Gerrit Wustmann schiebt noch einen nach und setzt sich mit der Kritik an seinem Artikel über die positiven Aspekte eines Home Office Arbeitsplatzes auseinander. Das ehrt ihn
natürlich, doch irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass er hier über etwas schreibt, wovon er aus eigener Tätigkeit heraus selber keine Ahnung hat.
Ein wesentlicher Kritikpunkt an seinem ursprünglichen Artikel war die fehlende soziale Interaktion der Mitarbeiter untereinander. In einer Gesellschaft, in der eine Vielzahl
von Menschen ihre sozialen Kontakte wie Beziehungen und Freundschaften über ihren Arbeitsplatz aufbauen, haben die Menschen bei verstärktem Home Office Einsatz leichte Probleme mit den Folgen. Sie vereinsamen spürbar,
zumal die sozialen Medien wie Instagramm oder Whatsapp in der heutigen Zeit die sozialen Kontakte sowieso schon mehr als ergänzen, stellenweise gar komplett ersetzen.
Ich finde es da auch nur logisch, dass sich überwiegend ältere Menschen, die ihre sozialen Kontakte schon gefunden haben und auf eine Ausweitung ihres Freundeskreises getrost
verzichten können, für eine möglichst 100prozentige Beschäftigung im Home Office aussprechen. Schließlich müssen sie all die vereinsamten Soziopathen auch nicht ertragen.
Wustmann versteigt sich nach kurzer Zeit in der These, dass Vorteile für extrovertierte Mitarbeiter, die sich besser darstellen können, im Home Office wegfallen würden.
Wovon träumt der Mann nachts? Gerade extrovertierte Typen, die auch schon mal dazu tendieren, Mimik und Gestik vor dem heimischen Spiegel einzustudieren, können sich im Home Office gut präsentieren.
Nur in einer Videokonferenz habe ich schließlich die Möglichkeit, das Sichtfeld der Teilnehmer einer Besprechung auf einen für mich vorteilhaften Blickwinkel einzuengen.
Mit einer derartigen Fixierung auf meine Mimik / Gestik kann ich eine positive Wahrnehmung meiner Person gezielt optimieren. Das „fleißige Bienchen“, welches lediglich durch gute Arbeit glänzen kann,
unternimmt diese Anstrengungen eher nicht.
Und machen wir uns nichts vor: Arbeitseinsatz wie auch Arbeitsergebnisse lassen sich zuhause leichter vortäuschen bzw. „optimieren“ als im Büro, wo der Chef
jederzeit um die Ecke gucken kann. Im Home Office bestimme ich, was mein Chef von mir wahrnimmt. Wenn ich ein Lowperformer wäre, müsste ich lediglich einen finden, der die Arbeit für mich unauffällig erledigt
und mir diskret zukommen lässt.
Für einen Journalisten wie Wustmann, der sicherlich nicht 40 Stunden in der Woche in einem Bürogebäude sitzen muss - vielleicht sogar noch in einem Großraumbüro
- müssen die an solchen Orten stattfindenden gruppendynamischen Prozesse fremd erscheinen. Hier kann ich immer wieder nur betonen, dass „Stromberg“ zwar in Art einer Mockumentary abgedreht wurde, die dort
geschilderten Intrigen und menschlichen Tragödien aber durchaus real sind.
Man darf nur nicht vergessen, dass solche zwischenmenschlichen Kontakte sowohl negativ wie positiv ablaufen - wie im richtigen Leben halt. Leider reduzieren manche Zeitgenossen ihre
Kontakte zu Kollegen auf überflüssigen Smalltalk und erkennen gar nicht, dass ihnen ein Mesch gegenüber steht.
Ich möchte es mal so formulieren: Wenn ich meine zwischenmenschlichen Kontakte auf Freunde und Verwandte, bzw. mir genehme Leute, beschränken würde und Gespräche
mit fremden Leuten, selbst mit Kollegen, mit denen ich jeden Tag zusammenarbeite, als unnötige Last und lästig empfinden wollte, wäre ich ein armer Wicht.
