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Die Erinnerung an unsere gemeinsame Fahrt im Riesenrad auf dem Weihnachtsmarkt in Hildesheim war mir noch gegenwärtig. So leid es mir auch tat, aber jetzt war Detzer auch mal an der Reihe, sich um Alf zu kümmern. Zuvor hatte ich mich stets um Alf kümmern dürfen, Frank-Walter hatte sich ja schon verpisst.
Natürlich war Detzer vor allem deshalb dran, weil er - genau wie ich - in dieser Reisegruppe keinen näher kannte. Andernfalls hätte er sich wahrscheinlich als Allererster klammheimlich verpieselt gehabt.
Aus sicherer Entfernung beobachtete ich von einem Weinstand aus, wie Detzer mit Alf das Riesenrad bestieg. Dieses eine Mal ließ ich Alf alleine und schloss mich einem Trupp aus unserer Reisegruppe an, die über das Weinfest schlenderte. In den Neunzigern war ich noch sehr umgänglich und knüpfte gern neue Kontakte, vor allem, wenn ich breit war. Dann überwog die Lebensfreude und das Interesse an anderen Menschen, um der Einsamkeit in meiner Wohnung zu entfliehen.
Dieses Weinfest unterschied sich von den mir bekannten Dorffesten in Norddeutschland lediglich dadurch, dass es anstatt Bierständen Weinstände gab. Ansonsten sah ich nur die üblichen Fahrgeschäfte und Fressbuden - Halt: das stimmt so nicht! Fahrgeschäfte... Es war ja kein Rummel! Das Riesenrad war hier das einzige Fahrgeschäft, um es noch einmal zu erwähnen.
Während ich mit den Leuten der Reisegesellschaft von einem Stand zum anderen ging, waren Alf und Detzer nirgendwo zu entdecken. Frank-Walter übrigens auch nicht, und das war eigentlich auch in Ordnung, da das alles seine Bekannten waren und er sich auch einmal ohne seine Frau amüsieren wollte. Uns Kollegen sah er ja des öfteren in der Woche.
Nach einer geraumen Zeit, aber wohl nicht mehr als zwei Stunden, ging ich mit meinen neuen Bekannten in ein großes Zelt. Das war ein einziger Saal. Es könnte aber auch ein festes Gebäude gewesen sein, so genau weiß ich das heute gar nicht mehr.
Dieser Saal war mit langen Bierzeltgarnituren gesegnet, doch Bier wurde hier nicht ausgeschenkt. Eine schmale Seite dieser Örtlichkeit bestand komplett aus der Theke, an der Wein ausgeschenkt wurde. Die Gläser waren als 0,3 l portioniert, dazu gab es noch Karaffen zum Mitnehmen, damit man nicht so viel laufen musste. Möglicherweise gab es auch Wasser dazu, entweder pur oder als Mischung zur Schorle, sucht es Euch aus.
Den Begriff der Weinschorle kannte ich damals noch nicht einmal, pur trinken war angesagt. Seinerzeit schmiss ich mir noch Aspirin rein, als Vorsichtsmaßnahme sowohl vor als auch nach dem Saufen. Und in meinen studentischen Freundeskreisen gab es früher immer Rotwein, Weißwein schien da verpönt gewesen zu sein. Hier in der typisch deutschen Weingegend war das natürlich anders.
Es gab Weißwein oder Weisswein im Ausschank, maximal einen Rosé konnte man sich noch kredenzen lassen. So saß ich dann in dieser großen Halle an einem der langen Tische, welche mit einer abwaschbaren Plastikdecke überzogen waren. Und ohne dass es großartig abgesprochen war, versammelte sich hier nach und nach die gesamte Reisegesellschaft aus unserem Bus.
Eine Gruppe um Frank-Walter war schon vor mir eingetroffen. Detzer tauchte dann später komplett alleine auf und setzte sich sofort zu mir an den Tisch. Bei einem Glas Wein erzählte er mir von seinen Erlebnissen mit Alf. Da konnte er mir nun wirklich nichts Neues erzählen, Alfs Eskapaden waren mir hinlänglich bekannt. Sei es singen, tanzen oder das Ansprechen fremder Damen: ich wunderte mich nur noch darüber, dass Detzer sich darüber überhaupt aufgeregt hatte.
Als Alf dann wohl auf irgendeiner Bank eingeschlafen war, hatte Detzer schnell das Weite gesucht. Das kann ich gut verstehen. Ich hätte es an seiner Stelle wahrscheinlich genauso gemacht. Mit der Zeit kam Detzer wieder runter und ließ sich von der ausgelassenen Stimmung im Saal anstecken.
Zur guten Laune trug in erster Linie ein plötzlich aufgetauchter Akkordeonspieler bei. Dank bekannter Schlager und Trinklieder animierte er die Anwesenden zu einem verstärkten Weinkonsum, auch zum Mitschunkeln und Mitsingen. Das war natürlich haargenau der Moment, in dem Alf urplötzlich im Saal auftauchte.
Wann, wenn nicht jetzt. Erwartungsgemäß zog Alf sofort alle Blicke auf sich und schnappte sich den Akkordeonspieler. Detzer und ich wussten natürlich, was jetzt folgen würde, Frank-Walter sicherlich auch. Mit dem Akkordeonspieler im Schlepptau sang sich Alf durch den ganzen Saal; da fühlte ich mich unwillkürlich an den blauen Bock erinnert.
Wie weiland der selige Heinz Schenk tapste Alf über die große Bühne, immer in eine imaginäre Kamera lächelnd. Unsere bis dato vollkommen ahnungslosen Mitreisenden waren selbstverständlich begeistert, so einen lebenslustigen und netten Mann hatten sie sicherlich eher selten gesehen.
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