Was in diesem Buch auf alle Fälle fehlt, ist zumindest eine Erwähnung von Johnny & Dorsey Burnette. Die beiden Brüder wurden in Memphis geboren und nahmen im November 1955 im Studio des Radiosenders WBIP eine erste Single auf. Als sie kurz danach bei Sam Phillips in den Sun Studios vorspielten, zeigte dieser kein Interesse. Die Jungs klangen ihm zu sehr nach Elvis Presley; da hatte er bekanntlich zu der Zeit kein Interesse an ähnlichen Künstlern. Einer reicht halt. Die in den Sun Studios entstandenen Aufnahmen sind bis heute verschollen.
Dies ist Peter Guralnick auf den über 600 Seiten des ansonsten hervorragenden Buches nicht einmal eine Erwähnung wert. Da hat er meiner Ansicht nach nicht ausführlich genug recherchiert. Oder sollte er diese Zwischenepisode aufgrund seiner entstandenen engeren Beziehung zur Philips Familie bewusst ausgelassen haben?
Anfang 1956 gründeten Johnny und Dorsey mit Paul Burlison das Rock'n Roll Trio und ergatterten über einen Aufenthalt in New York einen Plattenvertrag bei Coral Records. Die Verbindung zu ihrer Heimatstadt Memphis blieb erhalten, denn das Trio unternahm im selben Jahr eine Tournee mit der Sun Größe Carl Perkins sowie Gene Vincent.
Das Trio trennte sich im Herbst 1956, da sich ihre Platten lediglich in New York verkauften. Die Burnettes zogen nach Kalifornien, aber Burlison ging nach Memphis zurück. Burlison, der Anfang der 50er Jahre kurzzeitig bei den Snearly Ranch Boys aktiv war und nach der schon erwähnten ersten Single in derselben Firma (Crown-Electric) wie Elvis Presley beschäftigt war, zog sich für über 20 Jahre aus dem Musikbusiness zurück.
Auf der Suche nach mehr Informationen fand ich auf Burlisons Seite bei Rockabillyhall.com den interessanten Hinweis, dass er zusammen mit Dorsey bei Crown-Electric gearbeitet und in der Mittagspause Hillbilly Stücke gespielt hätte. Auch interessant. Zur gleichen Zeit verkauften Johnny Burnette und Johnny Cash zusammen Geschirr von Haustür zu Haustür. Und zu dieser Zeit arbeitete Burlison laut Wikipedia mit Elvis bei Crown-Electric. Also alle oder wie?
Auf Rockabillyhall verkaufte Cash Geschirr ("Plates"), bei Guralnick Elektrogeräte im Laden. Da haben wir also auch widersprüchliche Informationen zur Tätigkeit von Johnny Cash vor Beginn seiner großen Karriere, die bei Sun startete. Von dessen (angeblichen) Diskussionen über Musik mit Johnny Burnette weiss Paul Guralnick auch nichts zu berichten.
Ich habe versucht, im Netz Material über eine Verbindung von Sam Phillips zu dem Johnny Burnette Trio zu finden, leider war ich wenig erfolgreich. Allein die vielen Versionen über eine Session bei Sun Records haben mich verwirrt. Hier hätte ich mir eine Meinung von Peter Guralnick erwünscht. Meine Vermutung: Guralnicks nächstes Buch handelt von dem Johnny Burnette Trio.
don`t wanna get old |
Dieses Buch würde ich mir auf jeden Fall kaufen. Eins jedoch hat Guralnick wirklich sehr gut herausgearbeitet. Sam Phillips wollte und musste Geld verdienen, um seine Familie zu ernähren. Karriere - das war sein Antrieb. Für diesen "Traum" lebte er und nicht für den Rock 'n' Roll, wie es mir die Musikindustrie seit meiner Jugend eingebläut hatte.
Es ging nicht darum, endlich "frei" zu sein oder sich von seinem Elternhaus zu lösen. Der angebliche Protest gegen die Elterngeneration war schon immer ein gutes Verkaufsargument der Musikindustrie, allerspätestens seit Mitte der sechziger Jahre mit Aufkommen der Hippie-Bewegung.
Zudem merkt man an Sams häufig peinlichen Eskapaden im Alter, das Rock 'n' Roll schon immer eine Jugendkultur gewesen war. Das hat meine Generation nicht kapiert, deshalb ist der ganze Hype um die Rockmusik auch immer nur eine Ausrede vor einem Verlassen der Jugendkultur gewesen.
Der spätestens seit den 60ern übliche Protest gegen die Eltern, der sich über die Musik ausdrückte, verpufft natürlich, wenn man selber mit den Jahren mehr und mehr Verantwortung übernehmen muss. Die einen erkennen dass früher, andere später bis sehr viel später und manch einer nie, was diese Menschen aber trotzdem liebenswert bleiben lässt.
Einen Berufsjugendlichen kann man nicht böse sein, weil dieser es geschafft hat, keine Verantwortung für Andere übernehmen zu müssen. Ich selbst bin eigentlich auch sehr spät mit Verantwortung konfrontiert worden, habe also auch erst spät die Kurve gekriegt. In dieser Hinsicht war das Buch von Peter Guralnick das fehlende Puzzleteil, welches mir half, diese Zusammenhänge zu verstehen und meinen Frieden damit zu machen.
Denn es wäre natürlich schöner gewesen, hätte ich diesen Traum noch weiterleben können, aber so ist das Leben nun mal nicht. Aber ich möchte die Besprechung dieses Buches doch versöhnlich abschließen.
Man darf die Anfänge des Rock 'n' Roll nicht lediglich auf Sam Phillips und Sun Records reduzieren. Umso mehr gilt das im übrigen für die Spielart des Rockabilly, der die eigentliche "Vorstufe" der "weißen" Rockmusik darstellt. Da gab es parallel noch eine ganze Meute an unabhängigen Plattenfirmen; stellvertretend seien hier die Brüder Chess von Chess Records oder auch die Erteguns von Atlantic Records genannt.
All diese Leute hatten ebenfalls begnadete Rock 'n' Roll und Rockabilly Stars unter Vertrag. Der Ruhm von Sam Phillips ist in erster Linie der Entdeckung Elvis Presleys geschuldet. Dieser Ausnahmemusiker wäre vielleicht bei anderen Firmen nie entdeckt worden, weil die Künstler dort zumeist von A&R Managern gecastet wurden.
Eben dies war bei Sam Philipps in Memphis anders. Bei ihm konnte jeder, der wenigstens eine Gitarre halten oder ein anderes Instrument spielen konnte, in dem kleinen Studio vorspielen. Wenn ein Sam Philips überzeugt war und das Talent in einem Musiker erkannte, wurde die Session aufgezeichnet.
Sam war zudem noch Fan der Musik und nicht lediglich Geschäftsmann wie die meisten seiner Konkurrenten. Er hatte so seine Passion zu seinem Beruf machen können; dieses Glück wird nicht jedem in seinem Leben zuteil. Genau dies führte dann auch häufig zu Fehlschlägen, von denen er sich aber nicht entmutigen ließ.
Mit sicherem Gespür für die Musik entdeckte und produzierte er Howlin Wolf, Elvis, Johnny Cash, Carl Perkins und Jerry Lee Lewis. Roy Orbison, Warren Smith oder Billy Lee Riley sind heute ebenfalls bekannte Größen des Rockabilly, obwohl der Erfolg seinerzeit häufig eher als stark durchwachsen beschrieben werden kann.
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