Dienstag, 8. Oktober 2019

H. Lecter: Alf


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Eine weitere Erinnerung an die Gaststätte von „Marlies und Klaus“ möchte ich hier aber noch einfügen. Die Szene ereignete sich nicht bei unserem ersten Aufenthalt, sondern ein paar Male später, also gegen Ende der 90er Jahre. Wir waren an einem Nachmittag bei Marlies und Klaus eingekehrt und hatten wohl auch Fußball geguckt.
An jenem Tag war es Max statt Alf, der im Höchsttempo unterwegs war. Schon vorher im Balneario hatte er sich am Sangria gütlich getan. In der prallen Sonne nuckelte er sein Glas mit dem Strohhalm in einem Tempo leer, dass man unwillkürlich an jene imaginäre Blondine denken musste, die einen Tennisball durch den Gartenschlauch einsaugt. Eine Mütze hatte er selbstverständlich nicht auf seinen Kopf gesetzt, so dass seine nickelumrandete Sonnenbrille lediglich seine Augen schützte. Bei Marlies und Klaus jedenfalls war er anfangs noch guter Dinge und scherzte und lachte mit uns, dass es eine wahre Freude war.
Ob Alf da schon am Tisch eingeschlafen war, weiß ich nicht mehr, halte ich aber für wahrscheinlich. Wenn ich jetzt meine Augen schließe, kann ich Alf vor mir sehen. Auf Malle. Hochroter Kopf in der prallen Sonne. Die geölten Haare kleben klatschnass am Kopf, ohne dass er gerade aus der Dusche kam. Der Schweiß läuft ihm von der Stirn das Gesicht herunter. Die Augen hinter der beschlagenen Brille sind geschlossen. Halt – hinter der verrutschten Brille! Die Arme sind vor der Brust verschränkt. Der Kopf ist leicht nach links vorne und unten geneigt. Ein sanftes Säuseln entspringt seinen roten Lippen, ehe sich sein Sound stakkatomäßig einer Motorsäge annähert.
Nicht so Max. Als wir fertig waren und zum Hotel zurückgingen, um uns noch einmal frisch zu machen, da musste er sich urplötzlich am Tisch abstützen. Jetzt schlug Vater Schwerkraft mit seinem Stiefbruder Gleichgewichtssinn erbarmungslos zu. Max wankte, aber er fiel nicht. Der bekennende Eintracht Fan, der natürlich auch ein Trikot des damaligen Regionalligisten trug, reckte seine rechte Hand in die Höhe und stellte Zeige- und Mittelfinger zu einem V aus.
„Vau - Maaaarkt!“ gröhlte er lauthals in eine unbestimmte Richtung dazu. V-Markt, das war eine Supermarktkette vom Immobilieninvestor Jochen Staake und gleichzeitig der Trikotsponsor der Eintracht. Wieder und wieder schrie Max „Vau – Maaaarkt!“ in die Runde, schwankte dabei noch sehr bedrohlich von links nach rechts, fiel jedoch nicht. Lag vielleicht aber auch daran, dass er sich an der Lehne eines Stuhles festhielt.
Und bevor wir die Terrasse vor dem Lokal ganz verlassen hatten, riss Max das Plakat von der Plexiglastür, welches ihm schon beim Betreten der Gaststätte aufgefallen war. Denn auf dem Plakat war eine Ankündigung für ein Konzert drauf. Michelle im Oberbayern! Da mussten wir noch hin, das Plakat wollte er sofort haben. Als Schlagerfreund freute er sich besonders auf dieses kommende Event; dies ging Buck und Alf zwar auch so (mir weniger), doch Max war stinkebreit und sammelte vorab schon mal schnell das Andenken ein.
Jetzt weiß ich auch wieder, dass wir vor dieser Aktion – Stunden zuvor – am Strand im Balneario 6 einige Getränke zu uns genommen hatten (ja, Sangria – wie zuvor beschrieben) und urplötzlich diese Gruppe von Deutschen und Spaniern an unserem Tisch stand und Handzettel verteilte. Es waren zwei Gruppen; zuerst die Mädels im Dirndl und kurz danach die Kerle im Krachledernen, alle mit einem blauweißen Shirt bekleidet. Sie ließen mehrere Flyer vom Oberbayern an unserem Tisch und zogen dann fröhlich singend weiter.
Heute Abend. Michelle live ab 23.00 Uhr. Vom Schlagermove war da noch nicht die Rede, aber Fans dieser Musik waren wir alle – außer mir. Tja… Gruppendynamische Prozesse… ich musste wohl oder übel mit. Einer musste ja auf Alf aufpassen.
Und am späten Nachmittag also riss Max das Plakat von der Tür, rollte es zusammen und schwang die Rolle, mit der Hand in die Höhe gereckt, wie ein Zeremonienmeister nach vorne. Wir anderen hinterher. „Buenos Dias Matthias und noch einmal…“ skandierte Max hierzu, ein fröhliches „Vau – Maaaarkt“ hinterherschickend.
Zeit fürs Abendessen, da wir im Lancaster Vollpension gebucht hatten. Vielleicht haben wir uns auch noch etwas hingelegt – für Michelle wollten wir schließlich fit sein.

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