08
Fr. 18. Juni
Wochenende und wir haben nichts, aber auch gar nichts vor. Außer Fußball schauen natürlich. Drei volle Tage lang, wobei heute Vormittag und Mittag natürlich noch Arbeit angesagt war. Das können wir beide aber verschmerzen. Es gilt, den zweiten Spieltag am Samstag abzuschließen und Sonntag die Entscheidung in der Frankreich Gruppe zu beobachten.
Unser Team hatte gestern ja zumindest die Tür zum Achtelfinale weit aufgestoßen. Ebenso die Polen. Nordirland mag auf ein Weiterkommen als Gruppendritter hoffen, aber die Ukraine ist definitiv draußen. Und nun wollen wir die Italiener um 15.00 Uhr beobachten. Kann Zlatan seine Schweden gegen die Squadra Azzurra zum Sieg führen?
Frohen Mutes verließ ich um 13.00 Uhr das Büro. Meine Gedanken kreisten ums Essen, denn ich hatte an diesem Tag bisher lediglich eine Schale Cornflakes verspachtelt und verspürte auf einmal so ein grummelndes Gefühl im Magen. Soll ich am Bahnhof noch schnell zu McDonalds gehen? Zwei 11er Chicken Nuggets für 4,99 € ist das unschlagbare Angebot während der EM. Oder doch ein Salamibaguette bei Yormaz für 1,10 €?
Ich entschied mich für ein Franzbrötchen plus einem Schokolino (Schokobrötchen) von Steinecke, 2,35 €. Das ging schnell und ich hatte noch genug Zeit, beide Teile hinunterzuschlingen, bevor der Bus nach Lehndorf kam. So gestärkt, stand ich dann beim Absingen der Nationalhymnen vor dem Spiel auf dem Crosstrainer. In Turnschuhen, wohlgemerkt, da ich mir gleich am Montag in meinen Chung Shi Sandalen eine schmerzhafte Blase an der Innenseite des rechten Fußes verlaufen hatte.
Nachdem ich dieses spannende Detail jetzt auch noch erwähnt habe, kann es endlich losgehen. Italien gegen Schweden wäre in vergangenen Jahren bei den großen Fußballturnieren stets als Spitzenpartie angesehen worden. Seitdem ist viel passiert. Die Italiener haben insbesondere ihre Liga A heruntergewirtschaftet; der italienische Fußball stellt mittlerweile nur noch Mittelmaß dar. Die Schweden haben schon gegen die Iren schwach gespielt. Zlatan ist ein Schatten früherer Tage und der Rest des Teams besteht aus notorischen Grobmotorikern. Das der Nachwuchs kürzlich U 21 Europameister geworden war ist immerhin ein Lichtblick für die Zukunft.
So sahen wir eine blutarme Partie, in welcher der italienische Catenaccio Zlatan Ibrahimovic kalt stellte und kalt stellte und... kurz gesagt reicht den genügsamen Italienern offenbar ein müdes Unentschieden. Ohne Zlatans Ideen klappte bei den Schweden gar nichts, Nullinger. Meine Löwin und ich dösten mehr oder weniger vor dem Fernseher weg.
In der zweiten Halbzeit wurde es immer schlimmer, und das lag nicht daran, das wir die Burger vom Vortag verspeisten - kalt! Erst am Ende der Partie, als selbst den Italienern klar wurde, das die Schweden nicht mal fähig waren, zumindest mit der Brechstange den Erfolg zu suchen, begannen sie Fußball zu spielen.
Das sie das nach wie vor beherrschen, zeigte der Siegtreffer durch Eder, einem eingebürgerten Brasilianer, in der 88. Minute. Da haben sie sich doch glatt mit zwei Siegen ins Achtelfinale geschlichen. Am Ende mogeln sie sich noch zum Titel, gottachgraus. Und sollten die Schweden die Belgier nächste Woche sogar schlagen, dann wären sie am Ende als Gruppendritter womöglich auch noch weiter. Dieser Modus lässt das zu.
Im Anschluss war die spanische Gruppe D an der Reihe. Früher hätte man, genau wie in der italienischen Gruppe E übrigens, von einer "Todesgruppe"gesprochen. Diese Attribut trifft auf die spanische Gruppe nach den gezeigten Leistungen des ersten Spieltages wenigstens zum Teil zu.
Starten wir also um 18.00 Uhr mit Kroatien gegen die Tschechei. Der ehemalige Europameister aus Tschechien hatte auch schon mal bessere Zeiten gesehen. Die vergreiste Truppe um Rosicki und Pavel Czech spielt einen Graupelfußball, bei dem man sich unwillkürlich nach alten Zeiten zurücksehnt. Auch die Kroaten waren mal erfolgreicher, gelten aber dank Stars wie Modric oder dem Ex Schalker Rakitic als Außenseiter für den Titel.
Ein bisschen vom Glanz vergangener Zeiten versprühten dann wenigstens die Studiogäste des ZDF. Pavel Kuka und Ivan Klasnic ließen auch Olli Kahn wehmütig an alte Zeiten denken. Als Bayern seinerzeit wegen eines Kahn-Fehlers mal die Meisterschaft an Werder verlor und Klasnic die Bude machte... Man scherzte so vor sich hin, von Olli Welke jederzeit leicht ironisch kommentiert. Von Tag zu Tag stärker im Studio: Holger Stanislawski. Jetzt scherzte er auch schon ein bisschen, wenn er wie üblich Spiele wie Spielstile fachkompetent analysierte. Als Spieler wie als Trainer empfand ich ihn immer als El Sympathico. Herb und frisch. So wie ein Jever oder besser noch Flens eben sein muss.
Zum Spiel. Was für eine Wohltat nach dem Grottenkick vom Nachmittag. Das, was Stanislawski in seiner Analyse der Schweden zuvor bemängelt hatte, nämlich den Standfußball über das gesamte Spiel hinweg, war hier von Beginn an eben nicht zu sehen. In erster Linie die Kroaten liefen über den Platz, boten sich an und machten damit das Spiel schnell. Viel Bewegung auf dem Platz, bei dem die Tschechen aufgrund des fortgeschrittenen Alters doch etwas abfielen. Immerhin entwickelte sich ein ansehnliches Spiel.
Es war aber nicht zu übersehen, dass die Kroaten mit der Zeit immer stärker wurden und folgerichtig in der 37. Minute das 1:0 markierten. Die Tschechen hatten noch Glück, das da bis zur Pause nicht noch mehr anbrannte. Nach dem Wiederanpfiff mussten die Tschechen notgedrungen etwas aufmachen, was auch bald das zweite Tor für die souveränen Kroaten nach sich zog. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich kein Geld mehr auf die Tschechei setzen wollen, ein 0:3 erschien mir wahrscheinlicher.
Aber - und das ist das Schöne an Fußball - plötzlich köpfte der eingewechselte Skoda, ein langer Lulatsch, eine Viertelstunde vor Ende den Anschlusstreffer und auf einmal schöpften die Tschechen noch einmal Hoffnung. Dann, kurz vor Ende des Spiels, kam es zum vollkommen widersinnigen Eklat.
Aus dem kroatischen Fanblock flogen Bengalos auf das Spielfeld, ungefähr bei der linken Eckfahne der Tschechei. Innerhalb des eigenen Blocks knallten Feuerwerkskörper und die Kroaten fingen an, sich untereinander zu bügeln. Polizei und Ordner schauten nur zu und verhinderten wahrscheinlich dadurch Schlimmeres. Mitten im kroatischen Block war eine riesige Lücke zu sehen. Der Schiri musste das Spiel für ca. 5 Minuten unterbrechen, bis sich die Lage auch dank der Ermahnungen der kroatischen Spieler an ihre "Anhänger"etwas beruhigt hatte. Ich bin mal gespannt, ob die UEFA jetzt auch einen Ausschluss des kroatischen Teams in Erwägung zieht, so wie bei den Russen.
Falls nicht, werde ich in meinem Eindruck bestärkt, das es bei der medienwirksamen Ankündigung vor ein paar Tagen mal wieder ums Russen-Bashing ging. Deshalb wurden auch heute die russischen Leichtathleten von der Olympiade in Rio ausgeschlossen. Angeblich, weil in der russischen Leichtathletik systematisch gedopt wird.
