Freitag, 23. August 2019
Hartmudo: Mutter
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...der Supergau passierte am Tag darauf, am Donnerstag.
8. Dezember und der Geburtstag von Harald, Sunnys Sohn. Ich verbrachte einen entspannten Vormittag im Büro, weil Berta und ich uns am Vorabend durchgesetzt und eben nicht von Sunny in die Defensive hatten drängen lassen. Derart beflügelt, ging mir die Arbeit gleich leichter von der Hand.
Aber nur, bis mich Berta kurz vor Mittag anrief. Erneut wirkte sie äußerst erregt, um nicht zu sagen aufgelöst. Sie befand sich gerade mit dem Mann aus Walle in Mutters Wohnung, um die Räumung derselben durch seine Firma zu besprechen. Berta, und auch ich in diesem Moment beim Telefonieren, fiel aus allen Wolken, als dem Mann aus Walle auf einmal einfiel, dass er nicht nur keine 500,-€ zahlen könne, sondern im Gegenteil noch 500,-€ in Rechnung stellen musste.
Das war noch nicht mal das Schlimmste an der Sache. Er wollte zusätzlich noch die Teppiche mitnehmen, die bei dem Deal, den Sunny ursprünglich eingefädelt hatte, in der Wohnung geblieben wären. Somit hatten wir jetzt einen schlechteren Handel als Sunny an der Backe; meine Güte, wie peinlich.
Was hatten Berta und ich uns am Vorabend in Rage geredet, all unser Frust ob der vergangenen Wochen und Monate, in denen wir relativ passiv die Auflösung des Nachlasses von Mutter betrieben und Sunny verdächtigten, ja bezichtigen, uns zu übervorteilen - stellte sich jetzt als großer Irrtum heraus.
Zumindest nahm ich mir sofort vor, mich bei Sunny für diese Nummer mit der Änderung bei der Wohnungsräumung zu entschuldigen. Zumindest für den Fall, dass Berta am Freitag nicht doch noch eine andere Firma finden würde. Denn genau das ist der Unterschied zwischen Sunny und mir: Wenn ich einen Fehler mache, sehe ich ihn augenblicklich ein und entschuldige mich notfalls.
So dachte ich großkotzig über mich. In Wirklichkeit wollte ich es aber aus Feigheit vertuschen und hoffte, dass Berta das doch noch irgendwie hinbiegt, bloß damit ich mir keine Blöße geben müsste. Also vertagten Berta und ich uns für den Freitag, weil Berta dann endgültig Bescheid wissen würde.
Am Freitag wurde es jedoch bei Bertas Anruf leider nicht besser. Berta hatte es erst gar nicht bei einer anderen Firma versucht. Sie hatte den Mann aus Walle nochmal kontaktiert und es geschafft, ihn unter Tränen davon zu überzeugen, denselben Deal wie den von Sunny zu akzeptieren. Das hatte Berta auf alle Fälle nicht nur Überwindung, sondern sicher auch viele Körner gekostet.
Trotzdem würde ich mich bei Sunny entschuldigen wollen, das lag mir ab dem Tag an schwer im Magen. Berta meinte gar noch, das sie mit ihrem eigenen Geld den Unterschied zum alten Deal von Sunny ausgleichen würde. Selbstverständlich ließ ich Berta hierbei nicht im Regen stehen. Berta und ich würden uns den Schaden teilen, denn auch ich hatte auf die Abänderung des Deals gedrungen.
Meine Schuld war genau so groß wie die von Berta. Mitgehangen, mitgefangen. Zum Glück kam es nun nicht dazu. Ich weiß aber nicht, ob ich es als Erfolg werten soll, dass Berta haargenau dieselben Konditionen wie Sunny bei ihrem Deal herausgeschlagen hatte. Es fühlte sich trotzdem wie eine Niederlage an.
Selbstredend gingen Berta und ich jetzt nicht zur Tagesordnung über. Zuerst sinnierte ich über die Sinnhaftigkeit von Ratschlägen Dritter - hier von Siggi, Bertas Schwiegersohn, wenn die Dinge eben doch nicht vergleichbar sind. Noch dazu sind Berta und ich sofort „losgelaufen", ohne nachzudenken, geschweige denn wenigstens zu überlegen.
Was hatte Siggi da nur erzählt? Er hatte Mutters Wohnung ja noch nicht einmal gesehen oder wenigstens betreten. Ich hakte bei Berta nach und fragte sie, wie das denn sein könne. Laut Siggi sollten die Wohnungen doch vergleichbar sein. Ihre Antwort erklärte dann die Unterschiede.
Die „vergleichbare" Wohnung von Siggi hatte wohl lediglich eine ähnliche Größe, lag vielleicht sogar ja auch in einem Wohnblock der Bauart von Mutters Haus. Das entscheidende Kriterium aber war, dass sich die andere Wohnung im Erdgeschoss und eben nicht im dritten Stock ohne Fahrstuhl befand. Dann wurde dort auch noch die Küche vom Ausräumer der Wohnung abgebaut und mitgenommen. Das war bei Mutter anders geplant; gerade die Küche sollte in ihrer Wohnung verbleiben.
Ob Teppiche oder sonstige, für ein Räumungsunternehmen interessante Möbelstücke, oder Inventar, in der von Siggi genannten Wohnung vorhanden waren oder nicht, das schien nicht den Unterschied auszumachen. Was wiederum im Umkehrschluss bedeutete, dass Reiner Berta und mir keinen Bären aufgebunden hatte, als er meinte, dass wir für die Teppiche eh kein Geld bekommen würden.
Schon nach diesen wenigen Erklärungen von Berta und meinen kurzen Überlegungen dazu war mir klar, was da passiert war. Berta hatte Eveline von ihren und meinen Befürchtungen des Schmus durch Sunny bei der Wohnungsräumung erzählt, als sie ihre Enkelkinder besucht hatte. Dies erfuhr Siggi dann entweder direkt oder bekam es von Eveline erzählt.
Vielleicht hatte Berta Siggi auch direkt gefragt, weil sie hoffte, irgendeine Aussage zu dem „wirklichen" Preis einer Räumung von Mutters Wohnung zu bekommen. Dann wäre sie entweder beruhigt, wenn Sunnys Preis korrekt oder gar günstiger gewesen wäre, oder sie hätte unseren Verdacht der Täuschung durch Sunny als erwiesen ansehen können.
Das Letztere schien dann ja nach Siggis Äußerungen der Fall gewesen zu sein. Heute, also im Nachhinein ein knappes halbes Jahr später, kann ich natürlich leicht sagen, dass Berta Siggis Angebot nicht wirklich mit Sunnys Deal verglichen hatte. Gleiche Wohnung, ähnliche Gegend... und Sunny hatte in unseren Augen sowieso verschissen.
Nach den wesentlichen Details, die für einen Ausräumer entscheidend sind, hatte Berta Siggi offenbar nicht mehr gefragt. Für eine Erdgeschoßwohnung bräuchte ein Unternehmer wesentlich weniger Mitarbeiter oder wäre entsprechend schneller fertig. Und eine halbwegs akzeptable Einbauküche lässt sich, anders als Orientteppiche, noch einmal verkaufen. Das sind zumeist Standardmaße, das allein macht den Unterschied aus.
Ich selbst hatte bei Berta auch nicht nachgefragt, weil ich ihre Aussage zu Siggis Angebot gar nicht weiter hinterfragt hatte. Und warum sollte ich? Wenn ich alles hinterfragen würde, was an einem Tag so auf mich einprasselt, dann mache ich nichts anderes mehr.
Doch eigentlich kann ich Berta verstehen. Wahrscheinlich hätte ich Siggi auch nicht weiter ausgefragt, um das Ganze wasserdicht zu machen. Ich stand halt wie Berta schon seit Wochen unter Strom und konnte kaum noch klar denken. Mir war in der Aufregung nach Mutters Tod einfach alles zu viel geworden. Die zu regelnden Angelegenheiten wurden sämtlich grob geklärt und danach handelten wir entsprechend. Oder eben auch nicht. Wenn ich nur an diese leidige Geschichte mit dem Wohnungsflohmarkt denke...
Aber jetzt hatten wir den Salat und ich würde mich bei Sunny entschuldigen müssen. Dieses schlechte Gewissen Sunny gegenüber empfand ich nicht als angenehm. Und eines hatten Berta und ich bei dieser Aktion (hoffentlich) gelernt: Höre niemals blind auf Dritte, die Dir gute Ratschläge erteilen, aber in Wirklichkeit keine Ahnung haben.
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