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Mo. Immer noch 27. Juni
Das Spiel fing an und gleich in der vierten Minute ging der isländische Torhüter Halldorsson derart dämlich und unnötig zum Ball und auf den englischen Wirbelwind Sterling drauf, das dieser sich sofort auf Höhe des Fünfmeterraumes schlafen legte. Den fälligen Strafstoß netzte Rooney sicher zum 1:0 in die Maschen.
Meine Löwin bekam dies gar nicht mit, weil Harald gerade angerufen hatte und sich nach ihrem Befinden erkundigte. Die Empfehlung zu diesem Arzt kam von ihm. Die folgende Szene, nur 2 Minuten später, verpasste sie deshalb auch. Ein weiter Einwurf der Isländer von rechts, wie eine Flanke kam der Ball, Arnason verlängerte mit dem Kopf mitten vor das Tor, wo Sigurdsson völlig unbedrängt reingrätschte und die Murmel über die Torlinie hievte.
1:1! I wurd narrisch! Nach dem Führungstreffer der Engländer hatte ich die Partie eigentlich schon abgehakt. Aber das die Isländer so schnell wieder zurückkommen würden, damit hätte ich nicht gerechnet. Meine Löwin bekam das Geschehen aus den Augenwinkeln mit und beendete schnell ihr Gespräch mit Harald. Jetzt zitterten wir zusammen mit den Isländern und hofften, das das Spiel möglichst lange spannend bleiben würde. Die Isländer hatten sich einen glorreichen Abgang aus dem Turnier verdient.
Es zitterten aber nur die Engländer, die nach dem Ausgleich vorne nichts mehr zustande brachten, während Island mit schönen Ballstaffetten brillieren konnte. Nach einer Abfolge von mehr als 10 Stationen war Sigthorsson auf Höhe der Strafraumgrenze frei und schloss das isländische Tiki Taka mit einem Flachschuss ins rechte untere Eck ab. Ein eigentlich schwacher Schuss, aber Gary Hart, Torhüter von Manchester City, fiel noch langsamer als eine Bahnschranke. Der Ball rutschte einfach mal so eben unter ihm durch zum viel umjubelten Führungstreffer für Island.
Was ging denn hier ab? Wir trauten unseren Augen nicht. Die Engländer waren vollkommen von der Rolle und brachten bis zur Pause nichts mehr zustande. Die Pfiffe der enttäuschten englischen Fans waren gegen Ende der Halbzeit lauter als die Jubelgesänge der Isländer. Zur Pause waren die Bierstände im Stadion garantiert gut besucht.
Hodgson brachte Jamie Vardy, den Shootingstar aus Leicester, nach der Pause. Ich sah da schon schwarz für die Isländer, zumal jetzt die Ausflüge in die englische Hälfte immer seltener wurden und die wenigen Chancen dann auch unkonzentriert vergeben wurden. Mit abnehmender Kondition traten ihre technischen Schwächen deutlich zu Tage.
Doch die Engländer konnten dies nicht nutzen. Total verstört spielten sie um den isländischen Strafraum herum und warteten auf eine Lücke, um die sich ergebenden Möglichkeiten dann um so kläglicher zu vergeben. Der völlig weggetretene Rooney wurde erst in der 87. Minute gegen das 18jährige Talent Rashford ausgewechselt. Erst da wurden sie gefährlich.
Rashford ging auch einfach mal rein in das Eins gegen Eins Spiel und riss dadurch Lücken in die ansonsten kompakte Abwehr der Isländer. Doch es war zu spät. Der Schiedsrichter pfiff ab und die Engländer blamierten sich bis auf die Knochen. Die Isländer dagegen jubelten ohne Ende und liefen sofort über den ganzen Platz zur Kurve mit den 3000 isländischen Fans, die das Glück hatten, für dieses historische Match eine Karte zu bekommen.
Sigurdsson, der Schütze des Ausgleichstreffers, hielt seine kleine Tochter im Arm, die gar nicht wusste, was dort eigentlich geschah. Den wohl schönsten Moment der gesamten Europameisterschaft, da lege ich mich jetzt schon fest und ändere nur bei Bedarf meine Meinung, hat meine Löwin leider nicht mehr mitbekommen, denn da war das Spiel schon ein paar Minuten vorbei.
Zusammen mit den Spielern führten die Zuschauer ihr "Haka"auf, mit dem sie nun schon im vierten Spiel ihre Mannschaft angefeuert hatten. Ich beschreibe es mal so: Hände und die Höhe und dann langsam rhythmisch klatschen, auf den Klatsch ein donnernd grollendes "Huh"dazu. Dabei wird das Ganze immer schneller, bis es sich in lauten Jubel auflöst. Wenn dies ca. 3000 besoffene Isländer machen und das dann noch so gut klappt, dann ist Gänsehaut garantiert.
Mal sehen, wie sich die Franzosen gegen die Isländer am Sonntag behaupten können. Ich glaube es zwar nicht, das die Isländer noch einmal so eine Energieleistung fertig bringen. Aber wer weiß...
Das ist das Faszinierende an diesem Spiel. Da schlägt ein eigentlich chancenloser Außenseiter voller Zweitligakicker und Spielern aus den skandinavischen Ligen die Millionentruppe aus England, die alle in der Premier League spielen und pro Woche mehr Geld verdienen als ein isländischer Profi in einem Jahr.
Und noch eins: Hier sieht man wieder mal, das die hohen Gehälter und Unsummen, die da nicht nur in der Premier League, sondern auch in der Bundesliga, Primera Division oder der Seria A verdient bzw. umgesetzt werden, mittlerweile in keinem Verhältnis mehr zur Leistung stehen. Geht ja auch nicht, weil die Unterschiede naturgemäß eher minimal sind.
Ein Allerletztes dann doch noch zu diesem Spiel: Der von mir an diesem Abend häufig gehörte hämische Vergleich mit dem Brexit, dem Votum der Briten zum Austritt aus der Europäischen Union, ist vollkommen unangebracht. Denn außer im Fußball geht es der britischen Wirtschaft, die Finanzdödel in London mal außen vor, nicht so gut. Erst mit dem Austritt haben sie die Chance, wieder auf die Beine zu kommen.
Danke für den Schlußkommentar, Contramann. Wir geben nun ab zu den Nachrichten und verabschieden uns aus Paris. Wir freuen uns auf die Viertelfinals ab Donnerstag.
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