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Meine Löwin und ich zogen uns am Freitagmorgen für die Trauerfeier an. Klassisch, wohlgemerkt. Fertig angezogen, fuhren wir nach Melverode und parkten neben der Nikolaikirche ein. Dora und Herbert standen mit ihrem Wagen direkt neben uns.
Am Platz vor der Kirche steht ein alter Eichenbaum auf einer Rasenfläche. Als erstes gingen wir da hin, weil dort Sunny und Reiner, aber auch Dörte und Wolfgang standen. Ich sah Harald und seine Maria, die ich bislang nur einmal kurz vor 2 Jahren getroffen hatte, ebenfalls am Eichenbaum . Ich begrüßte alle nacheinander und versuchte sofort einen Dialog zu beginnen, aber irgendwie kriegten wir zusammen kein Gespräch hin. Mir selbst fiel zwar wirklich nicht viel ein, aber aus Sunnys Familie hätte ja auch mal ein Aufhänger zu einer Unterhaltung kommen können.
Sie wirkten irgendwie komplett gehemmt. Sollte es die Trauer um Mutters Tod sein? Einzig mit Harald konnte ich ein paar kurze Sätze wechseln, Maria konnte ihrerseits nicht viel beisteuern, da sie uns bekanntlich kaum kannte. Mich hatte sie bislang überhaupt erst einmal gesehen, meiner Löwin war sie noch gar nicht begegnet. Als Frankie und Grace, die besten Freunde von Sunny und Reiner aus ihrem Dorf, dann auch noch erschienen, war ich baff erstaunt.
Die konnten Mutter doch allerhöchstens zwei- oder dreimal im Leben gesehen haben. Sicher, Grace hatte für Mutter einen Rollator zur Verfügung gestellt. Aber es wäre mir neu, das Sunny Mutter in den letzten 20 Jahren öfters zu sich nach Hause geholt hätte. Und das Frankie und Grace Mutter besucht hätten, halte ich für ein Gerücht.
Egal, ich freute mich trotzdem, dass die Beiden da waren und hätte mich sehr gerne mit ihnen unterhalten; vor allem mit Frankie, den ich immer wieder gerne sehe. Aber durch den traurigen Anlass kam wohl auch zwischen uns kein Gespräch zustande. Deshalb ging ich flugs in Richtung Frida und Harald, die inzwischen auch eingetrudelt waren.
Zu dem Bruder von Reiner und dessen Frau, die auch da waren, ging ich anschließend nur noch zum Handshaking hin. Ich hatte in der Woche Sunny zwar gemailt, das ich mich über deren Besuch auch freuen würde, weil sie ja auch zur Familie gehören, aber wegen der etwas frostigen, fast abweisenden Begegnung mit dem „Clan" von Sunny hatte ich mir die Kommunikation mit Reiners Bruder dann doch verkniffen.
Zu dem Zeitpunkt schob ich das eher abweisende Verhalten der Leute um Sunny auf den traurigen Anlass und dachte nicht weiter drüber nach. Jetzt, da ich diese Ereignisse ca. 2 Monate später niederschreibe, denke ich da etwas anders drüber. Ich bin nunmehr, nicht zuletzt aufgrund der Auseinandersetzungen nach dem Eklat um den Schmuck, fest davon überzeugt, das all diese Leute nur zur Unterstützung von Sunny mitgekommen waren, die sich ja schon immer ausgeschlossen und benachteiligt gefühlt hatte. Dies betonte sie in den letzten Wochen ständig und rechtfertigte damit ihr asoziales Verhalten. Garantiert hatte Sunny ihre Sicht der Dinge in ihrer Umgebung, sprich Familie und Freundeskreis, dementsprechend geschildert. Nur Harald hat da einen anderen Blick drauf, weil er meine Löwin und mich im Gegensatz zu den Anderen schon mal in Aktion erlebt hatte.
Gundula und Gerd erschienen jetzt auch, selbst Bertas ältere Tochter Eveline (ohne ihren Mann Siggi) tauchten noch auf. Eveline wohnt keine 100 Meter Luftlinie von der Nicolaikirche entfernt, da kann man sich schon mal leicht verspäten. Das Siggi sich wie so häufig rar machte, war mal wieder typisch. Aber wenigstens kann ich über ihn sagen, dass er lediglich kein Familienmensch ist und sich korrekterweise ungern mit vielen Menschen umgibt. Ich wünschte, ich könnte dies auch von Sunny & Co behaupten. Auf der anderen Seite wiederum... Sie kamen der leidigen wie traurigen Pflicht wenigstens nach.
Dass die Urenkel von Mutter bis auf eine Ausnahme nicht dabei waren, ist gerade noch in Ordnung. Allerdings meinte meine Löwin vollkommen zu Recht, dass Evelines Kinder schon alt genug seien, um anstandshalber der Trauerfeier ihrer Urgroßmutter beizuwohnen. Nur Dörte brachte ihre kleine Tochter mit, für die das Ganze tierisch aufregend sein musste. Sie ist natürlich noch zu jung, um Trauer empfinden zu können, geschweige denn den Anlass dieses Treffens zu verstehen. Aber laut Sunny hatte Mutter die Kleine gemocht. Deshalb war es okay, nebenbei brachte sie wenigstens etwas Leben in die Bude.
Besonders freute ich mich auf die Mutter von Kroll, die es sich nicht nehmen ließ, bei der Trauerfeier ihrer ehemaligen Nachbarin Abschied zu nehmen. Wie in der Vorwoche bei Jopis Vater war sie als Vertreterin der Kirchengemeinde anwesend. In dieser engagiert sie sich, solange ich denken kann. Bis zum Beginn der Trauerfeier hatte ich mich mit ihr unterhalten, weil ich irgendwo im Hinterkopf doch etwas enttäuscht von den Leuten um Sunny und Reiner war.
Ich war bewusst auf die Familie von Sunny zugegangen, um sie mit in die Trauergemeinde einzubinden. Denn dieser Teil der Familie hatte sich seit Vaters Tod quasi gar nicht mit Mutter abgegeben, zumindest in der Zeit nicht, in der sie mit Walter zusammen war. Im Gegenteil, da kam von Sunny schon vor 20 Jahren die Befürchtung auf, dass Mutter das Erbe unseres Vaters mit Walter durchbringen könnte.
Wenigstens nach Walters Tod und der Zeit, als ich mich wegen seines Testaments und den möglichen Konsequenzen mit Mutter zerstritten hatte, war wohl der Kontakt zwischen Sunny und Mutter via Telefon entstanden. Das sie aber Mutter öfters besucht oder zu sich ins Haus geholt hätte, würde mich allerdings komplett überraschen.
Ich hätte mich gefreut, hatte insgeheim sogar darauf gehofft, wenn die Familie von Sunny durch dieses traurige Ereignis endlich wieder etwas näher an uns herangerückt wäre. Aber ich hatte eher den gegenteiligen Eindruck gewinnen müssen und war darüber schon etwas traurig. Deshalb unterhielt ich mich dann doch lieber mit der Mutter von Kroll, die ich immer als herzensguten Menschen erlebt habe.
Die anderen aus der Familie hatte ich deshalb nicht vernachlässigt, aber Krolls Mutter lenkte mich zum Glück von den dunklen Gedanken ob der kühlen Atmosphäre um Sunny und Co ab. Meine Löwin hatte auch alles im Griff und schaffte die Verbindung der verschiedenen Fraktionen besser als ich. Auch Danny schaute noch vorbei, das freute mich besonders. Sonst habe ich keinen vergessen, oder?
Alsbald erklang das Glockengeläut. Es war an der Zeit, in die Kapelle zu gehen. Ich ging zusammen mit meiner Löwin und Krolls Mutter hinein. Wenn der Anlass ein freudiger gewesen wäre, hätten wir drei uns wohl zusammen irgendwo hingesetzt und eine angenehme Unterhaltung führen können. Vor der Tür trugen wir uns vorher noch kurz in das Kondolenzbuch ein, dann gingen wir zum Abschiednehmen in die Kirche hinein.
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