Donnerstag, 8. November 2018
H Lecter: Viktor
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Und es gab auf dieser breiten Einfallstraße nach Göttingen fast nur Wohnhäuser und die üblichen Betriebe des Handwerks. So zum Beispiel einen Steinmetz, der auf seiner großen Standfläche an der Straße einen ganzen Wald von Rohlingen an Grabsteinen stehen hatte. Rohling meint hier, dass lediglich der Name noch eingraviert werden musste. Ansonsten waren die Dinger schon entsprechend geschliffen und in Form gebracht.
Es kam, wie es kommen musste. Pocke war in seinem bräsigen Schädel neugierig geworden und fühlte sich genötigt, das Gelände zu betreten. Voller Freude rüttelte er an einem Grabstein und musste zu seinem Leidwesen feststellen, dass dieser erheblich schwerer wog als erwartet und dank der örtlichen Schwerkraft unaufhaltsam auf seinen Fuß fiel. Ich glaube, es war der linke Mauken, auf dem der Stein zum Liegen kam.
Kein Schrei entwich Pockes Lippen, aber schnell wurde ihm und auch uns anderen klar, dass der Stein sich nicht von allein wieder hinstellen würde. Pocke versuchte zwar, den Stein mit aller Kraft wieder aufzurichten, konnte diesen aber nicht einmal ein paar Zentimeter anheben, um seinen Fuß hervorziehen zu können.
Erst als wir anderen mit vereinten Kräften mithalfen, bekamen wir den Grabstein etwas angehoben, so dass Pocke seinen Fuß unter dem Stein hervorziehen konnte. Bis heute ist mir unbegreiflich, dass uns seinerzeit niemand bei dieser Aktion beobachtet hatte. Leise waren wir garantiert nicht gewesen - da hätte doch in irgend einem Haus das Licht angehen müssen. Mann, was hatten wir für ein Schwein, dass nicht ausgerechnet in jenem Zeitpunkt ein Auto vorbeigefahren kam.
Darüber machten wir uns selbstverständlich keine Gedanken und gingen einfach weiter. War ja nichts passiert; wir hatten etwas zu lachen gehabt und ich kann diese Geschichte jetzt nach über 30 Jahren wieder erzählen. Auf den Schreck hin nahmen wir noch einen tiefen Schluck aus den Bierpullen, die wir dabei hatten.
Mittlerweile wird es wohl schon nach Mitternacht gewesen sein. Wir waren immer noch munter und kamen auf die glorreiche Idee, dass wir noch schwimmen gehen wollten. Denn es war Sommer... Dubi Dubi Dubidu... und Viktor und Co wussten, wo die Badeanstalt lag. Tatsächlich schien die Mannschaft um Viktor des Öfteren die Badeanstalt zu besuchen, jedoch nie zu den Öffnungszeiten, sondern eher stinkbesoffen in der Nacht.
Endlich an der Badeanstalt angekommen, mussten wir “überrascht” feststellen, dass die Tore geschlossen waren. Dies stellte uns aber vor keine größeren Probleme, da der Zaun kein einfacher Drahtzaun war, der sich garantiert durchgebogen hätte. Wahrscheinlich sind wir jedoch über ein stählernes Netz, das sich eben nicht durchbiegen konnte, in das Schwimmbad eingestiegen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir über einen hin und her schwingenden Zaun hinüber gekommen wären.
In diesem wunderschönen Freibad herrschte eine wohltuende Stille, die selbst wir nicht mit Gegröhle zu stören wagten. Fast flüsternd schlichen wir an dem Schwimmbecken vorbei auf eine große Wiese und machten es uns auf dem Rasen bequem. Auf dem Weg fielen mir in der Ferne die großen Hochhäuser auf, in denen hier und da noch Licht brannte. Ob Tante Erna oder irgend jemand anders; trotz meines bedüdelten Schädels machte ich mir Sorgen, wir könnten bei unserem Besuch des Schwimmbades gesehen werden. Würden wir etwa Schwierigkeiten bekommen?
Am Rand der Wiese, hinter uns durch Büsche geschützt, lagen wir alsbald herum und arbeiteten uns am Bier ab. Das Schwimmbad war übrigens dank hoher Masten mit flutlichtartigem Licht gut ausgeleuchtet. Bereits nach kurzer Zeit waren wir froh, dass wir uns zum Abhängen einen schönen Platz außerhalb des Lichtkegels ausgesucht hatten. Denn auf der gegenüberliegenden Seite des Beckens, quasi am Kopf, wo der Sprungturm stand, bewegte sich was.
Menschen! Und gleich mehrere, die tuschelten und offenbar ausschwärmten. Hatte etwa jemand aus den Hochhäusern uns schließlich entdeckt und die Polizei angerufen? Die Meute wirkte suchend, man konnte es aber auch dahingehend interpretieren, dass sie beabsichtigten, uns einzukreisen. Ruhig und vor allem geräuschlos zogen wir uns ein Stückchen weiter in den Schatten zurück.
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