Montag, 5. November 2018

Contramann: Kosten der Flüchtlinge


https://www.heise.de/tp/features/Die-Fluechtlinge-sind-zu-teuer-4197816.html
Eigentlich hatte ich gedacht, das Thema sei jetzt endlich mal durch. Doch auf Telepolis gibt es einen Mann namens Gerrit Wustmann, der es mühelos schafft, dank falscher Fakten und zu Fakten erklärten Mutmaßungen das hohe Lied offener Grenzen zu singen. Da hat einer aus dem Wolkenkuckucksheim nochmals einen fahren lassen. Fehlerhafte Argumente werden eben auch nicht wahrhaftiger, wenn man sie gebetsmühlenartig wiederholt.
Da beginnt Wustmann gleich mit irreführenden Zahlen. 2007 wurden vom Bund 14 Milliarden für „Flüchtlinge und Asyl“ ausgegeben, davon sind lediglich 3,69 Milliarden die Sozialleistungen nach den entsprechenden Gesetzen. 6,75 Milliarden werden für die „Fluchtursachenbekämpfung“ aufgewandt, u.a. gehören hierzu die Zahlungen an die Türkei, damit diese Flüchtlinge an einer Weiterreise nach Europa hindern.
Entweder weiß Wustmann es nicht (dann hätte er schlecht recherchiert oder wäre einfach nur ein Trottel) oder aber er unterschlägt bewusst eine wesentliche Größe: 14 Milliarden sind nur der kleine Teil der direkten Aufwendungen des Bundes; hinzu kommen noch weitere Transferleistungen. Guckst Du auch hier:
https://www.nzz.ch/meinung/kommentare/die-fluechtlingskosten-sind-ein-deutsches-tabuthema-ld.1316333
Da wären die Länderhaushalte und Kommunen zu nennen. Allein die Länder klagen, dass sie vom Bund lediglich die Hälfte der Kosten erstattet bekommen würden. Ebenfalls hinzu kommen Kosten für die Sozialversicherungen, insbesondere Krankenversicherung. Selbst wenn der Bund hier einen Ausgleich zahlt, kommt der aus wieder einem ganz anderen Bundestopf.
Vergessen sollte man hierbei nicht die indirekten Kosten für Infrastruktur, Verwaltung, Gerichte, Polizei, Bildung - halt alles, für was man eigentlich Steuern zahlt.
Summa Summarum kalkuliert das Kieler Institut für Wirtschaftsforschung mit bis zu 55 Milliarden Euro pro Jahr. All dies kommt aus den eben genannten sehr unterschiedlichen Töpfen. Einzeln sind diese Summen sicher nicht so dramatisch. Bloß wenn man schon die große Keule herausholt, Herr Wustmann, sollte man alle Zahlen auf den Tisch des Hauses legen. Zugegebenermaßen verursacht die Berufung in dem NZZ-Artikel auf Herrn Raffelhüschen bei mir ein Unwohlsein in der Magengegend, aber sonst passt das.
Lt. Wusthausen sind es also „nur“ 14 Milliarden Euro jährlich, die für die Flüchtlinge aufgewendet werden. Als nächstes vergleicht er diese Zahl mit dem Schaden, der durch die jährliche Steuerhinterziehung in Deutschland entsteht. Das wären 13 Milliarden Euro – laut EU für Deutschland sogar anteilig 160 Milliarden Euro. Das ist zwar richtig, bloß ist es wenig zielführend, eine Ausgabe (die wie zuvor beschrieben zu niedrig angesetzt ist) mit einem sehr ärgerlichen Einnahmeverzicht zu vergleichen. Als ob die angeblich nur 14 Milliarden Euro deshalb zu Peanuts mutieren würden. Wustmann vergleicht hier Äpfel mit Birnen. Der skandalöse Verzicht auf Verfolgung von Steuersündern rechtfertigt doch nicht die Ausgaben für Flüchtlinge.
Und dann noch das: „Jeder Euro, der aus der Staatskasse an wirtschaftlich schwache Menschen gezahlt wird, wird umgehend reinvestiert. Davon profitieren am Ende alle“ – so Wustermann.
So mag es ja sein, dass ein Großteil der Ausgaben wieder durch Steuern rein kommt und die Wirtschaft ankurbelt. Haargenau den gleichen Effekt würden allerdings Investitionen in Straßen, Schulen etc. auch bringen, nur dass sie zusätzlich halt Infrastruktur und Bildung verbessern würden. Und dass Deutschland diese Investitionen seit nunmehr Jahrzehnten vernachlässigt, dürfte hinlänglich bekannt sein.
Wustmann kommt gegen Ende noch mit einem vermeintlichen Killerargument: „Es ist zwar richtig, dass Zuwanderer und vor allem Flüchtlinge in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft den Staat erstmal Geld kosten. Langfristig aber kommt die überwiegende Mehrheit im Arbeitsmarkt an - und zahlt dann teils über Jahrzehnte Steuern und Sozialabgaben. Und zwar unterm Strich deutlich mehr, als sie anfangs an Transferleistungen erhalten haben.“
Er bezieht sich hierbei auf eine Studie aus dem Jahr 2012, also vor 2015. Das wischt Wustmann mit dem beliebten demographischen Faktor beiseite. Na ja. Links auf der Straße fliegende Händler mit allem möglichen, rechts Döner- und Falafelbuden. Das ist sicherlich eine fiese Übertreibung von mir, aber besucht mal Salzgitter Lebenstedt.
Und selbst wenn es so kommen würde, dass die Flüchtlinge irgendwann alle Arbeit finden, halte ich es für extrem rassistisch, Arbeitskräfte aus dem Ausland ins Land zu holen, anstatt die eigenen Arbeitslosen zu fördern und in Arbeit zu bringen. Denn das passiert hier eben seit Jahren nicht. Mag sein, dass viele Deutsche „zu faul“ sind - wie viele meiner Kollegen aus der Arbeitsverwaltung meinen. Dasselbe Argument würde dann aber auch in ein paar Jahren für die Flüchtlinge gelten.
Ansonsten glaube ich eher, man kann mehr Menschen helfen, wenn man sie in Ländern in der Umgebung hält. Deutschland ist teuer, in anderen Ländern kann man teilweise sehr gut mit dem Geld leben und wenn die Wirtschaft da angekurbelt wird, hilft das der ganzen Region.
Denn mehr weltweite Kaufkraft bedeutet weniger Kriminalität, weniger Druck und mehr Lust weiterhin in der Sonne zu bleiben, anstatt ins kalte Deutschland auszuwandern.
Dann bluten die Herkunftsländer auch nicht aus - was schwerwiegende und langfristige Folgen hätte. Dieses ist nahezu die Argumentationslinie der Wagenknecht-Fraktion, die meiner Ansicht nach die einzig erfolgversprechende Möglichkeit darstellt, das Leben auf diesem Planeten langfristig und vor allem friedlich zu organisieren.
Wustmann begeht den Fehler, den viele Linke von SPD über Grüne bis Linkspartei auch machen: Sie gehen pauschal von einem Positiveffekt aus, weil das Gegenteil ja noch nicht bewiesen ist. Treten negative Ereignisse, welche die Ängste von AfD Wählern bedienen, wie z.B. der Zirkus zu Silvester auf der Kölner Domplatte ein, wird es grundsätzlich zum Einzelfall erklärt. Überhaupt ist dann jeder, der daraus Allgemeines zur Flüchtlingspolitik ableitet, ein AfD Anhänger.
Ich sage dazu nur: Eigentlich lernt man das schon als Kind, dass eben nicht jeder nur Gutes will und dein Freund ist. In der Realität reiten am Ende eben nicht alle auf dem Einhorn durch den Regenbogen.

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