Am 20. November 1985 veröffentlichte
die Fa. Microsoft die erste Version ihres Betriebssystems Windows. Am
20. November 2006 lief in der Geschwister Scholl Realschule in
Emsdetten ein ehemaliger Schüler Amok, verletzte 37 Menschen und
tötete sich anschließend selbst.
Aber das nur am Rande.
Am 20. November 1956 wurde Olli
Dittrich und am 20. November 1974 Kurt Krömer geboren. Beide sind
anerkannte Größen des deutschen Humors und mehrfach preisgekrönt.
Aber dem Mann, der am 20. November 2013 in München verstarb, können
sie nicht mal zusammen das Wasser reichen.
Der am 23. Mai 1927 im
niederschlesischen Bunzlau geborene Dieter Hildebrandt hat bis
zuletzt das politische Kabarett in der Bundesrepublik Deutschland
geprägt wie kein zweiter. War es Schicksal der BRD oder eine Ironie
der Geschichte, dass dieser Staat mit der Verkündung des noch heute
geltenden Grundgesetzes am 23. Mai 1949 an Hildebrandts
22. Geburtstag gegründet wurde?
Denn die Geschichte der Bundesrepublik
ist untrennbar mit dem Kabarettisten Dieter Hildebrandt verbunden.
Und es gibt viele und immer vieler, die den Tod von Dieter
Hildebrandt mehr betrauern, als es ein Staatsbankrott oder eine
Staatsauflösung der Bundesrepublik Deutschland vermag.
Schon als Kind sah ich mit meinen
Eltern zusammen die Silvestersendungen. „Schimpf vor Zwölf“ war
sehr witzig. Die Zuschauer vor der Bühne schienen sich gut zu
unterhalten und lachten viel. Also lachte ich auch. Ich verstand zwar
als gerade Eingeschulter die ganzen politischen Gags nicht, lachte
aber trotzdem. Weil alle lachten.
Und trotzdem CDU wählten. Es ist halt
nach wie vor merkwürdig: Wenn alle diejenigen, die Hildebrandt und
Co gut fanden und herzlichst lachten und schrien: „So isses, so
isses!“, ihr Kreuz allein bei den Bundestagswahlen entsprechend
gesetzt hätten, wäre uns viel erspart geblieben.
16 Jahre Kohl beispielsweise. Oder wir
hätten gar Oskar Lafontaine als Kanzler 1990 bekommen(!) – man
stelle sich das nur mal vor. Stattdessen kam es so wie es kam.
Hildebrandt und Co wurden überwiegend umjubelt, aber der „Deutsche
Michel“ wählte weiterhin die CDU. Schließlich ging es ja immer
aufwärts – zumindest für die, für die es immer aufwärts ging.
Die Anderen, für die abwärts ging
oder die unter einem Gerechtigkeitswahn litten, die sogenannten
Sozialromantiker also, ja für die blieb in den 50ern bis in die 70er
hinein u.a. das politische Kabarett im Fernsehen.
Die Münchner Lach und Schieß, in den
70ern „Notizen aus der Provinz“ und der „Scheibenwischer“ ab
1980 waren im rein öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm
Highlights. Man kann sogar mit Fug und Recht sagen, diese Sendungen
stellten die einzige sichtbare politische Opposition gegen die immer
mehr um sich greifende Automatisierung und Kommerzialisierung der
Gesellschaft dar.
Spätestens Mitte/Ende der 80er jedoch
änderte sich das leider. Dank RTL und SAT 1 und der gewonnenen
„Programmvielfalt“ fiel das politische Kabarett nicht mehr so ins
Gewicht. Auch Hartmudo war so Einer, der spätestens in den 90ern
mehr und mehr die Comedians schaute. Weil sie bunter und schriller
waren. Und für Diejenigen, für die es abwärts ging, waren RTL
Samstag Nacht oder auch die Wochenshow eh die leichtere Kost. 2, 3
Bierchen zur Sendung und Montags zum Amt – Geld holen. Dieses
Klischee hält sich bis heute.
Dieter Hildebrandt war während dieser
ganzen, trüben TV Zeit auf Sendung. In erster Reihe kämpfte er mit
dem Scheibenwischer unermüdlich weiter gegen die Windmühlen
Bertelsmann und Kirch/Springer an. Er wußte, dass er nicht gewinnen
konnte. Von Jahr zu Jahr wurde er verbitterter und bissiger, aber er
gab nie auf. Und blieb dabei doch stets charmant und freundlich.
Und wie harmlos, ja fast schüchtern
betrat er die Bühne. Das machte er 1956 bei der von ihm gegründeten
Münchner Lach- und Schießgesellschaft so. Und auch beim
„Rentner-Rap“ 2011 oder 2012 bei „Neues aus der Anstalt“ –
einem letzten Höhepunkt von Hildebrandt im deutschen Fernsehen.
Er versprach sich scheinbar
unbeabsichtigt und erzeugte so die Lacher, die einem mehr und mehr im
Halse stecken blieben, je länger seine Nummer dauerte. Lauter,
aggressiver wurde er gern während einer Nummer. Nicht selten endete
eine Nummer im Zorn – Schmickler oder Georg Schramm haben dies
später verfeinert. Mal kam ein verschmitztes Lächeln durch, eine
Verharmlosung oder Verniedlichung gar. Volker Pispers beherrscht dies
heutzutage perfekt. Er konnte sich in eine künstliche Wut
hineinsteigern und dann Politiker verhöhnen, verspotten. Mit
Schimpfnamen belegen und sie so der Lächerlichkeit preisgeben. Urban
Priol wird da schon sichtbar.
Und das ist das Vermächtnis von Dieter
Hildebrandt: Die soeben genannten politischen Kabarettisten hat er
geprägt und immer gefördert. Der Rentner Dombrowski alias Georg
Schramm erblickte im Scheibenwischer bei Hildebrandt die Welt. Ein
schönes frühes Video von Priol und Hildebrandt habe ich verlinkt.
Andere wie Barwasser (Pelzig), Hagen Rether oder auch Max Uthoff sind
auch noch da, um das Erbe eines Hildebrandt zu ehren.
Wenn man sich die Mühe macht, alte
Aufnahmen der Lach und Schieß mit Klaus Havenstein, Jürgen
Scheller, Achim Strietzel, Ursula Noack, Hans-Jürgen Diedrich (der
einen Olli Dittrich selbst jetzt noch alt aussehen läßt) oder Horst
Jüssen, Rainer Basedow, Henning Venske anzuschauen, merkt man
schnell, dass Hildebrandt kongeniale Mitstreiter hatte. Auch diese
wurden immer durch ihn gefördert und durch ihn unsterblich.
So wie Dieter Hildebrandt selbst.
Allein der „Herbie“ aus Kir Royal
ist so genial. Dieser unscheinbare Normalo mit der Nickelbrille wirkt
so harmlos und ist gerade deshalb so gefährlich. Eigentlich konnte
man ihm nicht böse sein, so freundlich, wie er immer rüberkam.
Zumindest am Anfang einer Nummer.
Trotzdem wurden einige Sendungen in
seiner Heimat Bayern aus dem Programm genommen, weil sich die dort
allmächtige CSU auf den Schlips getreten fühlte. Scheibenwischer
über „Rhein Main Donau Kanal“ oder die Sendung über Tschernobyl
– stets war offenbar die FDGO in Gefahr. Hildebrandt war der
Einzige, der dies schaffte. Und wenn sich heute Seehofer oder Merkel
hinstellen und den Tod von Hildebrandt heuchlerisch bedauern, sagt
dies mehr über den Zustand dieser Republik aus als 1000 Statistiken.
Ich werde Dieter Hildebrandt vermissen.
Aber nicht verzweifeln, weil die „Botschaft“ von Pispers, Schramm
und Co weitergetragen wird. Was bleibt, sind diverseste Aufnahmen
seiner Programme und Sendungen, die auch bis zu 50 Jahre später
erschreckend aktuell sein können.
Wenn ich eines von Dieter Hildebrandt
übernommen habe, dann ist es die Art, die Welt zu sehen. Kritisch,
aber immer menschlich verständnisvoll.
Herr Hildebrandt, ich danke Ihnen
dafür. Und für alles Andere.
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