Zurück zum Spiel. In den letzten Minuten verloren die Kroaten völlig den Faden und mussten noch den Ausgleich durch einen Handelfmeter hinnehmen. Geschieht ihnen recht, möchte man meinen. Aber die Spieler können nichts für diese Chaoten. Jedenfalls erhalten sich die Tschechen so ihre Chance aufs Weiterkommen, während die Kroaten noch nicht durch sind und gegen die Spanier Leistung zeigen müssen.
Mitten im Spiel, kurz nach dem 2:0 in der besten Phase der Kroaten, tauchte ein Nachbar bei uns auf. Er bat uns, am Samstag früh den Wagen aus unserer Garage zu fahren, damit er bei seinem Wagen Kotflügel und Tür instandsetzen kann. Das hatten wir ihm zuvor schon zugesagt. Seine Stieftochter hatte meiner Löwin bereits beim Schmücken der Wohnung geholfen und mit ihm werde ich auch noch ein Pils schlorken müssen. Eigentlich ist er ein netter Typ, aber manchmal stört er auch etwas. Ich bin da noch etwas zwiegespalten, meiner Löwin geht es da nicht anders. Nach der EM bin ich hoffentlich etwas lockerer.
Nach dem Klassespiel tat die einstündige Pause bis zum 3. Spiel gut. Zeit zum Durchatmen und die Gelegenheit für Stanislawski, den spanischen Spielstil zu analysieren. Der neue Studiogast Gaizka Mendietta, der merkwürdigerweise Olli Kahn auch noch von früheren Duellen her kennt, war zu seiner aktiven Zeit ein begnadeter Mittelfeldregisseur. Zur falschen Zeit wohl, denn heuer würde er bei Real das Dreifache verdienen.
Nein, er arbeitet nicht bei Penny. Er ist nur nicht so ein Showman wie der Titan und äußerte sich eher kurz und knapp. Aber durchaus kompetent. Dann ging es los, Spanien gegen die Türkei. Die Türken sind im ersten Spiel nicht so doll gewesen, jetzt mussten sie zulegen, wenn sie nach der Niederlage gegen Kroatien noch im Turnier bleiben wollten.
Auffällig war von Beginn an, das die Spanier ihr Tiki Taka spielten. Sie fegten ähnlich schwerfällig wie die Schweden über den Platz, aber mit einem Unterschied: Die Bälle versprangen nicht um einen Meter beim Stoppen, zumeist wurde der Ball direkt weitergeleitet, zur Not auch direkt zurück gepasst. Fasziniert beobachteten wir das Geschehen.
Irgendwann spielten sie dann den genialen Pass. Iniesta ist hier an erster Stelle zu nennen, der Mann mit der Tonsur, der ebenso lässig wie elegant über den Platz schleicht, um dann das Auge zu haben, den Ball in die Lücken der Abwehr zu spielen. Die Türken waren in diesem Spiel hoffnungslos überfordert.
Dank eines zusätzlichen aggressiven Pressings kamen die Türken kaum mal über die Mittellinie. Und als nach gefühlt minutenlangem Tiki Taka die hohe Flanke kam, klingelte es auch schon. Vor der Pause klingelte es noch einmal und anders als beim Spiel zuvor war klar, das es für die Türken nach der Pause nur noch um Schadensbegrenzung ging.
3:0 hieß es am Ende. Der bislang höchste Sieg des Turniers und vollkommen desillusionierte Türken waren als Ergebnis auch noch zu notieren. Wir sind gespannt, ob die Spanier diese Form im Turnier bis zum Endspiel durchhalten können. Da muss es doch ein Gegenmittel geben, oder? Jogi wird es schon richten, davon ist meine Löwin fest überzeugt.
Die Interviews hinterher schenkten wir uns. Es war eine anstrengende Woche gewesen und wir freuten uns einfach nur aufs Ausschlafen. Am Samstag ARD. Schade, Stanislawski könnte ich häufiger ertragen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen