Der Vorgang im Schadts war ja eigentlich noch harmlos. Dies geschah in unserer Freizeit. Viel bedenklicher waren da schon die Exzesse während der Arbeit. Diese sollten so nicht passieren. Auf der anderen Seite war dies nur allzu menschlich. Auf nahezu jedem Arbeitsplatz können derlei Dinge schon einmal vorkommen. Ob am Band im Werk, im Verkaufsraum beim Discounter oder eben im Büro einer Verwaltung – egal, ob öffentliche oder private. Überall arbeiten Menschen. Und Menschen haben nun mal Schwächen. Da möge bitte keiner die Moralkeule schwingen!
Ich hatte ja bereits schon mal erwähnt gehabt, dass es bei uns zeitweise hoch her ging. Wobei ich gleichzeitig betonen muss, dass es in den 90ern, als ich im „blauen Bock“ angefangen hatte, vergleichsweise ruhig zuging. In den Jahren vor meiner Zeit wurden Abteilungsleiter schon mal mit dem Rollstuhl aus dem Büro entfernt, weil sie nicht mehr laufen konnten.
Auch gab es weitaus heftigere sexuelle Ausschweifungen, zumindest nach den Erzählungen über die 70er und 80er Jahre. Die Begebenheit, die ich jetzt erzählen werde, war dagegen richtiggehend prüde. Allerdings hatten wir zu der Zeit noch keine Frauenbeauftragte. In diesem Jahrtausend hätte Alf so ein Ding nicht straffrei durchziehen können.
Schuld an dem Vorfall war natürlich nicht Alf, sondern sein Doktor. Denn der gab Alf auf, das eine oder andere Kilo abzunehmen. Da gab es seinerzeit so ein Mittel namens Herbalife. Heute gibt es ja viele dieser Formula Diäten a la Almased, aber Herbalife mit seinem System eines florierenden Direktvertriebs auf Kommissionsbasis war und ist Marktführer in dieser Kategorie.
Alf wurde nicht müde, die Vorzüge dieses Pulvers auf Eiweißbasis zu preisen. Sollte er damit eine Akquise bezweckt haben, war er aber eher erfolglos. Keiner von seinen Kollegen wollte auf diesen Zug aufspringen. Über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen tauschte er sämtliche Mahlzeiten gegen ein Gemisch aus Herbalife Pulver und H-Milch mit einem Fettgehalt von 0,3 % aus.
Er steigerte sich sogar noch richtig intensiv in die Materie hinein und verzichtete in der Zeit auf jeglichen Alkoholgenuss. Man muss sich das einmal vorstellen: Der uns bekannte Genießer verzichtete urplötzlich auf kalten, gegrillten Schweinebauch mit Senf auf Brot. Keine Hausschlachtewurst oder stinkenden Schmierkäse mehr. Da waren außer mir noch Max, Buck oder auch Detzer richtiggehend geschockt.
Ob eine Gewichtsreduktion damals augenfällig geworden war, vermag ich nicht mehr zu sagen. Ich kann mich lediglich daran erinnern, dass Alf in dieser Phase richtiggehend euphorisiert über den Gang schwebte. Für mich bestand kein Zweifel, dass er mit seinem Umstieg auf Herbalife den richtigen Schritt gemacht hatte. Wenn ich zu dem Zeitpunkt bereits mein höchstes Kampfgewicht von 2017 (125 kg) erreicht gehabt hätte, wäre Herbalife auch für mich eine machbare Alternative geworden.
Das diese Ernährungsumstellung bei Alf nicht lange vorhalten konnte, war uns allen natürlich klar gewesen. Und so begab es sich an einem Mittwochvormittag, dass Alf uns den Generator vorstellte. Wahrscheinlich wurde an diesem Tag der EDV Zahllauf durchgeführt. Für unser Publikum ist Mittwoch eh geschlossen; In den 90ern die Gelegenheit, das eine oder andere Ereignis zu feiern.
Weiß der Teufel, woher Alf dass mit dem Generator aufgeschnappt hatte. Aber das Rezept dieses Getränks ist relativ einfach umzusetzen. Der Drink besteht aus einem Drittel Milch, einem Drittel Weinbrand und einem Drittel Eierlikör. Da Alf gerade noch die 0,3 prozentige
H-Milch im Kühlschrank eingelagert hatte, ergriff er die Chance zu einem kalorienarmen Drink am Mittwochmorgen.
Die üblichen Verdächtigen hatten das Gesöff probieren dürfen. Mir kam spontan der Begriff „Schlüpferstürmer“ in den Sinn, als ich dieses süße und klebrige Getränk probiert hatte. So wie ich nahmen dann auch die anderen Abstand vom Genuss dieser exklusiven Spezialität. Da waren Kopfschmerzen vorprogrammiert.
Für Alf gab es derartige Bedenken nicht. Er machte das Wasserglas bis obenhin voll und trank es im Tempo seiner Herbalife Mischungen leer. So wie man ein Glas Milch eben hinunterschluckt. Leider war sein Körper eher auf Herbalife eingestellt; kein Wunder nach der Komplettumstellung über zwei bis drei Wochen.
Obwohl es wie immer faszinierend zu beobachten war, wie der Kollega binnen kurzer Zeit Farbe ins Gesicht bekam und seine Laune merklich fröhlicher wurde, blieb ich nur kurze Zeit in seinem Büro. Seinerzeit hatte ich bereits genug Postrückstände gehabt, um die ich mich nur in den Zeiten ohne Publikum kümmern konnte.
Erst am Nachmittag, so nach 15.00 Uhr, schaute ich zum Abschied des Tages nochmals in seinem Büro vorbei. Und da hing er bereits entspannt ab. Seinen wohl etwas zu schwer gewordenen Schädel hatte er auf der Schreibtischunterlage geparkt. Seine Brille hing dabei auf halb Acht und war dazu noch mit dieser milchigen Flüssigkeit – dem Generator – beschmutzt.
„Aufstehen, Alf! Es ist Zeit, Feierabend zu machen:“ Ich rüttelte an seiner Schulter, worauf Alf seinen Kopf gerade noch mühsam anheben konnte. Vollkommen orientierungslos schauten seine Glubschaugen zu mir auf. Er war noch vollkommen weggetreten. Ist ja nun wirklich nicht überraschend, wenn man derart unsanft aus dem Schlaf gerissen wird.
Bis heute eingeprägt hat sich bei mir vor allem das Relief aus kleinen Karos am unteren Rand der Schreibtischunterlage, die sich in seine Stirn eingemeißelt hatte. Dazu war er klitschnass geschwitzt gewesen. Man kann hier getrost von einer hilflosen Person sprechen, dessen Aussprache für Nichteingeweihte unverständlich sein musste.
„Wo bin ich? Hartmudo! Du bist es. Wo bin ich?“ Keine Frage, Alf hatte eindeutig die Peilung verloren. Er brauchte ein paar Minuten, dann wurde er so langsam wieder klar und konnte sogar den blauen Bock selbstständig verlassen. Ein paar Tage danach experimentierte er zwar noch mit Herbalife weiter herum, aber dieser Versuch war eher von kurzer Dauer und Alf war somit kein anhaltender Erfolg beim Abnehmen beschieden gewesen.
Erst ein paar Tage später erfuhr ich von seiner damaligen Vertreterin Babett, die seinerzeit auch auf der legendären Grannitour mit Onkel Hotte dabei war, dass sich Alf an dem Tag des Generators ein besonderes Stück bei ihr geleistet hatte.
Frohgelaunt hatte Alf Babett überreden wollen, doch auch mal ein Glas mit dem Generator zu probieren. Den Gefallen tat sie ihm noch, aber als er sie überreden wollte, mit ihm weiter zu trinken, da musste sie passen. Babett trank zwar privat gerne mal einen mit, aber im Büro war sie für derartige Aktionen einfach nicht zu haben.
Irgendwann war Alf dann vollkommen knatter und wollte seiner Kollegin demonstrieren, wie viel er dank des Herbalife bereits abgenommen hatte. Stinkbesoffen zog er sein Hemd aus und machte auch den Oberkörper frei. Babett sollte nun an seiner Brustbehaarung (davon hatte er reichlich) kraulen. Dieses Ansinnen hatte Babett mit einem lauten Lachen selbstverständlich abgelehnt.
Babett beschwerte sich damals nicht über diese Belästigung, die in den 90ern auch schon ein No Go gewesen war. Denn sie war, wie die anderen Kolleginnen in der Abteilung auch, nicht aus Zucker gemacht und lachte lediglich über die krude Show, die ihr von Alf geboten wurde. Eine eher zart besaitete Kollegin wäre sicherlich schreiend zum Chef gerannt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen