Donnerstag, 23. Januar 2020
Hartmudo: Mutter
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Silvester war vorbei, wir schreiben den 4. Januar, ein Mittwoch. Überraschenderweise rief mich Sunny am späten Vormittag auf der Arbeit an. Mit zuckersüßer Stimme erzählte sie mir, dass der Makler sie am Freitag jener Woche besuchen würde. Insgesamt wirkte sie während dieses Telefonates sehr ruhig und aufgeräumt. Gerade so, als ob nie ein Streit zwischen uns stattgefunden hätte.
Ich war einerseits überrascht ob ihrer Freundlichkeit am Phone, andererseits freute ich mich darüber, dass wir endlich zu einem normalen Tonfall im Gespräch zurückgefunden hatten. Zu lange hatten wir uns angeschrien; die wenigen Dinge, die wir jetzt noch regeln mussten, konnten wir doch auch emotional unaufgeregt besprechen. Sicher dachte Sunny sich das auch und achtete deshalb wie ich darauf, ruhig zu argumentieren und dem anderen zuzuhören.
Sunny berichtete, dass der Makler am Freitag zu ihr kommen würde, um noch die letzte Unterschrift abzuholen. Sie hatte dazu wohl auch noch einige Fragen an ihn. Vordringlich war ihr der angestrebte Angebotspreis für Mutters Wohnung, der war ihr ja im alten Jahr bei unseren Gesprächen als zu niedrig angesetzt erschienen.
Da sie in ihrer Sprache ruhig blieb, konnte ich mich auch beherrschen und zusammenreißen. Wir hatten noch im Dezember über unseren Angebotspreis für die Wohnung ausführlich gesprochen, das allerdings in einem stellenweise rüden Ton. Da ich ein erneutes Rumgebrülle vermeiden wollte, ratterte ich meine Argumentation emotionslos herunter. 125.000 € als Startpreis für eine Wohnung im 3. Stock ohne Fahrstuhl mit mangelhafter Elektrik... Ich kann bis heute nicht nachvollziehen, warum Sunny sich einbildete, nochmal 10.000 € mehr aus der Wohnung herausschlagen zu können.
Aber wie gesagt. Ich blieb ruhig, der Makler würde ihr das schon verklickern. Auf alle Fälle wollte mich Sunny hinterher von dem Gespräch unterrichten, notfalls per WhatsApp. Das Ganze erzählte sie, wie schon erwähnt, mit zuckersüßer Stimme. Und ich blieb deshalb ruhig, war auch versöhnlich gestimmt, obwohl ich nach wie vor misstrauisch war. Obwohl - misstrauisch?
Nein, misstrauisch trifft es nicht. Denn es gab ja keinen Grund mehr für Misstrauen. Wir mussten uns jetzt lediglich noch zur Kontoauflösung bei der Nord/LB im Heidberg und selbstredend irgendwann beim Notar zur Beurkundung des Wohnungsverkaufes treffen. Jetzt könnte Sunny weder Berta noch mich weiter so verarschen. Daher gab es ja auch gar keinen Grund mehr, aggressiv zu sein. Und offenbar hatte sie ihr eigenes Pöbeln beim letzten Treffen in Mutters Wohnung vergessen. Mich selbst hatte es eh nur am Rande verletzt.
Ich fragte auch nicht mehr nach den Erlösen aus dem Wohnungsflohmarkt. Nicht wegen meines Anteils, ich hatte bereits verzichtet. Aber Eveline und Gundula hatten da jenen Samstag zugebracht und hätten zumindest den Anteil von Berta verdient gehabt. Doch auf der Arbeit wollte ich mich darüber nicht auch noch herumstreiten müssen. Denn eigentlich war es egal, was Sunny dazu gesagt hätte, weil für mich wäre es in jedem Fall ein Grund zum Hyperventilieren gewesen. Falls sie nicht gebrüllt hätte, dann wäre ich wohl abgetickt. Nein, das konnte ich auf der Arbeit nicht gebrauchen. Sollte Berta das klären, ich würde lieber die Karte ziehen, die da sagt: Sunny ist das Arschloch. Ein Grund mehr, den Kontakt mit ihr abzubrechen.
Irgendwann während dieses wohltuend angenehmen Gesprächs fragte mich Sunny beiläufig nach einem aktuellen Kontoauszug. Denn sie ging (nicht zu Unrecht) davon aus, dass die ca. 10.000 € aus der Auflösung des Kontos beim Bankhaus Löbbecke inzwischen auf Mutters Girokonto transferiert sein müssten. Da wollte sie verständlicherweise Bescheid wissen, ist schließlich nur recht und billig.
Mit ruhiger Stimme erklärte ich ihr, dass Sunny im alten Jahr keine Auszûge mehr geholt hatte, weil sie den kompletten Monat auf dem Auszug haben wollte. Wohl auch wegen der notwendigen Steuererklärung von Mutter; so glaube ich mich zu erinnern. Außerdem waren diese Auszüge ja nicht umsonst. Jeder Auszug kostet Geld. Dies betonte ich entsprechend, da ich ja wusste, dass Sunny in erster Linie an der Kohle interessiert war.
Und ich wollte damit auch Berta schützen. Nicht dass Sunny ihr wieder Untätigkeit vorwerfen konnte; dass machte sie nur zu gerne. Dieser Hass auf ihre Schwester konnte man nur noch als pathologisch bezeichnen. Ich versprach Sunny, Berta anzurufen und mir von ihr die neuen Kontoauszüge geben zu lassen. Per Mail wären sie dann schnell bei Sunny gewesen. Würde Sunny diesen Köder schlucken oder anfangen rumzumosern, bloß um Sunny wieder einen verplätten zu können?
Anscheinend war Sunny einverstanden, denn sie äußerte ein „Gut" oder auch „o.k.", irgend etwas in der Art. Dies schien also geklärt zu sein, aber Sunny erzählte noch weiter. Freundlich, wie schon erwähnt. So nebenbei entschuldigte sie sich schon halb für ihre Fragerei, weil sie sich etwas unsicher fühlte. Das deutete sie zumindest an. Es ging ihr um die Kontovollmacht, die Berta hatte.
Sie erklärte das auch: Reiner und sein Bruder mussten beim Tod ihres Vaters immer zusammen zur Bank hin, da konnte keiner von beiden irgend etwas alleine machen. Dass Berta nicht nur Kontoauszüge holen, sondern auch Überweisungen tätigen konnte, obwohl Mutter gestorben war, verstand sie daher nicht. Wieso das gehen würde, sie wüsste das ja nicht...
Da Sunny dies auch in einem sehr freundlichen Ton erzählte, erweckte sie augenblicklich mein Mitgefühl, so dass ich mir richtig Mühe gab, ihr den Unterschied ausführlich zu erklären. Wesentlich dürfte hier gewesen sein, dass Mutter im Gegensatz zu Reiners Vaters eine Kontovollmacht über den Tod hinaus ausgestellt hatte. Dies auch noch zugunsten von Berta, was ja auch am sinnvollsten gewesen war.
Denn Sunny hatte bis zum Sommer, als Mutters gesundheitliche Probleme zunahmen, nach eigenem (früherem und dauerndem) Bekunden keine Möglichkeit gehabt, Mutter zu besuchen, weil sie kein Auto oder - als sie eines bekam - Angst vor der Strecke hatte. Auffallend war natürlich, dass Sunnys Angst umso geringer wurde, je schlechter es Mutter ging. Das erzählte ich Sunny natürlich nicht.
Normalerweise wollte Mutter mir diese Vollmacht erteilen, weil sie mir kraft meines Berufes eine natürliche Fachkompetenz zutraute. So verständlich Mutters Begehr auch war, aber ich hatte sie seinerzeit überzeugt, Berta diese Vollmacht zu erteilen, weil ich kein Auto habe und tagsüber in Salzgitter arbeite. Falls Mutter also bei Bankgeschäften Hilfe benötigt hätte, z.B. um Geld abzuheben und ihr zu bringen, wäre Berta als Rentnerin im Gegensatz zu ihren Geschwistern schnell verfügbar gewesen.
Dies galt natürlich nach Mutters Tod weiterhin fort. Es wäre ja auch zu blöd, wenn wir alle 3 zur Bank fahren müssten, um eine Rechnung der Pflege oder Strom oder sonst etwas zu bezahlen. Das hätte Sunny sicher auch nicht eingesehen. Die Zahlungen, die über das Konto liefen, waren nämlich das Wichtige nach Mutters Tod. Geldeingänge und deren Verteilung waren da zweitrangig.
Denn diese waren leicht anhand der Kontoauszüge nachzuvollziehen. Von daher waren sämtliche Befürchtungen, die Sunny gehabt haben könnte, unbegründet. Wegen der Vollmacht hatte sich Sunny bei Frau Peters bei der Bank schon erkundigt. Moment Mal, jetzt erst, wo ich dies schreibe, fällt mir auf... Von wegen „ich weiss das ja nicht...". Frau Peters hatte es ihr wohl auch schon erklärt gehabt! Das mir das im Gespräch nicht aufgefallen war, lag wohl an Sunnys milden Ton, der mich eingelullt hatte.
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