Montag, 23. September 2019
Hartmudo: Mutter
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Nach dem Fiasko mit der Wohnungsauflösung von Mutters Heim hatte ich Sunny gegenüber ein schlechtes Gewissen. Wütend war ich dazu noch auf mich selbst, weil ich Sunny mal wieder nicht vertraut hatte. Wobei mein Misstrauen natürlich nicht gänzlich unbegründet war, wie ich bereits geschildert hatte. Aber anstatt das Heft selber in die Hand zu nehmen und zu handeln hatte ich gar nichts gemacht, sondern Sunny einfach gewähren lassen.
Und als ich endlich reagierte und Sunny mit der Wohnungsauflösung dank Siggis Tipp ausstechen konnte, da war es auch noch falsch. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn Berta das Angebot nicht auf den Stand von Sunnys Deal gebracht hätte. Sunny wäre uns mit beißendem Spott entgegengetreten. Und das mit Recht.
Dazu kam an diesem Freitagabend erschwerend noch dazu, dass Sunny mir ein wirklich niedliches Foto von einem ihrer Pferde mit einer Weihnachtsmütze auf dem Kopf per WhatsApp als Weihnachtsgruß schickte. Mein schlechtes Gewissen meldete sich sogleich zu Wort und qüälte mich. Dass meine Löwin auf ihrer Weihnachtsfeier verweilte und ich allein zuhause mit den Katzen saß, half mir auch nicht weiter.
Am Samstag dann waren meine Löwin und ich auf der Weihnachtsfeier des VdK in Salzgitter. Das brachte mich vorübergehend auf andere Gedanken, denn dort ist es immer ganz nett. Wir sitzen dort mit Dora und Herbert zusammen und hatten hinterher wohl auch noch Solo gespielt. Der Schlachter dort in Salzgitter Bad, der auch das Catering für die Feiern des VdK übernimmt, ist preiswert, dafür aber sensationell. Das Thüringer Mett ist zum Niederknien, davon nahmen wir gleich ein ganzes Kilo mit.
An diesem Samstagabend schaffte es Sunny mal wieder, meinen Puls hochzutreiben. Sie überraschte mich mit einer WhatsApp. Wir hatten uns zwischenzeitlich zu einem Treffen am Sonntag durchgerungen, weil Sunny die Wohnung noch einem Nachbarn von Mutter anbieten wollte.
Berta und ich waren damit einverstanden, allerdings vorrangig wegen Sunny. Sie war schon beim Treffen mit dem Makler unzufrieden mit dem Verkaufspreis gewesen. So wie Berta und ich blind auf Siggis Tipp bezüglich der Wohnungsräumung gehört hatten, so hatte sich Sunny auf die unqualifizierte Aussage der Freundin von Dörte bezüglich eines möglichen Verkaufspreises der Wohnung verlassen.
125.000€ waren als Verhandlungsbasis bzw. ersten Preis eines Wohnungsangebotes mit dem Makler vereinbart. Den schriftlichen Auftrag an ihn hatte ich bereits formuliert und ausgedruckt. Es fehlte lediglich noch Sunnys Unterschrift, dann könnte ich den Auftrag an den Makler erteilen. Beim Termin mit dem Nachbarn am Sonntag wollte ich den Schrieb mitnehmen, das wäre ja eine passende Gelegenheit.
In der WhatsApp ätzte Sunny wegen des eventuellen Verkaufspreises an den Nachbarn rum. Sie beklagte sich darüber, dass wir bislang keinen Preis für den Nachbarn abgesprochen hatten. Da hatte sie zweifelsohne recht, das hätten wir ja mal machen können. Berta und ich hatten uns aus den bekannten Gründen - also weil wir von Sunny genervt waren, sie nicht mal mehr sprechen wollten etc. - mit dem Preis nicht auseinandergesetzt.
Sunny hatte eine Preisvorstellung von 135.000€, was meiner Meinung nach utopisch war. Dann beklagte sie sich sogar noch darüber, dass ihre Meinung nicht zählen würde und Berta und ich mich abgesprochen hätten. Wir wären uns „mal wieder einig" gewesen.
Übrigens habe ich diese WhatsApp nicht mit zweien meiner Freunde, die beide seit Jahren als Psychotherapeuten tätig sind, durchgesprochen. Denn die Paranoia, die aus Sunnys Sätzen sprach,war mehr als augenfällig. Zugegebenermaßen war mir das egal; ich dachte nur so bei mir, dass ich sie deswegen nicht zurückzurufen brauchte, wenn Sunny eh schon der Meinung ist, dass Berta und ich alles ohne sie absprechen würden. So weit kommt es noch,dass ich mich für ihre Paranoia rechtfertige, indem ich sie anrufe. Anderen ein schlechtes Gewissen durch solche Ansagen einzureden war auch eine „Stärke" von unserer Mutter gewesen. Dem Affen geb ich doch keinen Zucker!
Statt mit Sunny hatte ich dann wohl noch mit Berta gesprochen und ihr die WhatsApp vorgelesen. Ich konnte durch den Telefonhörer förmlich spüren, wie Berta mit dem Kopf schüttelte. Dass wir uns gegen Sunny verbündet hätten, war einfach lächerlich. Berta und ich hatten uns die ganz Zeit bemüht, auf Sunnys Eskapaden einzugehen. Es war ja im Gegenteil so, dass Sunny - wohl wegen ihrer Paranoia - Berta und mich mit Beschimpfungen und aggressiver Mimik unter Druck setzte.
Und irgendwann zieht dieses Verhalten nicht mehr, besonders dann, wenn man es wie wir von unserer eigenen Mutter her kennt. Selbst dann noch hatten Berta und ich versucht, Sunny zu informieren oder mit einzubeziehen. Den großen Knackpunkt, als Berta den Schmuck aus Mutters Wohnung in Sicherheit brachte, muss ich mir zwar auf die Fahnen schreiben, weil ich es schlichtweg vergessen hatte, Sunny davon zu informieren. In der Folge versuchte ich mehr als einmal Sunny zu erklären, dass es keine Absicht war, sondern ich es schlichtwegergreifend versäumt hatte, sie informieren.
Heute glaube ich, dass mein kleiner Fauxpas eigentlich egal war. Sunny war vielmehr froh, endlich einen Grund zu haben, um vor allem Berta etwas vorwerfen zu können. Dank ihrer Paranoia brauchte Sunny ein Arschloch, dass ihr übel mitgespielt hatte. Mit der Maske eines unschuldigen Opfers ist Sunny bereits ihr ganzes Leben durch die Welt gegangen. Bislang hatte ich das nur nicht gesehen, weil sich die Kontakte zu Sunny auf wenige Male pro Jahr in sehr engen Grenzen hielten.
Auf alle Fälle war ich an einem Punkt angelangt, an dem mich die Streitereien mit Sunny richtig fies belasteten, so dass ich den kompletten Schriftkram liegen ließ. Nach den vielen Auseinandersetzungen mit ihr raste mein Puls häufiger in schwindelerregende Höhen. Immer dann, wenn sie mal ansprechbar war und phasenweise ruhig wie freundlich agierte, war ich davon total überrascht und freute mich wie ein kleiner Junge. Wenn ich glaubte, jetzt verlaufen unsere Gespräche im zivilisierten Rahmen, da holte sie die Peitsche raus und schrie rum wie eine Furie.
An den Tagen, an denen ich mich mit Sunny beschäftigen musste, fehlte mir die Kraft für andere Sachen. Weder für meine Betreute, die Gräfin, um die ich mich per Amtsgerichtsbeschluss kümmerte, noch Rechnungen oder sonstige Schreiben wegen unserer eigenen Wohnung etc. konnte ich da abarbeiten. Viele wichtige Tätigkeiten blieben da einfach liegen. Als ich an diesem Samstag Berta alles ausführlich schilderte, machte auch sie aus ihrem Herzen keine Mördergrube und schilderte mir ihre Sorgen frei heraus.
Am Montag , also in zwei Tagen, hätte sie einen Termin zur Lymphdrainage gehabt, diesen aber wegen der Eierei mit Sunny abgesagt. Es ging dabei um eine Lymphdrainage ihrer Brust als Kontrolluntersuchung, denn Berta hatte vor 15 Jahren Brustkrebs gehabt. Die Metastasen sind seitdem nicht wieder aufgetaucht, aber wegen des tierischen Stresses dank Sunny befürchtete Berta ein Wiederausbrechen ihrer Krebserkrankung.
Nicht zum ersten Mal erzählte sie, dass sie von Sunny in ihrer Kindheit unterdrückt wurde. Die kleine Berta drückte sich schon Ende der 50er Jahre still und leise in die nächste Ecke, machte sich ganz klein. Sunny dagegen schrie sie an und drückte immer ihren Willen durch. Erst wenn Sunny irgendwann mal nicht weiterwusste, war Berta gut genug, um ihr aus der Klemme zu helfen. So ging das über Jahrzehnte; sowohl in der Kindheit als auch später im Erwachsenenalter. All die Jahre hatte Berta sich das gefallen lassen und Sunny nach Kräften unterstützt. Schließlich ist Sunny ihre Schwester. Aber jetzt sollte endlich damit Schluss sein. Berta hatte es nach den letzten Streitereien noch schlimmer erwischt als mich. Denn sie war das Hassobjekt, an dem sich Sunny abarbeite. Die Fratze,die Sunny bei ihren aggressiven Anfeindungen gegen Berta immer in ihr Gesicht zauberte, sah schon sehr bedrohlich aus.
So etwas geht auf die Psyche. Durch Stress hätte der Krebs bei Berta schon wieder ausbrechen können, er tat es aber gottlob nicht. Vielleicht war diese Befürchtung von Berta tatsächlich etwas übertrieben, aber die schlaflosen Nächte nach dem einen oder anderen Streit der letzten Monate, bei denen sich Sunny extrem daneben benommen hatte, sind dennoch bedenklich. In diesen Nächten schlenderte Berta dann durch ihr abgedunkeltes Haus und glotzte Fernsehen bis zum Anbruch des nächsten Tages.
Berta und mir fiel dann noch auf, dass Sunny erst ab letzten Sommer, als es Mutter schlechter ging, alleine zu Mutter mit dem Auto fahren konnte, um sie zu besuchen. Erst als es etwas zu holen gab, so frotzelten wir, hatte sie angefangen, sich um Mutter zu kümmern. Davor waren nur Berta und ich dafür zuständig gewesen, sich um Mutter und/oder Walter zu kümmern. Ich selber allerdings eher weniger nach dem Streit wegen Walters Tod.
Sunny warf mir in der WhatsApp vor, dass Berta und ich uns gegen sie verschworen hätten. Ironischerweise hatte Sunny dies allein durch jene Whatsapp erreicht, dass sich dies hinterher auch tatsächlich so entwickelte. Das Ganze nennt man wohl selbsterfüllende Prophezeiung.
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