Dienstag, 30. November 2021

Uncle Fester: grad gelesen November 2021

Frank Goosen - Förster mein Förster
Es ist mal wieder Goosen-Zeit. Und ja - dieser Roman ist auf jeden Fall lesenswert. Auch war es nicht überraschend, dass Förster, der Protagonist dieses Romans, ein Schriftsteller mit Schreibblockade ist.
Das Frank Goosen in der Regel autobiografische Erlebnisse in seinen Werken verwurstet, war mir auch schon immer klar gewesen. Dies verleugnet er zwar in einem Dialog im zweiten Teil des Romans, aber so ganz nehme ich ihm dies nicht ab. Zumal Förster im dritten Teil des Romans selbst beschreibt, dass er auf der Fahrt Zettel und Stift zum Mitschreiben für einen Roman dabei hat.
Drei Teile hat also der Roman, wobei lediglich der dritte den versprochenen Roadtrip beschreibt. Forster erlebt wenige Tage vor seinem 50. Geburtstag seine Midlife-Crisis, weil er dieses Lebensalter für sich nicht akzeptieren kann. Von mir selbst kenne ich dies nicht, aber aus meinem Umfeld habe ich dies schon öfters vernommen. Dieses neue Lebensjahrzehnt, dass ja so plötzlich kommt und einen umhaut.
Forster jedenfalls hängt die ganze Zeit rum, schafft seinen Roman nicht zu schreiben und durchlebt jenen Weltschmerz, welcher der Simple Minds oder auch Fury in the Slaughterhouse Generation ein Leben lang anhängt. Und zu dieser zählt Goosen zweifelsohne, ich nicht. Ich Doctor Feelgood und Ramones, vastehste?
Försters Lebensgefährtin Monika fotografiert auf den äußeren Hebriden vom Aussterben bedrohte Tierarten und wird im gesamten Roman auch immer nur extrem kurz eingestreut. Ich schließe daraus, dass Goosen Erlebnisse mit seiner realen Partnerin sicherheitshalber außen vor gelassen hat.
Was diesen Roman so sympathisch macht, sind die anderen, teilweise sehr skurrilen Personen. Da sind zunächst einmal Försters alte Kumpels Fränge und Brocki, welche sich - in ewiger Hassliebe verbunden - permanent streiten.
Brocki ist Lehrer und betrauert immer noch seine vor Jahren verstorbene Frau, während Fränge ein Verhältnis mit seiner knapp über 20jährigen Bedienung Peggy angefangen hat und seine Beziehung mit "der Uli" an die Wand zu fahren droht.
Dreffke ist ein Nachbar von Förster und pensionierter Polizeibeamter, der permanent hustet, Blut spuckt und auch ansonsten keinen Wert auf Konventionen legt. Finn, ein junger Teenager, ist dagegen das blühende Leben und versprüht die jugendliche Frische, die Förster dank seines jämmerlichen Daseins längst abhanden gekommen ist.
Da fehlt nur noch Frau Strobel, die greise Saxophonspielerin, welche direkt neben Förster wohnt und glatt als Hausdrachen durchgeht. In einem Anfall von Fürsorglichkeit zwischen zwei bierseligen Abenden räumt Förster ihr die Bude auf und findet dabei einen Brief, in dem Frau Strobel von ihren ehemaligen Mitspielerinnen einer Damentanzkapelle eingeladen wird, bei einer Reunion am kommenden Wochenende an der Ostsee mitzuwirken.
Wir sprechen da über Försters 50 Geburtstag, den er partout nicht feiern will. So kommt es, dass sich diese bunte Gesellschaft am Wochenende zusammenfindet, um mit Fränges altem VW Bulli an die Ostsee zu fahren. Nach vielen lustigen Begebenheiten kommt es schließlich in dem Hotel an der Ostsee zum Konzert der weiblichen Tanzkapelle.
Der Spannungsbogen bricht nun vollkommen in sich zusammen und irgendwann steht Monika in der Tür. Förster, der selbst nicht Vater ist, nun aber Großvater werden wird, fügt sich in sein Schicksal. Dass dies für den Autor offenbar so ein Problem darstellt (auch ich bin Großvater, ohne Vater zu sein), fand ich letztendlich doch etwas enttäuschend.
Und das Fränge schließlich nicht der sein will, der er eigentlich ist, kommt auch etwas dünn daher. Insgesamt haben mich die im Roman angesprochenen Situationen und Probleme an mich selbst erinnert, weshalb ich ihn nahezu verschlungen habe. Aber bei genauerem Nachdenken erscheint mir Förster (und damit der Autor) doch etwas zu wehleidig.

                                          

Frank Goosen - kein Wunder
Hier ist nun, der ersehnte Folgeband zu "Förster, mein Förster." Deser Roman spielt im Jahr 1989 in Berlin und Bochum, vor, während und kurz nach dem Fall der Mauer. Hier drängen sich unwillkürlich Vergleiche zu Sven Regners "Herr Lehmann" auf, den Goosen locker für sich entscheiden kann.
Denn im Gegensatz zu Regner beschränkt sich Goosen nicht lediglich auf eine Beschreibung der Szene Figuren, sondern bindet auch die "Normalos" mit ein. Hier fühle ich mich eher an alte Zeiten erinnert, das ist nicht so verkopft.
Anfang 1989 sind Förster, Fränge und Brocki ins junge Erwachsenenleben durchgestartet. Während Förster und Brocki in Bochum im Studium durchstarten, gibt Fränge in Berlin den "Weltenwanderer der Liebe." In Westberlin lebend, ist Fränge mit der Cafebetreiberin und Portugiesin Marta zusammen, während er gleichzeitig mit der angehenden Schauspielerin Rosa in Ostberlin liiert ist.
Anlässlich eines Besuchs vom Förster und Brocki Anfang des Jahres in Berlin wird diese Konstellation näher vorgestellt, die hier aufgezeichneten Dialoge und Szenen zwischen den drei Jungs riefen in mir die Aufbruchstimmung Ende der 80er Jahre wieder hervor.
Goosen beschreibt die Gegensätze zwischen den beiden Kulturen sehr prägnant. Auf der einen Seite die dekadenten und des Lebens überdrüssig gewordenen Menschen aus Westberlin a la Herr Lehmann, auf der anderen Seite die pragmatische Dissidenten Szene in Ostberlin.
Auch in diesem Roman fällt Brocki in der Charakterisierung etwas ab. Hier traut er sich nicht, seine spätere Frau Silke anzusprechen, während diese im ersten Roman später bereits verstorben ist. Er ist der ewige Lehrer, im Grunde seines Herzens stockkonservativ.
Der Ich-Erzähler Förster dagegen kommentiert das laufende Geschehen lediglich und schreibt diese bis auf weiteres dann auf, die spätere Laufbahn als Schriftsteller klingt hier schon an. Er ist mehr Beobachter als selbst Akteur und bauscht eigene Aktionen, wie z. B. eine Nacht mit Rosa, zu quasi weltbewegenden Ereignissen auf, die sie gar nicht sind.
Hierin erkenne ich mich selbst zu Zeiten der 80er Jahre wieder. Und vor allem Fränge: Scheinheilig verklärt er seine Beziehung zu beiden Frauen als politische Aktion, verlogen wie die Alt-68er. Als die Mauer fällt und beide Frauen vom Doppelleben Fränges erfahren, verkriecht sich der feige Hund in der Gartenlaube seiner Eltern in Bochum.
Wer an dieser Stelle eine Inhaltsbeschreibung des Romans erwartet hatte, den muss ich enttäuschen. In diesem schönen Roman ist die Handlung Nebensache. Hier zählt einzig und allein die Beschreibung der Charaktere, und das ist Goosen hervorragend gelungen.
Gerade die von mir negativ beschriebenen Charaktereigenschaften der Akteure machen diese erst sympathisch und lebendig. Denn das ist die große Stärke von Goosen: Die handelnden Personen, egal welchen Alters oder Gesinnung. Wie im richtigen Leben halt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen