Montag, 2. Oktober 2023

Die Clans des Alphamondes 2/2

2
Es gilt nun, den perfiden Plan der Menschen zur Annektierung des Alphamondes auf Kosten der Psychopathen zu durchkreuzen. Und die Lösung ist ebenso einfach wie genial: Die Gemeinschaft der Clans erklärt sich als unabhängiger Staat und bitte die Alphaner um Schutz. Jetzt endlich - ohne die Bevormundung durch den Wertewesten, äh Verzeihung Menschen - können die Psychopathen in Frieden leben.
Chuck und Mary Rittersdorf werden ebenfalls auf dem Alpha Mond verbleiben. Mary stellte im Lauf der Handlung fest, dass sie nicht manisch, sondern depressiv veranlagt ist und schließt sich der entsprechenden Gemeinschaft an. Chuck wiederum gründet seine eigenen Gemeinschaft der Normalos namens Jeffersontown. Lord-Flieh-den-Geiz und er sind die einzigen Bewohner. Ein Happy End also, für Philip K. Dick total untypisch.
Mein Lieblingsautor Philip K. Dick war beileibe kein Kommunist, auch wenn die CIA dies wohl spätestens in den 70er Jahren aufgrund seines Romans „Flow my Tears, the Policeman said" vermutet hatte.
Aber wie kein Zweiter war Dick schon zu Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit ein strenger Kritiker des hässlichen wie unmenschlichen „American Way of Life" gewesen. Auch in diesem Roman spießt er eine Eigenart der damaligen dekadenten amerikanischen Mittelklasse gnadenlos auf:
Dort gehörte es schon damals in den 60er Jahren zum guten Ton, zum Psychiater zu gehen. Und zu diesem Thema ist die Moral aus dieser Geschichte unzweideutig. Nicht die Verrückten sind das Problem, sondern die angeblich normalen Menschen. Und diese Ansicht unterschreibe ich auch sofort für die heutige Gesellschaft in Deutschland.
Die Psychopathen des Alphamondes sind schräg, aber dennoch liebenswert. So sieht der Paranoiker Gabriel Baines überall Gefahr und Verrat lauern, doch wenn er die dralle Poly Annette Golding erblickt, welche in ihrem krankhaft kindlichen Gemüt an einer Essstörung leidet, kann er seine Paranoia zurückstellen, weil er sie bedingungslos liebt.
Oder der zynische und äußerst aggressive Mani Howard Straw, der anscheinend jeden hasst, was ihn allerdings nicht davon abhält, für die gesamte Gemeinschaft in den Kampf zu ziehen.
Der scheinbar depressive Chuck Rittersdorf entpuppt sich am Ende als Normalo, seine starken Selbstmordgedanken und Mordgelüste konnte er mithilfe von Lord-Flieh-den-Geiz überwinden. Der ganymedische Schimmelschleim stellt sich hier als stabilisierender Faktor für Chucks temporäre psychische Dysfunktion heraus.
In diesem Roman nimmt Dick auch schon einen wesentlichen Aspekt von „Träumen Roboter von elektrischen Schafen?" vorweg. Das Simulacrum Daniel Mageboom erscheint menschlicher als seine Mitstreiter von der CIA. Überhaupt bleiben die Leute von der CIA, auch Mary Rittersdorf, äußerst blass in ihrer fehlenden Emotionalität.
Und nachdem ich „Die Clans des Alphamondes" nach bald 50 Jahren zum nunmehr zweiten Mal gelesen habe, sind mir auch die großen Parallelen zum politischen Geschehen in jüngster Vergangenheit aufgefallen. Ob in Syrien oder aktuell in der Donbas-Region - die jeweiligen Machthaber wandten sich an Russland als Hilfsmacht, weil sie sich vom Wertewesten in ihrer Existenz bedroht sahen.
Selbstverständlich standen schon 1964 Dicks Alphaner für die Sowjetunion; die perfiden Methoden der CIA dagegen, z.B. zur Einsetzung genehmer Despoten zur Wahrung US-amerikanischer Interessen, waren 1964 schon zur Genüge bekannt. Die McCarthy Ära war zu Ende gegangen und Kritik konnte nun in den USA wieder offen geäußert werden.
Rückblickend betrachtet halte ich die Sechziger und Siebziger Jahre für die wohl freieste und demokratischste Zeitspanne nach dem Zweiten Weltkrieg. Dies führte zur Entspannungspolitik und damit zur Verbreitung des westlichen Freiheitsverständnisses auch in den Staaten des Warschauer Paktes.
Dieses Freiheitsverständnis, welches mir in meiner Schulzeit vermittelt wurde, stellt sich für mich zunehmend als hohle Phrase heraus. Denn je stärker die wirtschaftliche Vormachtstellung der USA bedroht wird, desto aggressiver agieren die US-Amerikaner. Philip K. Dick war dies schon damals klar gewesen, nicht zuletzt bei „die Clans des Alphamondes" wird dies mehr als deutlich.
Bei dieser Rezension habe ich mich auf einige wenige Aspekte des Romans beschränkt. Die leicht angedeuteten PSI-Kräfte der Depris z.B. habe ich gleich außer Acht gelassen, da Dick dieses klassische Element der Science Fiction wohl nur schnell noch mal hinein geschrieben hatte, um beim damaligen Zielpublikum der Science Fiction Interessierten punkten zu können.
Wie also bei vielen Werken von Philip K. Dick üblich, geht der Autor mit der Vielzahl seiner Ideen äußerst verschwenderisch um. Moderne Autoren hätten aus diesem Material mehrere voneinander unabhängige Romane entwickeln können, zumindestens einen umfassenden Zyklus. Nicht so Philip K. Dick, der hatte dies nicht nötig.
Dem stand in seiner Wahnhaftigkeit eine überschäumende Fantasie zur Verfügung. Hierzu gehört auch immer wieder ein gewisses Deja Vu Erlebnis, wie wir alle es aus unserem Leben kennen. Als Bunny Hentman Chuck die Story des Mordes an seiner Ex vorschlägt, droht Chuck in ein tiefes Loch zu versinken, weil er genau dieses heimlich plant.
Ich werde „die Clans des Alphamondes" noch einmal lesen müssen, um die Komplexität der Story noch besser erfassen zu können. Ich hoffe, dies in weniger als 50 Jahren zu schaffen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen