es jetzt nicht mehr besser zu beschreiben. Einen wesentlichen Vorteil hatte diese Sichtweise jedenfalls in den kommenden Jahren: Ich lernte Angie unvoreingenommen kennen und konnte sie als gute Freundin akzeptieren, ohne dass mich romantische oder härtere Gefühle rumeiern ließen, was unserer Freundschaft sicherlich abträglich gewesen wäre.

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