Sonntag, 8. März 2020

H. Lecter: Alf


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In Istanbul gab es im Stadion bekanntlich nichts zu trinken. Ganz anders sah es bei unserer Fahrt zum Pokalendspiel nach Berlin aus. 1995 war das. Die Partie lautete Borussia Mönchengladbach gegen VfL Wolfsburg.
Wir rückten zu dem Spiel in illustrer Besetzung an. Neben Alf und meiner Wenigkeit waren Max, Klaus-Ewald und Moritz mit dabei. Wastl, Mike, Sylvester (unser damaliger Abteilungsleiter) sowie Onkel Hotte waren ebenfalls mit von der Partie.
Mit Fug und Recht konnte man unsere Gruppe (bis auf Klaus-Ewald) als gestandene Trinker bezeichnen; Moritz mochte bloß kein Bier! Allerdings auch keinen Fußball, aber das hinderte ihn nicht daran, mit zum Pokalendspiel ins Berliner Olympiastadion zu kommen. Wenn die Action rief, war Moritz immer mit dabei! Dies galt übrigens seinerzeit auch für Klaus-Ewald, möchte ich der Form halber noch erwähnen.
Noch bevor der Zug nach Berlin in Braunschweig auf den Bahnhof einrollte, hatten wir die ersten Dosen geleert – Bacci-Cola für Moritz und ebendiese Mischung für Alf natürlich zusätzlich. Bei ihm musste es ja immer fix gehen. Der Zug war schon überfüllt, so dass wir keine Sitzplätze mehr ergattern konnten und stehen mussten.
So stand ich dann – ich habe dieses Bild heute noch vor Augen – mit Max und Klaus-Ewald an der Tür des Abteils eines Großraumwagens. Neben uns standen zwei St. Pauli Fans in Antifa Mode, mit denen wir uns angeregt über das bevorstehende Spiel unterhalten hatten. Parallel dazu beobachteten wir zusammen Alf, der sich aus unserer Gruppe fortbewegt und sich hinter dem Sitz einer jungen Frau aufgebaut hatte.
„Das gibt’s doch nicht! Dieser alte Sack, wie schafft er das bloß?“ Der Anarcho vom Millerntor und sein Kumpel waren total perplex ob des Bildes, das sich uns bot. Alf und die Frau scherzten und lachten, dass es nur so eine Freude war. Für die Pauli Fans war das unfassbar, dass Alf so schnell mit der jungen Frau ins Gespräch kam. Und als Alf ihr dann von hinten an die Brüste griff und dieselben leicht massierte, kamen sie gar nicht mehr klar. Die junge Frau juchzte begeistert und den Trägern der Totenkopf T Shirts fiel doch glatt die Kinnlade runter.
Für meine Kollegas und mich dagegen kam das nicht überraschend, wir kannten unseren Kameraden ja zur Genüge. Wie uns Alf hinterher erzählte, hatte er sich einfach hinter den Sitz des Mädels (und ihrer Freundinnen) gestellt und sie gleich eingeladen, mit ihm einen zu trinken. Weiß der Teufel, wo er die Schlüpferstürmer her hatte!
Die Frauen, die wohl auf einem Junggesellinnenabschied unterwegs waren, ließen sich von Alf nicht lange bitten, zumal sie selbst schon das ein oder andere Sektchen weggepichelt hatten. Alf, der alte Charmeur, brauchte nur noch die kleinen Spaßmacher zu verteilen und schon war er im Gespräch mit den Damen.
Dabei hatte es ihm offensichtlich die leicht rundlich wirkende Frau mit der schwarzen Brille angetan, hinter deren Sitz er seinen Astralkörper platzieren konnte. Wie wir das von ihm kannten, schmiss er mit Komplimenten nur so um sich und fragte die Frau, ob sie etwas dagegen hätte, wenn er mal ihre Brüste streicheln würde.
Und einem derart liebenswürdigen Mann, der so lustig daherkommt und dann noch höflich ohne Hintergedanken fragt, kann man bekanntlich nichts abschlagen. Jo mei, was für a Gaudi! Der Junggesellinnenabschied wird zumindest dieser Frau unvergesslich bleiben. Tatsächlich verabschiedete sich der Tittengrabscher gleich darauf höflich und kehrte zu unserer Gruppe zurück.
Die St. Pauli Fans hatten jedenfalls in Alf einen neuen Helden gefunden und tranken mit uns voller Respekt noch die eine oder andere Bierdose. So verbrachten wir die Zeit bis zur Ankunft in Berlin – Bahnhof Zoo, wo sich die Wege von uns und den Pauli Boys trennten. Wir sammelten erst einmal unsere Truppe auf dem Bahnsteig zusammen.
Welcher Teufel mich dann geritten hatte, weiß ich nicht. Gut angesoffen und voller guter Laune setzte ich mich in einen dort herumstehenden Einkaufswagen und ließ mich von Alf und den anderen laut gröhlend über den Bahnsteig schieben. Dabei fielen wir unter den vielen Fußballfans noch nicht einmal großartig auf.
Ausgelassen und fröhlich wie wir waren, wollten wir noch ein wenig vor Spielbeginn über den Kudamm wandern. Der ist bekanntlich nicht weit vom Bahnhof Zoo entfernt, für Alf offenbar aber noch zu weit.
Gleich hinter dem Bahnhof war eine durchgehende Sitzbank rund um einen jungen Baum platziert. Auf der hölzernen Sitzfläche lagen bereits zwei wahrscheinlich obdachlose Männer, die dort ihren Rausch ausschliefen. Ansatzlos ergriff Alf die Gelegenheit und sicherte sich den letzten Liegeplatz auf dieser Bank, um gleich darauf in das Schnarchen der beiden anderen Schnapsdrosseln einzufallen.
Als ob jemand einen Schalter umgelegt hätte. Eben war er noch quietschfidel und auf einmal schlief er ein, wo auch immer er sich gerade befunden hatte. In dem Zustand konnte man Alf wahrlich als hilflose Person bezeichnen.
Den anderen war das überwiegend egal, sie waren im Zug ob der Aktion mit dem Mädel noch hellauf begeistert gewesen, doch nun erwies sich Alf als unnötiger Ballast, um den man sich nicht kümmern wollte. Diese Ansicht wurde jedoch überwiegend von Wastl, Hotte, Mike und Sylvester vertreten, die mit Alf bereits in Salzgitter entsprechende Erfahrungen gemacht hatten. Da habe ich selbst Sachen miterlebt….
Egal. Wir trennten uns einfach. Alle anderen gingen weiter zum Kudamm, während ich allein auf den schlafenden Alf aufpasste. Unsere Eintrittskarten fürs Spiel hatten wir bereits erhalten, daher würden wir uns spätestens zum Spiel im Olympiastadion treffen.
Vom schlafenden Alf zwischen den Pennern hatte Klaus-Ewald noch ein Foto geschossen, auch von meiner Fahrt im Einkaufswagen. Leider weiß ich nicht mehr, wo diese Fotos abgeblieben sind.

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