Sonntag, 1. Dezember 2024

Uncle Fester: grad gelesen Dezember 2024

Adrian Tchaikovsky - Der Architekten Zyklus (Die Scherben der Erde, die Augen der Galaxis, die Herren des Abgrunds)
Dies ist tatsächlich um Längen besser als seine Zeit-Reihe (Kinder der Zeit etc.). Jene hatte zwar einige sehr starke Momente, vermochte aber durch die Fremdartigkeit der einzelnen Völker nicht wirklich zu fesseln. In diesem Romanzyklus bekommt Tchaikovsky dies allein dadurch besser hin, weil die Menschheit hier noch nicht quasi ausgestorben ist.
Obwohl die Menschheit dank der Architekten arg gebeutelt ist - wurde doch der Heimatplanet Erde mit seinen Milliarden Bewohnern vernichtet. Nein, nicht vernichtet. Umgestaltet, dank extrem starken Gravitationskräften, welche die Architekten auf Planeten schleudern, die von zumeist biologischen Zivilisationen bewohnt werden. Die Energie für die Gravitationswaffen beziehen die Architekten aus dem Unraum, den wir auch als Hyperraum kennen. Und von dort stammen die Architekten auch.
Acht Jahrzehnte lang führen die Menschen einen aussichtslosen Kampf gegen die Architekten, ehe sie endlich im Abwehrkampf um ihre neue Hauptwelt Berlenhof einen Erfolg erzielen können. Dank des Intermediären Idris Telemmler, Produkt eines gnadenlosen Zuchtprogramms der Menschen. Er konnte zum ersten Mal mit einem Architekten kommunizieren und diese gleich zum vollkommenen Rückzug aus dem Realraum bewegen.
Die wenigen Intermediären können im Unterbewusstsein Berechnungen anstellen, um im Unraum abseits vorgefertigter Passagen navigieren zu können. Die Passagen wurden vom verschollenen Volk der Originatoren geschaffen und verbinden bewohnte Sternensysteme. Nur dank der Ints (Intermediären) können die Menschen - im Roman als Kolonien bezeichnet - neue Planeten entdecken und kolonialisieren.
Idris ist 45 Jahre nach der Rettung von Berlenhof selbst zur Legende geworden. Angewidert vom Zuchtprogramm zur Entwicklung von Ints (nur jeder 1000ste überlebt die Eingriffe ins Gehirn), hat er sich von der „Kontaktbehörde“ der Kolonien losgesagt. Immerhin befähigt ihn das zur Funktion als Hauptperson dieses Zyklus.
Tchaikovsky hat hier das gern genommene Szenario einer Outsider-Story bemüht. Die dabei liebevoll gezeichneten Charaktere ziehen den Leser während der 3 Romane in ihren Bann, wobei Idris im Laufe der Handlung zugunsten seiner Mitstreiter eher in den Hintergrund rückt. Auffällig ist, dass Tchaikovsky hier den Fokus auf die menschlichen Figuren schlägt.
Dies ist also die Geschichte des klapprigen Schrottsammlers und Bergungsfrachters Geiergott, dessen Besatzung sich von Auftrag zu Auftrag hangelt, und sei er auch noch so illegal. Dank Idris ist die Geiergott in der Lage, im Unraum verschollene Raumschiffe zu bergen. Während er das Schiff durch den Unraum navigiert, begibt sich die Besatzung in Kryostasekapseln, um die Psyche vor dem Schrecken im Nichts zu schützen.
Bei einer Bergung im Unraum verspürt Idris eine bedrohliche Präsenz und spürt, dass die Architekten wieder zurückgekehrt sind. In der Folge wird Idris selbst zum Objekt der Begierde für eine aristokratische Familie der Kolonien, da er angeblich ein Produkt der Kontaktbehörde sei und daher eben kein freier Bürger.
Die Besatzung der Geiergott hat eine andere Sicht der Dinge und gerät in Scharmützel mit den u.a. durch Symbionten aufgerüsteten Schergen der Aristokraten. Hierbei erhalten sie Unterstützung von Trost, einer Kriegerin des Parthenon. Dies ist eine künstlich gezüchtete Zivilisation von weiblichen Assassinen.
Trost persönlich war schon bei der Rettung von Berlenhof an der Seite von Idris dabei gewesen; im Laufe der Handlung landen beide voraussehbar in der Kiste, womit der Ü14 Teil abgewurstet ist. Die Schwestern des Parthenon werden von den Kolonien gehasst und stellen eine starke Militärmacht dar. Im Laufe des Romans mausert sich Trost zum Crewmitglied auf der Geiergott, immer hasserfüllt beäugt von der Drohnenexpertin Olli Timo, einer verkrüppelten Menschenfrau, die aber dank Exoskelett eine ähnlich gute Kampfmaschine ergibt wie Trost.
Ein weiteres menschliches Mitglied der Geiergott ist Kris. Sie berät das Team der Geiergott in allen nur möglichen Schwierigkeiten bei den Behörden; als persönliche Anwältin von Idris verhindert sie dessen Versklavung. Und zu einer richtigen anwaltlichen Auseinandersetzung gehört natürlich auch immer ein Messerduell.
Abgerundet wird das Team von Kit, dem Lagerverwalter der Geiergott und vom Volk der Hannilambra, krabbenähnlichen Aliens. Womit wir wieder bei Tchaikovskys Zeit-Zyklus wären. Zum Glück vermeidet es der Autor hier, die verschiedenen Alienrassen bis ins Letzte zu erklären und stellt die flüssige Handlung in den Vordergrund.
Anfangs gibt es noch mehr Besatzungsmitglieder. Da gilt es zunächst Rollo Rostand zu erwähnen, den Kapitän der Geiergott. Seine Autorität wird von all den unterschiedlichen Charakteren ohne Widerspruch anerkannt. Dann stirbt er Mitte des ersten Romans in einem Feuergefecht, was für sich genommen bei einem derart komplexen Werk ungewöhnlich ist, ergo cool.
Zwei weitere Besatzungsmitglieder sterben auch, allerdings bevor sie voll auscharakterisiert werden konnten. Das Schwarmwesen Medvig - wieder Insekten, da hat Tchaikovsky wohl ein Faible für - soll hier noch genannt werden.
Als Ausgleich drängen sich im Laufe der Handlung mehrere höchst interessante Charaktere in den Vordergrund. Havaer Mundy ist ein Agent der Interventionsbehörde (Weltall CIA) der Kolonien und steigert sich im Laufe des Plots in eine tragende Rolle hinein. Andere Figuren wie Ahab, Delegat Trine oder der Essiel (eine sehr fortgeschrittene Spezies) Gangster“der schreckliche Aklu, das Messer und die eiserne Hand“ werden erst ab dem zweiten Band eingeführt.
Eine Inhaltsangabe dieses doch sehr komplexen Casts würde hier den Rahmen sprengen; daher schließe ich hier mit dem „überraschenden“ Resümee, dass es am Ende das erwartbare Happy End gibt. Besonders gefallen hat mir an diesem umfangreichen und vor Ideen nur so sprühenden Werk, dass sich der Fokus von dem ursprünglichen Protagonisten Idris nach und nach auf Olli, Trost, Kris oder Havaer verschiebt.
Ganz ehrlich: Dieser Zyklus schreit förmlich nach einem großen Serienuniversum bei Netflix und Co. Am Besten mit mehreren Ablegern. Tchaikovsky hat mit dem Architekten Zyklus ein süchtig machendes Universum geschaffen, welches in ihrer Faszination „Expanse“ in nichts nachsteht. Eine Fortsetzung würde ich begrüßen.

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