Wir „alle“ sind doch immer so weltoffen, politisch stets im Bilde und tun immer das Richtige. Wie kann man da Menschen, die ein anderes Weltbild als man selbst, haben,
als unwürdig für ein persönliches Gespräch ansehen? Aber ich schweife schon wieder ab. Mein Fazit: Der Blender kommt im Gegensatz zur Meinung von Herrn Wustmann im Home Office besonders zur Geltung. Stromberg
lässt grüßen.
Viel wichtiger als die Karrierechancen im Home Office dagegen finde ich die Gefahr einer weiteren Spaltung unserer Gesellschaft in eine Zweiklassengesellschaft. Denn dank der fortdauernden
Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus werden Tätigkeiten mehr und mehr ins Home Office verschoben. Doch dies ist nicht überall möglich.
Gerade im sozialen Bereich als auch im Einzelhandel geht es in der Regel nicht ohne eine Präsenz des Arbeitnehmers vor Ort; ein Arbeiten im Hintergrund ist dort häufig
(noch) nicht machbar. Und wenn dann dereinst die technischen Voraussetzungen geschaffen sein sollten, werden diese Arbeitsplätze nicht im Home Office verschwinden, sondern in der Versenkung.
Gleiches gilt selbstverständlich auch für Arbeitsplätze wie Hausmeister und Reinigungskräfte in den vielen Bürogebäuden, die dann im Extremfall leer
stehen. Ganz so schnell geht das natürlich nicht, denn dies ist ein schleichender Prozess. Ich sag nur: Das Kapital in seinem Lauf hält weder Gender noch ein Öko auf.
Bereits jetzt ist eine Spaltung in „Homies“ und systemrelevante „Vor-Ort-Larries“ sichtbar. Und während die Leute, die eh kaum aus ihren Büros rauskamen
und ansonsten in ihr Büro mit dem eigenen PKW fuhren, in Coronazeiten mit Home Office belohnt werden, darf sich der Rest als systemrelevant fühlen und ist ansonsten einem erhöhten Risiko der Infizierung in
freier Natur ausgesetzt.
Da fordern die Homies gar noch Telefon- und Stromkosten in ihrem Home Office, wo sie doch bereits die Fahrtkosten zum Arbeitsplatz sparen. Mein Vorschlag hierzu: Zulagen und Prämien
bekommen all diejenigen, die aufgrund ihres Jobs „vor Ort“ arbeiten müssen, da sie ja einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Dann brauchen die Homies auch nicht mehr auf ihren Balkonen zu klatschen.
Du merkst schon, aus mir spricht der Neid, weil ich nicht im Home Office arbeiten kann. Viele Menschen empfinden Neid auf die vermeintliche Elite im Home Office, das geht mir natürlich
ebenfalls so. Ich würde einerseits gerne zu Hause sitzen und die Freiräume, die eigentlich (fast) jeder Bürojob mit sich bringt, für sinnvolle Beschäftigung nutzen, statt mit Kollegen übers Wetter
zu reden. Als älterer Mensch würde ich deshalb gerne zu dieser Elite zählen.
Andererseits sind die Gespräche mit Kollegen natürlich nicht wirklich schlimm, wie ich weiter oben bereits erwähnte. Zumindest bekomme ich dabei zusätzlichen
fachlichen Input, den ich im Home Office nicht bekomme, weil ich dort einfach abgehängt bin. Und wer jetzt immer noch meint, dass ein Vorteil im Home Office sei, dass man sich nicht mehr mit den vielen Idioten aus dem
Büro auseinandersetzen muss, dem rufe ich entgegen: Herzlichen Glückwunsch! Wer den Umgang mit seinen Mitmenschen als schwere Last erlebt, mag ja auch einen großen Freundeskreis haben, hat aber gleichfalls
noch Optimierungsbedarf im zwischenmenschlichen Bereich.
Das möchte ich für mich nicht so akzeptieren, obwohl ich im Alter zunehmend störriger werde.
So - Und wenn ich im Home Office bin, dann schreibe ich eine Fortsetzung und behaupte das Gegenteil. Komm, komm, schnell .... Ich will das Gegenteil behaupten können...
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