Mittwoch, 30. September 2020

Uncle Fester: Faszinierend 2/2

Diesen Text hatte ich ganz vergessen. Geschrieben hatte ich ihn am 30.6.2013, vor mehr als sieben Jahren. Er ist aber noch aktuell - ich habe ihn jetzt nur noch einmal grob korrigiert. Beim Durchlesen war ich dann sehr erstaunt, dass ich diesen Text auch nach sieben Jahren noch unterschreiben kann.
Luigi vermutete letztens, ich hätte viel Zeit zum Lesen, wenn ich die Bücher alle gelesen habe. Tatsache ist, dass ich beim Pendeln auf der Fahrt zur Arbeit und zum Schlafengehen lese. Da kommt schon einiges zusammen. Doch diese Zeit nehme ich mir gerne. Warum, steht in diesem alten Text.

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Eine vermutete Realitätsflucht findet dann höchstens oberflächlich statt. Es ist vielmehr so, das die gewonnene Sicherheit an für das Leben wichtige Maßstäbe dies mehr als kompensiert. SF Fans habe ich schon immer als klar strukturiert empfunden. Träumer womöglich, aber doch stärker in der Realität verwurzelt als „Normalos“, wenn es drauf ankommt.
Gut, das war jetzt vielleicht ein bisserl arg polemisch, doch was bleibt, ist die in uns allen wohnende Sehnsucht nach „geordneten“ Verhältnissen. Da, wo die Welt noch in Ordnung ist und Ideale noch etwas zählen, der Tüchtige und Ehrliche nicht der Arsch ist und sich Böswilligkeit sowie Lug und Trug nicht auszahlen – bin ich nicht, wenn ich aus dem Fenster schaue.
Nein. Ich muss schon eine DVD einlegen oder ein Buch aufschlagen, um ins Star Trek Universum abzudriften. Jean Luc Picard oder James Tiberius Kirk haben wahrscheinlich mehr Kinder und junge Erwachsene aufs Leben positiv vorbereitet als Lehrer, Geistliche und andere Moralapostel dies in christlichen Ländern tun könnten.
Das eine Erfindung wie das Handy, insbesondere Smartphone, ohne die Tricorder aus Star Trek nicht gemacht worden wäre, gilt mittlerweile als sicher. Das gut beschriebene Star Trek Universum ist in seiner ausufernden Vielfältigkeit sicher besser als „Realitätsflucht“ geeignet als z.B. Sim City.
Denn durch das SF Umfeld bleibt die Grenze zur Realität im Ernstfall sichtbar. Bei Sim City verschwimmt das schon mal. Außerdem ist es spätestens seit Picard üblich, das insbesondere philosophische als auch gesellschaftspolitische Themen beleuchtet werde. Manchmal moralinsauer zugegebenermaßen, aber immer mit einem Augenzwinkern und zum Nachdenken für das eigene, REALE Leben erzählt.
Wem Star Trek zu „anspruchsvoll“ ist, der weicht auf Perry Rhodan aus. Dies ist mir persönlich zugegebenermaßen zu einfach gestrickt. Auch die Heroisierung des Großadministrators und die damit verbundene eindimensionale Storyentwicklung stößt mir auf. Da wittere ich ängstlicherweise faschistoides Gedankengut dahinter.
In der Science Fiction ist ein weiterer schöner Aspekt möglich, der auch immer gerne wieder mal aufgegriffen wird: Der vermeintlich kleine Mann (seit ein paar Jahren auch Frau) wird durch Zufall zum Helden oder gar Retter der Galaxis. Also Du oder vor allem ich. Philip K. Dick wurde dieses Markenzeichen ja schon früh angeklebt.
Dies ist natürlich zur Identifikation mit einem Roman oder Film immer eine gute Voraussetzung. Keine andere Literaturgattung kann da auch nur annähernd mithalten.
Der Held kann ganze Galaxien retten und nicht bloß den Weltfrieden auf unserem kleinen, unbedeutenden Planeten.
Wenn man dies dann noch mit Star Trek kombiniert und Jugendlichen vorsetzt, könnte ich mir sogar vorstellen, das negative Aspekte unserer Gesellschaft wie Faschos oder sonstige Hools besser bekämpft werden können als mit noch so viel gut gemeinter Sozialarbeit.
Hier ist es möglich, Themen wie Umweltzerstörung, negative Aspekte zunehmender Privatisierung vormals öffentlicher Aufgaben, übersteigerten Nationalismus oder Religion etc. anschaulich zu repräsentieren.
Der Held im Roman bleibt auf alle Fälle die erste Identifikationsfigur. Sicher werden Themen wie Umweltzerstörung auch in der „normalen“ Hochliteratur angesprochen. Jedoch ist es nur in der Science Fiction möglich, etwaige Risiken des heutigen Umgangs bspw. mit der Müllentsorgung auf zukünftige Entwicklungen hin aufzuzeigen.
Denn dort, wo dies auch in der Hochliteratur gemacht wird, macht eine solche Fiktion schon den Übergang zur SF aus. Ist dann auf alle Fälle Crossover.
Das SF als Roman häufig geringschätzig beurteilt wird, liegt an dem omnipotenten Schatten eines Perry Rhodan oder auch solchen Schlonz wie Warcraft und Battletech. Dutzendware, die allerhöchstens im Film durch entsprechende technische Effekte zu überzeugen vermag. Die meisten Leute, die ich kenne, lesen halt höchstens mal im Urlaub ein Buch, wenn überhaupt. Und da sind dann unendliche Weiten und unbekannte Planeten oder Aliens nicht so gern gesehen, weil eine Story am Besten in einer realistischen Umgebung und nicht in einem Raumschiff aufgenommen werden kann.
Das Lesen von SF muss also erlernt und geübt werden, will man auch Spaß an fremden Welten entwickeln. Die Assoziation fiktiver Geschehnisse wie politischer Intrigen oder Umweltaspekte mit empfundenen Schrecken der heutigen Gesellschaft klappt dann irgendwann.
Die wirklich guten Sachen, wie das Werk von Dick, zünden auch nach einem halben Jahrhundert. Die dort beschriebenen Zukünfte mögen nicht oder nur teilweise eingetroffen sein, aber die geschilderten Ängste oder Probleme bestehen ja auch weiter fort.
Schließlich hat sich am Wirtschafts- oder Gesellschaftssystem nichts geändert.
Dazu dieser „Sense of Wonder“. Der Erzähler hat in der SF die Möglichkeit, immer wieder neue Überraschungen in die Story einzubauen. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt, so dass ein „kenn ich schon von …“ seltener vorkommt.
Ich könnte mir wohl noch stundenlang hierzu etwas aus dem Hirn saugen, würde mich aber dann doch nur wiederholen.
Also: Versuch es mal mit Science Fiction. Tauch ein in eine Welt, wie es sie so nie geben wird. Lies Star Trek und lerne was fürs Leben. Ist auch nicht so trocken wie Philosophie von Schopenhauer und Co. Nicht so feucht wie Charlotte Roche zugegebenermaßen, dafür besser.

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