Montag, 26. Mai 2014

Contramann: Europa

Gestern war es wieder so weit: Die Europawahl stand an; ich hoffe, ihr ward auch alle wählen. Wenn Ihr im Vorfeld dieser Wahl Kommentare dazu von mir vermißt haben solltet, so kann ich Euch erstmal beruhigen.
Ich selbst war natürlich auch wählen. Für mich war dies übrigens die wichtigste Europawahl ever, vielleicht sogar noch wichtiger als die letzte Bundestagswahl. Das war nicht der Grund, weshalb ich mich bisher nicht zu Wort gemeldet hatte.
Mein Grund ist ein Anderer. Ich bin müde. Müde von meinen gebetsmühlenartig geäußerten Aufforderungen an Euch, endlich das Richtige zu wählen. Vergeblich. Und müde von Eurer erneuten Ignoranz, was das tatsächliche politische Geschehen angeht.
Jetzt sagt nicht: „Ach, das war doch nur die Europawahl und draußen war so schönes Wetter.“ Das zieht bei mir nicht. Das das Europaparlament nicht wirklich Macht ausübt stimmt zwar, da habt Ihr Recht. Aber wenn Ihr lediglich die politischen Mitstreiter der aktuellen Regierungsparteien wählt oder als Nichtwähler gewähren laßt, dann kann kein Druck auf die EU Kommission aufgebaut werden.
Warum das so wichtig gewesen wäre? Ganz einfach – TTIP. Transatlantic Trade and Investment Partnership, das transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und der EU. Die nicht gewählte EU Kommission führt hier die Verhandlungen mit den Amerikanern hinter verschlossenen Türen. Das Europaparlament darf hier nicht mitwirken und stimmt hinterher dem Komplettpaket zu oder lehnt es halt ab – hoffentlich.
Aber damit ist seit gestern kaum zu rechnen, dank der CDU SPD Grünen Knechte wird es von deutscher Seite wohl keinen Widerstand geben.
Die Kurzfassung, die den Abgeordneten präsentiert werden wird – das Komplettwerk möchte man ihnen halt nicht zumuten – ist sicher auf das „Wesentliche“ reduziert. Und wenn das Parlament dann wie erwartet zustimmen wird, dann … ja dann gute Nacht.
Man muß sich das einfach nur mal vor Augen führen: Die Lobby-Vertreter der Industrie verhandeln hinter verschlossenen Türen ein Abkommen; das später bindend für die EU und vor allem für die Nationalstaaten wirkt. Und das ohne Beteiligung politisch gewählter Vertreter. Hammer.
Als einziger Vorteil bleiben für den „Bürger“ geringere Zölle, die eh kaum noch ins Gewicht fallen. Aber dafür können Unternehmen gigantische Rückzahlungen erstreiten, falls einzelne Staaten später auch nur einzelne Standarts rückgängig machen möchten. Fracking oder der Komplettausstieg aus der Kernenergie möchte ich hier beispielhaft erwähnen. Da könnten Unternehmen doch glatt mächtige Entschädigungszahlungen erhalten, zumal hierüber (private) Schiedsgerichte entscheiden sollen, die zwar schnell entscheiden – aber unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, wie zu befürchten ist.
Eine politische Einwirkungsmöglichkeit wird es dann nicht mehr geben. So könnte z.B. Monsanto die Verbreitung genmanipulierter Lebensmittel oder Saatgut hierüber für Europa festschreiben. Rücknahmen von Finanzkontrollen zugunsten des laxeren britischen und amerikanischen Systems wären ebenfalls zu befürchten.
Und dann könnt Ihr hier grün oder links wählen, bis Ihr schwarz werdet. Das Ganze wird unumkehrbar. So ein Europa will ich nicht. Ein Europa der Wirtschaft, wie es sich stark anbahnt, kann nicht im Interesse der Menschen sein.
Schließlich haben wir dann da noch im Nachgang zu den Lissabon-Verträgen die EPAs. Economic Partnership Agreements, die für die Liberalisierung von Dienstleistungen weltweit stehen. Ich meine da nicht den Gärtner aus dem Kongo oder die Altenpflegerin, die aus Indonesien importiert wird. Das ist doch Kinderkram.
Die eigentlich korrekte Abkürzung ist hier jedoch TISA (Trade in Service Agreement).
Wir reden da über weltweit wirksame Privatisierungen öffentlicher Leistungen, in Deutschland bekannt unter PPP (Public Private Partnership). Öffentlicher Nahverkehr, die Bahn, Krankenhäuser und Schulen, Stromversorger und Wasser !!!! Ja Hallo – Ein Quantum Trost ! 007 wird Wirklichkeit.
In den USA gibt es ja auch schon erste private Gefängnisse. Die Beteiligung privater Söldnertruppen bei der „Terrorbekämpfung“ in der östlichen Ukraine ist ja immer noch nicht widerlegt worden.
Ich habe Uncle Fester mal zu Rate gezogen. Daniel Suarez und Jeff Somers lassen grüßen, die düsteren Prognosen schlecht gelaunter Science Fiction Autoren drohen Wirklichkeit zu werden.
Ihr könnt mich jetzt Miesepeter nennen, aber das alles ist durch das gestrige Wahlergebnis erleichtert worden. Sicherlich wird es noch dagegen Proteste geben, aber was soll es nützen, wenn in 10 Jahren z.B. deutsche Kommunen erreichen würden, dass sie per Bundesgesetz Strom- und Wasserversorgung zurückkaufen könnten?
Dann nämlich kommt die TTIP von hinten und mach Rückkäufe durch hohe Vertragsstrafen europaweit zunichte.
Die meiner Ansicht nach extrem gefährliche Privatisierung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mag ich nicht näher erläutern; die Romane von Daniel Suarez könnt Ihr auch selber lesen, da Ihr mir das ja sowieso nicht glaubt.
Überhaupt habe ich schon über die Jahre die Erkenntnis gewonnen, dass auch die meisten Menschen in meinem Umfeld die vorgenannten Szenarien als Paranoia oder Phantasien abtun. Da wird weiter fleißig CDU oder SPD gewählt. Wenn man besonders sauer ist, dann Grüne und neuerdings die AfD – je nach Gusto.
Die Linke wird auch weiterhin als PDS Fortsatz betrachtet. Die propagierten Veränderungen erfordern ein Umdenken, was wohl zuviel verlangt ist, solange man per whatsapp noch Nachrichten in die Gegend verschicken muß.
Insgesamt geht es uns wohl noch zu gut. Der Besserverdienende hat Angst um seinen Job und Status, wenn er zu sehr von dem allgemeinen Mainstream abweicht und ist felsenfest davon überzeugt, dass „die Hartzer“ einfach nur zu faul sind zum Arbeiten. Damit beruhigt er sein Gewissen.
Der Hartzer hat tatsächlich keinen Bock, aber auch keine Wahl. Häufig gilt: Einmal draußen, immer draußen. Denn selbst wenn sich was ändern sollte, was hat denn der Hartzer davon?
Zumeist sind diese Menschen dank mehrjähriger Erwerbslosigkeit kaum auf den heutigen Arbeitsplätzen einsetzbar, so bitterböse das auch ist. Da darf man sich nichts vormachen.
Nein, Roman Herzog hatte als Bundes Grüß August schon Recht: Es muß ein Ruck gehen durch Deutschland.
Nehmt uns allen die Smartfones und das Privatfernsehen weg. Zwingt uns zu Biergarten und Konzertbesuchen. Spieleabende statt PS4-Zockerei. 30-35 Stundenwochen statt immer weiterer Rationalisierungen, die nur überflüssige Arbeitskräfte generieren und damit totes Kapital.
Die Liste ist endlos.
Lacht nicht, weil in der Zukunft lacht Ihr nicht mehr. Und wenn dann einer sagt, das hätte er nicht ahnen können ….
„Ich weiß auch nicht, wohin meine jüdischen Nachbarn gezogen sind … Ich habe nichts gesehen.“
AFD 7%, 26% für die Front National der Le Pen Tochter in Frankreich. Das hätte mich früher total beunruhigt, schockt und überrascht mich heuer nicht mehr. Die Leute wollen schließlich verarscht werden.
Bei der gleichzeitig stattfindenden Bürgermeisterwahl gab es keine endgültige Entscheidung in Braunschweig. Brandes als Nachfolger von Hoffmann für die CDU liegt relativ deutlich hinter Markurth von den Sozis, der die benötigten 50% knapp verpaßte. Der Sozialdezernent der Stadtverwaltung wird das in der Stichwahl am 15.6. wohl schaffen.
Die findet dann ohne mich statt, denn ich habe keinen von beiden gewählt und wenn ich die Wahl nur zwischen Markurth und Brandes habe, verzichte ich. Wer es letztendlich wird, ist mir schnurz.
Europa war wichtig. Oder doch nicht?
Hauptsache alles senkrecht, möcht ich meinen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen