Weihnachten sollte für mich eigentlich am Dienstag, dem 20. Dezember beginnen. Zum ersten, weil jetzt endlich alles in Sachen Nachlass meiner Mutter in trockenen Tüchern schien. Sprich: Ich musste mich nicht mehr mit meiner Schwester herumärgern, weil jetzt nur noch ein Makler mit dem Wohnungskauf beschäftigt ist und wir keine langwierigen Diskussionen mehr führen müssen.
Und zum zweiten, weil wir uns an diesem Tag um 18.00 Uhr mit den Trantüten auf dem Weihnachtsmarkt Wolfenbüttel treffen wollten. Wie jedes Jahr also das Treffen dort mit den Trantüten. Nach all dem Nerv der letzten Wochen konnte ich mich endlich einmal wieder auf etwas freuen. Was für eine Wohltat!
Auf der Arbeit hatte ich für meine Kollegin den Urlaubsantrag für die Woche vor Weihnachten abgezeichnet. Daher hatte ich den Tag über gut zu tun und freute mich auf den Feierabend wie schon lange nicht mehr. Und das, obwohl ich sogar noch eine Stunde länger als normal arbeitete. Ich wollte schon eine Stunde vor dem Treffen in Wolfenbüttel sein, um noch in Ruhe einen Kaffee zu trinken und an meiner Story über Mutter arbeiten zu können.
Voller Zuversicht und Vorfreude stieg ich am Lebenstedter Bahnhof um zwanzig nach Vier in den Schnellbus nach Wolfenbüttel. Meine Monatskarte nützte mir hierbei nur zum Teil etwas, denn nur die Strecken in Braunschweig und Salzgitter sind damit abgedeckt. Nach Wolfenbüttel musste ich was zuzahlen.
Ich zeigte also dem Fahrer meine Monatskarte aus der Brieftasche und legte diese dann an die Seite auf die Münzablage beim Fahrer, weil ich noch 3 Euro dazulegen musste, um nach Wolfenbüttel gelangen zu können. Das Bargeld trage ich von den Papieren getrennt in einer kleinen Geldbörse, vorne in der Hosentasche, seitdem ich vor 15 Jahren mal beklaut worden war und monatelang Rennereien hatte, um meine verloren gegangenen Papiere neu ausstellen zu lassen.
Nach dem Bezahlen setzte ich mich schnell hin und verschlang die Seiten in „Aurora“, dem Buch, welches ich zur Zeit lese. Am Kornmarkt in Wolfenbüttel stieg ich aus, der Weihnachtsmarkt ist dort gleich um die Ecke. Ich schlich noch blind in der Gegend herum, weil ich eine Kneipe oder ein Cafe suchte, wo ich mich hinsetzen und auch Platz zum Schreiben hätte. Im Cafe am Markt“, an dem ich anfangs schon vorbei gegangen war, fand ich letztendlich noch ein ruhiges Plätzchen.
Ich setzte mich, zog die Jacke aus und schaltete das Tablet ein. Dazu bestellte ich mir einen Pott Kaffee. Am Nebentisch unterhielten sich 2 noch ältere Männer als ich angeregt miteinander. Meine Finger huschten über die Tastatur; die Zeit verging wie im Flug und ich schaffte sogar mehr als eine Seite. Das ist gut für eine Dreiviertelstunde.
Danach holte ich mir ne Bratwurst und einen Apfelpunsch mit Schuss. Ich hatte gerade den ersten Schluck genossen, als meine Löwin anrief. Die anderen Trantüten hatten sich schon alle vor unserem bevorzugten Bräter versammelt. Ich eilte mit dem Punsch dorthin und ab da ging es fröhlich weiter. Mit Charles und Ralle redete ich mich so richtig in Fahrt. Keine Frage, dies war ein schöner Abend.
In der einzigen Hütte mit Sitzplätzen drängten wir uns schließlich an einen Tisch. Noch waren wir nicht alle beisammen – unter anderem meine Löwin fehlte, aber Charles orderte vorsichtshalber ein Stützbier. In der Hütte war es warm, so das ich endlich meine Jacke öffnen konnte.
Wie ihr alle wisst, hat Sheldon Cooper so seine Ticks auf Lager. Zwanghafte Handlungen, die er immer wieder ausführt wie z.B. das dreifache Klopfen an Haustüren mit Ausrufen vom Namen des Bewohners. Mein Tick besteht in der Kontrolle meiner mitgeführten Utensilien. In der Winterjacke taste ich also zuerst nach dem Handy in der linken Tasche, danach folgt die Brieftasche in der oberen Innentasche.
Und was war das? Die Brieftasche war nicht an seinem Platz. Mein Herz schlug sofort schneller, die Atmung beschleunigte sich rasant. Ich kontrollierte alle Taschen meiner Kleidung, und oh Schreck: Die Innentasche, wo die Brieftasche normalerweise beheimatet ist, stand offen und war leer. Auch eine gründliche Untersuchung meiner Bürotasche brachte kein Ergebnis. Mensch, Hartmudo, denk nach!
Hatte mir jemand die Brieftasche aus der Jacke geklaut? Unwahrscheinlich, denn die Jacke war die ganze Zeit über geschlossen. Oder etwa nicht? Hatte ich beim finnischen Glök meine Jacke vielleicht geöffnet, weil ich ja bekanntermaßen ein heißer Typ bin? Eher unwahrscheinlich – also die offene Jacke jetzt. Hatte ich sie nicht irgendwo rausgenommen…
Das Cafe! Da hatte ich die Jacke ausgezogen, vielleicht war die Brieftasche ja am Tisch herausgefallen. Oder ich hatte sie auf die Ablage bei den Urinalen abgelegt, als ich vor dem Verlassen der Lokalität nochmals meine Blase entleerte. Das war die wahrscheinlichste Möglichkeit.
Schnell verließ ich die Hütte, murmelte noch irgendetwas Unverständliches vor mich hin. Das Bier und Charles wie Ralle ließ ich stehen. Wahrscheinlich kreidebleich hastete ich Richtung Cafe, welches typischerweise bereits geschlossen hatte. Auf dem Weg dorthin lief mir meine Löwin über den Weg. Ich raunte ihr nur ein aggressives „Die Brieftasche ist weg“ entgegen. Meine Güte, sie konnte ja nun wirklich nichts dafür.
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