Freitag, 23. Februar 2018

Hartmudo Spezial: Mutter


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Nacheinander erhoben wir uns von den Stühlen, Berta als Älteste stand zuerst auf. Wir legten noch jeweils eine Rose auf die purpurne Decke. Mit gekreuzten Armen hielten meine Löwin und ich noch einmal inne. Dabei nahm ich lediglich eine nicht zu definierende Stimmung auf, an irgendetwas zu denken oder mich zu erinnern gelang mir nicht. Leer fühlte ich mich, anders kann ich es nicht beschreiben.
Nach und nach gingen wir zur Orgelbegleitung aus der Kirche hinaus. Dem Pastor drückte ich noch kurz die Hand; Etwas in die Kollekte zu legen, hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Draußen stellten wir uns auf der rechten Seite auf und nahmen die Beileidsbekundungen der Trauergäste entgegen.
Nach kurzer Zeit waren alle aus der Kirche heraus und ich erhob meine Stimme, um alle noch zum Imbiss ins La Vita im Einkaufszentrum von Melverode zu bitten. Leider war Krolls Mutter da schon verschwunden bzw. sie ging ihres Weges. Sie wollte nicht mit zum sogenannten Leichenschmaus, ich hatte sie bereits vor dem Trauergottesdienst gefragt. Die Abordnung des Pflegepersonals aus dem Heim hatte sich nach dem Handshaking augenblicklich verdrückt. Die hatten bestimmt Feierabend und wollten schnell ins Wochenende.
Da sich das Einkaufszentrum mit dem La Vita gut einen Kilometer entfernt befindet, bot sich ein kurzer Spaziergang durchaus an. Denn es war ja ein sehr sonniger Tag an diesem 30. September. Allerdings bedeutete dies auch, dass man anschließend den Weg zurück zum Auto laufen musste.
Ich bot laut an, voraus zu fahren. Für diejenigen, die nicht wussten, wo der Laden ist. Wahrscheinlich war ich aber zu leise, denn ein paar der Gäste hatten sich bereits weggedreht und waren schon an ihren Autos, fuhren bereits los. Sunny wollte zu Fuß gehen, der Großteil ihres „Clans" schloss sich ihr an. Aber wenigstens war meine Löwin die ganze Zeit bei mir. Sie ließ ich auch am Einkaufszentrum raus, weil es natürlich keinen Parkplatz gab.
Ich musste ziemlich weit weg parken und kam dann gerade noch kurz vor den Spaziergängern im La Vita an. Der Chef hatte uns nicht zu viel versprochen. Die Tische waren schön eingedeckt, auch draußen vor dem Lokal war ein großer Tisch für die Raucher präpariert.
Gleich von vornherein setzten sich Frankie und Grace nach draußen. Eigentlich gehörten sie ja nicht zur Familie und wollten wohl deshalb auch nicht stören. Das fand ich schade, denn auf die beiden hatte ich mich wirklich gefreut. Spätestens nach kurzer Zeit, noch vor dem Essen, gesellten sich auch Reiners Bruder und dessen Frau nach draußen und waren die ganze Zeit über nicht zu sehen.
Leider hatten meine Schwestern und ich uns nicht vorher über eine ungefähre Sitzordnung unterhalten. Denn dadurch saßen meine Schwestern an einem Tisch mit Dörte und Wolfgang. Auch Harald und Maria saßen dort, Eveline ebenfalls. Meine Löwin und ich hockten mit „unserem Clan" am zweiten Tisch, verstärkt durch Gundula und Gerd. Wie eine Woche zuvor bei der Trauerfeier für Jopi's Vater gelang es mir auch dieses Mal nicht, das Gespräch nachhaltig auf die Verstorbene zu lenken.
So plauderten wir vor uns hin, während wir auf die Tomatensuppe warteten. Die Aioli mit dem Brot war immerhin schnell da und fand in uns begeisterte Abnehmer. Vor allem Gerd war sehr angetan von diesem Appetizer, hatte er es sich doch in der Vergangenheit nicht nehmen lassen, ab und an diese Aioli im Ivent zu bestellen und selbst abzuholen, wenn er zuhause seine Pokerrunde veranstaltete.
Ich selbst bestellte mir bald das erste Bier und achtete tunlichst darauf, die Schlagzahl niedrig zu halten. Meine Löwin hatte mich richtigerweise zuvor darauf hingewiesen, das es sich nicht gut macht, wenn ich mich total zulöten würde. Wie ich nebenbei beobachten konnte, hielten sich auch die anderen Trinker unter den Trauergästen beim Bier zurück. Daher war mein Bierkonsum am Höchsten, blieb aber gottlob im Rahmen.
Und endlich kam irgendwann die Tomatensuppe. Diese war bei den meisten schon kalt, da muss es also ein Problem in der Küche gegeben haben. Jetzt weiß ich wieder, das das auch so war. Der Wirt hatte uns das beim Bezahlen hinterher auch gesagt, ich weiß aber den Grund nicht mehr. Rosin wäre jedenfalls nicht begeistert gewesen.
Für meinen Geschmack war die Suppe zu fruchtig, die Säure der Tomaten kam voll zur Geltung. Schmeckte zwar edel, aber kalt... Egal, der eine oder andere fand die Suppe trotzdem gut, so wie z.B. Danny. Ich bestellte mir noch ein Bier und hoffte, das wenigstens die Pizzen heiß waren.
Und das waren sie. Sehr schnell servierte der Wirt mit seiner Servicekraft zwei Pizzen pro Tisch, jeweils in Achtel vorgeschnitten. Jeder griff zu und war sogleich begeistert, denn die Pizzen waren richtig Klasse. Herbert vermisste zwar seine vegetarische Variante, aber nachdem meine Löwin den Wirt hieran noch einmal erinnerte, ging es zügig und auch Herbert, genau wie meine Löwin, hatten etwas zu essen.
Ich habe noch das Bild vor Augen, wie wir alle bereits satt waren und Danny, der in meiner Nähe saß, sich noch ein letztes Stück gab, einfach nur, weil es so gut schmeckte. Und als ob das nicht genug gewesen wäre, kam kurz danach der Kuchen auf den Tisch. Dazu erhielt jeder noch eine Schale mit dem hausgemachten Tiramisu.
Zu jenem Zeitpunkt hatte ich mich kurz an den Nebentisch begeben, weil ich mich als Hinterbliebener dazu verpflichtet fühlte, mich mit allen Gästen noch ein wenig zu unterhalten. Jopi und Edith hatten dies eine Woche zuvor auch sehr nett gemacht, ich wollte daran anknüpfen. Deshalb setzte ich mich neben Harald, als dort frei wurde, weil Eveline sich bei uns dazu gesellte.
Genau der richtige Platz, denn mit Harald konnte ich mich noch am Besten aus dem Zweig der Familie unterhalten. Das Maria etwas stumm blieb, ist nicht weiter schlimm. Schließlich kannte sie keinen von uns. Toll, das sie überhaupt mitgekommen war. Mit Dörte und Wolfgang kam ich wie immer nicht ins Gespräch.
Es ist ja auch schwierig, wenn die Initiative nur von einer, nämlich meiner Seite ausgeht und die Mannschaft höchstens antwortet, aber nichts, aber auch gar nichts zum Fortgang des Gesprächs beiträgt. Wahrscheinlich dachten die noch „Oh Gott, warum masselt der uns denn jetzt voll. Und so wirr". Noch ein Bier mit Harald.
Kurz darauf saß ich wieder an meinem alten Platz und gab es auf. Außer Harald hatte offensichtlich keiner Interesse an einem Gespräch mit mir und meine Schwestern waren beide nicht in der Lage, mal ihren Arsch zu bewegen und sich an unserem Tisch blicken zu lassen. Halt, Berta war kurz da, nicht nur, weil sie Dora und Herbert zum 70. Geburtstag von Bud einlud, sondern weil sie die beiden mag.
Und wieder wurde mir heute aufgezeigt, das sich die Familien von mir und meiner Löwin schlecht vermischen. Immerhin waren selbst die Geschwister meiner Löwin gekommen. Beim Tod meiner Schwiegermutter, also der Mutter meiner Löwin, war niemand aus meinem Kreis dabei gewesen. Bud hatte aber beim Ausräumen ihrer Wohnung geholfen, das muss ich hiermit nachträglich noch einmal würdigen.
Wenigstens haben sich Berta und Bud in den letzten Jahren anlässlich von Geburtstagen oder auch Theaterbesuchen Mühe gegeben, in eine Konversation mit der Familie meiner Löwin einzusteigen. Von Sunny war da gar nichts zu sehen gewesen, die hatte sich schon seit Ewigkeiten ins Abseits begeben.
Derart enttäuscht, nahm ich letztendlich davon Abstand, mich etwas mit Frankie und Grace zu unterhalten. Reiners Bruder gegenüber war ich immer höflich gewesen, aber gerade bei ihm blitzte das nackte Desinteresse permanent dank seines süffisanten Grinsens durch. Das ist ein Mensch, mit dem ich nicht einmal anlässlich des Todes meiner Mutter ein persönliches Wort wechseln möchte. Schade fand ich es nur wegen Frankie und Grace, beide sind wirklich nett und beim Boozeln im Frühjahr hatte ich beide liebgewonnen.
Zu einem weiteren Pils gesellte sich noch eine Schale Tiramisu, die ich dann auch artig auslöffelte, obwohl ich sie gar nicht brauchte. Selbst Danny konnte nach 2 Schälchen nicht mehr, obwohl er vom Tiramisu restlos begeistert war. Vielleicht verabschiedete er sich deshalb auch als erster, ehe er doch noch eine Schale angepackt hätte und geplatzt wäre.
Nach und nach leerte es sich dann, der Clan von Sunny verabschiedete sich als nächstes. Sunny blieb dagegen mit Reiner bis zum Schluss, der, wie bei solchen Veranstaltungen wohl üblich, urplötzlich kam. Quasi gleichzeitig brachen dann alle auf.
Im Vorfeld dieser Veranstaltung hatte ich bereits die Geldautomaten nach und nach bemüht, um einen Tausender für die Rechnung parat zu haben. Als mir der Wirt dann den Preis mit 330,-€ angab, war ich so überrascht und begeistert, das ich gleich auf 350 erhöhte. Die Rechnung wurde auf Berta ausgestellt, da sie die Rechnung noch am ehesten von der Steuer absetzen kann, weil sie eh immer außergewöhnliche Belastungen angeben kann. Selbstredend, das auch die Rechnung des Bestatters auf ihrem Namen läuft.

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