Donnerstag, 8. Oktober 2020

H. Lecter: Alf

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Überhaupt sprach er von seiner Frau immer in den höchsten Tönen. Ich habe nie ein schlechtes Wort von Alf über seine Frau gehört, das ist schon außergewöhnlich. Natürlich war sie bei all unseren Touren nie mit dabei. Sicherlich hatte sie mit Alf schon einiges durch. Doch ich würde sie im Gegensatz zu Alf nicht als Partymaus bezeichnen. Da gingen die Ansichten der beiden Eheleute auf keinen Fall synchron.
Hierzu habe ich eine passende Szene parat. Ort dieser Szene war das bekannte und überaus beliebte Schadts Brauhaus in der Braunschweiger Innenstadt. Aus welchen Gründen auch immer – nach Feierabend hatte ich die Jungs mit nach Braunschweig genommen, wo wir es uns bei Schadts an der Theke gemütlich gemacht hatten.
Es war wohl die Zeit Ende der 90er Jahre. Zu der Zeit war ich stolzer Besitzer eines Fiat Pandas mit 1000 ccm. 45 PS und die Sitze konnte man getrost als Gartenmöbel bezeichnen. Wir saßen dort mit 4 Leuten in der Karre; Keiner von uns hätte beim Ringen oder Judo im Papier- oder Federgewicht antreten können. Wenn ich es mir recht überlege, wäre Sumo für uns die richtige Sportart gewesen.
Außer Alf und mir saßen noch die Kollegas Wastl und Mike mit in der Karre. Diese beiden Spezis hatte ich seinerzeit häufiger mit in die Braunschweiger Innenstadt mitgenommen, da sie dort montags mit Freunden in die Möwenpick Sauna zu gehen pflegten. Zuvor war natürlich erst einmal die eine oder andere Runde bei Schadts fällig. War ja auch praktisch, da der Laden gleich um die Ecke von der Sauna war.
Was da heute statt der Sauna drin ist, weiß ich jetzt gar nicht. Aber ich weiß, dass die Sauna irgendwann zu Beginn dieses Jahrtausends abgebrannt war. Und warum Alf da mal mitfuhr statt unseres Chefs Sylvester, weiß ich auch nicht mehr. Nur, dass Alf natürlich nicht mit in die Sauna ging. Ich übrigens auch nicht, das machte ich nie.
Ach ja, Alf wollte sich mit seiner Frau treffen, das muss es gewesen sein. Jedenfalls ging der Spaß bereits auf der A 39 los. Obwohl ich die vollbesetzte Karre auf 120 km/h hoch gekitzelt hatte, bekam ich beim „Thieder Berg“ natürlich Probleme. Dieser steile Hügel wurde in späteren Jahren abgetragen und durch eine längere, dafür sanfte, Steigung ersetzt. Die Jüngeren werden den Thieder Berg also nicht mehr kennen.
Oben, auf der Hügelkuppe… Dort, wo man die Hochhäuser der Danziger Straße gut sehen kann, war ich endlich im zweiten Gang angekommen. Fast hätten wir den Panda noch schieben müssen. Doch für uns 4 Schwergewichte war die Karre natürlich untermotorisiert und wurde in der Steigung schnell langsamer. Selbst mit durchgetretenem Gaspedal konnte ich das Tempo nicht halten.
Bergab, Richtung Braunschweig, brachte meine Rennsemmel dann doch glatt 140 Sachen. Da wirkten sich unsere Lebendmasse endlich mal positiv aus. Einen Parkplatz bekam ich bei Schadts um die Ecke, damals ging das noch. Laut ächzend quälten sich Alf und Mike von dem Rücksitz aus dem engen Zweitürer ins Freie.
Kurz darauf saßen wir auch schon im Schadts wie die Hühner auf der Stange an der Theke. Links, also quasi unterm Zapfhahn, saß Alf. Der Reihe nach folgten Mike, meine Wenigkeit und Wastl. Jeder von uns hatte ein naturtrübes Pils vor sich stehen, wenn auch nicht lange, da bei uns die Schlagzahl traditionell immer hoch war.
Schnell stand auch schon die zweite Rutsche auf dem Tresen und schon war Alf wieder in seinem Element. Jetzt hatte er seine Betriebstemperatur erreicht! Mir fällt da sofort dieser schöne Song von Marius Müller Westernhagen ein: „Hier in der Kneipe, da fühl ich mich frei…“ Ich glaube immer noch, dass dies bei Alf auch wirklich so war. Von all den Zwängen, die er glaubte, erfüllen zu müssen (Kirche, Umgang in vornehmen Kreisen etc.), wurde er in der Kneipe verschont.
Dank eines leicht beschwipsten Kopfes am Beginn der Zecherei verfiel er regelmäßig in einen euphorisierten Zustand und steigerte sich kontinuierlich in seiner Fröhlichkeit. Ab dem Zeitpunkt war Bier immer zu wenig gewesen. Alf musste dann immer die Oktanzahl in die Höhe schrauben. Da er leider eine Schwäche für süße Likörchen hatte, ging das dann in schöner Regelmäßigkeit übel aus. Denn die Likörchen pflegte er im selben Tempo wie das Bier zuvor zu trinken.
Dies bezeichnete er typischerweise immer als „Druckbetankung“. Dieser legendäre Begriff wurde von Alf erstmals urkundlich erwähnt und wird von mir noch heute verwendet, auch wenn ich mit ganz anderen Leuten am Zechen bin. Bei Alf führte dies zumeist dazu, dass seine gute Stimmung irgendwann endete. Einfach nur, weil er breit wie ein Pisspott war. In der Regel fiel er dann hin oder pennte im Sitzen ein.
Im Schadts bedeutete dies, dass Alf eine Rutsche Jägermeister für alle außer Wastl orderte. Wastl blieb aber nur außen vor, weil er kein Schnapstrinker war. Ich habe Wastl bis heute niemals mit einem Schnaps gesehen. Ein Jägermeister geht ja schnell – aus der Kühlung im geeisten Glas! Die einzige zivilisierte Art, das Gebräu zu konsumieren.
Zweite Runde… Dritte Runde… Schwupps – Alf hatte in kurzer Zeit 9 Striche für die Jägermeister auf seinem Deckel stehen. Die 2 oder 3 Kreuze für die Biere fielen da kaum noch auf. Jetzt kommt allerdings der Kracher: Alf nahm seinen Deckel von der Theke, drehte sich zu Mike herum und redete auf ihn ein, derweil ich mich mit Wastl in ein Gespräch vertieft hatte. Mike unterband dieses Gespräch.
Mit Alfs Deckel in der Hand hatte Mike sich zu mir umgedreht und erklärte mir die Situation. Alf wartete auf seine Frau, deren Ankunft er in den nächsten Minuten erwartete. Offenbar wollte Alf vermeiden, dass seine Frau die vielen Striche für die Jägermeister auf seinem Deckel bemerken könnten. Er bat mich, den Deckel für ihn zu bezahlen. Das Geld würde ich am nächsten Tag im Büro bekommen.
Ziemlich krude, oder? Um das Geld machte ich mir verständlicherweise keine Sorgen. So etwas ist Ehrensache, da gibt es keine zwei Meinungen. Krass ist das Argument, welches Alf an Mike noch nachgeschoben hatte. Falls seine Frau ihn allein schon wegen der Jägermeister maßregeln würde, dann könnte er ihr sagen, dass wir (Mike, Wastl und ich) ihn zum Saufen gezwungen hätten.
Was geht nur in einem Menschen vor, der seiner Frau mit solchen Argumenten kommt. Die müsste sich doch total verarscht vorkommen. Das ist so wie der Spruch „sie mag es halt etwas härter.“
Tja, unser Alf konnte noch so besoffen sein, aber seine Zwänge holten ihn immer wieder ein. Außer im Zustand des Verlustes der Muttersprache natürlich. Dabei wurde es gar nicht so schlimm. Seine Frau kam in die Kneipe und sagte uns allen höflich guten Tag. Ohne ein Wort der Kritik nahm sie ihn mit und ließ uns mit den Bieren allein.
Ohne Alf nahmen wir noch ne Runde Pils. Ohne Jägermeister.

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