John Scalzi – Das Syndrom
Seit „Krieg der Klone“ liebe ich diesen Autor; auch nach manch einer Schwäche. In diesem Thriller kehrt er endlich wieder zu seinem Lieblingsthema zurück, dem Transferieren eines Bewusstseins in einem fremden Körper. Das Ganze erinnert zwar stark an „Surrogates“, jenem sehr guten Film mit Bruce Willis, besticht aber mit einer genaueren und plausibleren Beschreibung der Zukunftsgesellschaft.
Es geht ein Virus um die Welt, die für viele Erkrankte zu einer Art Wachkoma führt, dem sogenannten Haden-Syndrom. Haden, weil die Frau des US Präsidenten das wohl bekannteste Opfer ist. Zum Zeitpunkt dieses Romans, also ca. 20 Jahre nach Ausbruch des Virus, ist diese schon tot. Der bekannteste „Haden“ – so werden die Opfer mittlerweile genannt – ist der Sohn eines Gouverneurs und ehemaligen Basketballlegende. Chris Shane fängt gerade seinen ersten Tag als FBI Agent an und fungiert als Ich-Erzähler.
Die „Haden“, von denen es in den USA ca. 2 Millionen gibt, sind maschinell hergestellte Klone (Threeps), die dank eines im Gehirn implantierten Netzwerks von den Opfern des Virus gelenkt und gesteuert werden. Nur auf diese Art können sie am Leben noch teilnehmen, weil ihre eigentlichen Körper regungslos ans Bett gefesselt sind und von Pflegepersonal betreut werden müssen.
Zu einem guten amerikanischen Krimi gehört natürlich auch ein Partner, hier in der Gestalt von Agentin Vann, einer ehemaligen Integratorin. Integratoren sind Opfer des Virus, deren Gehirn wie bei einem Haden „verdreht“ ist, die aber nicht im Wachkoma liegen. Für einen „Haden“ ist das eine weitere Möglichkeit, mit der Außenwelt zu agieren, ohne mit dem C3PO-mäßigen Look eines Threeps rumlaufen zu müssen. Ein Integrator ist im Prinzip nichts anderes als ein lebender Threep, bei „Benutzung“ durch einen Haden bleibt das Bewusstsein des Integrators sanft im Hintergrund.
Und alle treffen sich dort, wo sich die Hadens ungezwungen und frei fühlen können. In Agora, einer Sim-City ähnlichen virtuellen Umgebung, können die Normalsterblichen mit den Haden offen kommunizieren. Diese sehr interessante Element spielt im Roman leider nur eine untergeordnete Rolle. Hierdran hätte Scalzi noch etwas feilen dürfen.
Die Geschichte hat viel gesellschaftspolitisches Potential. Hintergrund dieses Krimis ist denn auch eine Gesetzesänderung, durch welche die bisher großzügige Unterstützung der Haden durch Steuergelder arg zusammengestrichen werden soll, was der florierenden Haden Industrie gar nicht gefällt.
Schließlich ist es der erfolgreiche Unternehmer Hubbard, der in dem schwindenden Markt eine Monopolstellung anstrebt und vor keinem Mittel zurückschreckt. Mit vereinten Kräften können Shane und Vann Hubbard am Ende überführen und den Haden zu mehr Rechten verhelfen. Den Inhalt habe ich damit sehr kurz gehalten, aber der Plot an sich ist auch nicht mehr als ein normaler weil vorhersehbarer Krimi.
Es ist diese Welt voller „Surrogates“, die Scalzi hier ausbreitet, welche den Reiz des Romans ausmacht. Ich könnte davon noch ne ganze Latte vertragen, sprich Serie.
Patrick Lee – Das Signal
Der zweite Band mit dem Ex Agenten Sam Dryden bietet erneut filmreife Action a la Jack Ryan mit einer ganz zarten Science Fiction Note. Auch hier schreit alles nach einer Verfilmung, wobei inj diesem Fall das Spielfilmformat ausreichend wäre.
Die FBI Agentin Marnie Calvert wird zu einem Tatort in der Wüste gerufen. Ein geistesgestörter Hillbilly hatte 4 kleine Mädchen in einem Wohnwagen festgehalten und missbraucht. Wie Vieh hatte er de Mädchen in einem Käfig gehalten und dann den Wohnwagen mit den eingeschlossenen Mädchen abgefackelt. Da musste ich unwillkürlich an Criminal Minds denken, das ist ein typisches Szenario dafür.
Im nächsten Kapitel wird Sam Dryden mitten in der Nacht von seiner Freundin und ehemaligen Kollegin Claire Dunham zu Hilfe gerufen. Ohne zu fragen begibt er sich in die Wüste und gemeinsam befreien sie die 3 Mädchen aus den Fängen des Irren. Dieser wird dabei abgeknallt.
Erst nach dieser Rettungstat erfährt Dryden den Grund, woher Claire von dem Irren mit den gefangenen Mädchen wusste. Sie zeigt ihm ein Radio, dass Nachrichten abspielt, welche erst 10 Stunden und 24 Minuten in der Zukunft gesendet werden. Dale Whitcomb von der Firma Bayliss war durch Zufall über einen Neutrinoeffekt gestolpert und konnte so dieses Radio entwickeln. Ideal, um Menschenleben zu retten oder andere Katastrophen zu verhindern. Geeignet aber auch zur kriminellen Manipulation von Geschehnissen.
Kaum hat sie ihm dies offenbart, wird sie auch schon von Unbekannten entführt. Claire und Dryden werden überwältigt und in verschiedene Richtung weggebracht. Dryden kann seine Häscher ausschalten und ist auf einmal im Besitz des Radios. Fortan versucht er, Claire zu finden und zu befreien. Hierbei wird er von Marnie Calvert unterstützt., die ihm seine unglaublich wirkende Geschichte nach einer Vorführung des Radios abkaufen muss.
Irgendwann findet Dryden Whitcomb und erfährt die unglaubliche Geschichte hinter der Erfindung. Whitcombs Vater hatte 1942 in Afrika mit seiner Einheit eine deutsche Forschungseinrichtung ausgehoben und für einen Tag halten können. Den Deutschen, die schon seinerzeit mit Neutrinos experimentiert hatten, war diese Einrichtung so wichtig, dass sie alle Energie in die Rückeroberung legten.
Whitcombs Vater hörte dort in einem Radio statt der üblichen marokkanischen Musik ein schrill klingendes, englisches Lied namens „She loves You“. Witzig, wie lapidar Patrick Lee dies in die Geschichte einbaut. Jedenfalls ist Whitcomb selbst ein Guter und stirbt leider auch . Die Bösen sind natürlich ehemalige Nazis, die dank der Möglichkeit, in eine mögliche Zukunft sehen zu können, die Weltherrschaft für die Herrenrasse gewinnen wollen.
Das Geschehen kreist um zukünftige Attentate an dem wahrscheinlichen Präsidenten der USA, Eversman. Jedoch ist dieser auch nur ein Mitglied der Nazibande, hat aber eigene Pläne. Dank der Hilfe von Claire, die sich doch noch selbst befreien konnte, können Marnie und Dryden schließlich Eversman in einer Verfolgungsjagd im Wald abknallen.
Zum Schluss zerstören sie das Radio, weil sie erkennen, dass die Nachteile des Blicks in die Zukunft die Vorteile überwiegen. Das Risiko des Missbrauchs ist einfach zu hoch.
Schön an diesem Roman ist der Aha-Effekt beim Lesen. Bei jeder Szene wird das Dilemma von Dryden und Marnie deutlich. Die Nazis wissen mindestens 10 Stunden im Voraus, wo die beiden sind und was sie machen. Deshalb müssen beide tunlichst jeden Kontakt mit Verkehrskameras und Webcams vermeiden, weil die Bots der Nazis in der Zukunft sämtliches Material sichten. Urplötzlich tauchen so vor Marnie und Dryden Killer auf, weil die Nazis sich darauf vorbereiten können. Und dank eines Tricks können diese noch weiter in die Zukunft schauen.
Darüber verrate ich ausnahmsweise mal nichts. Lest es Euch selber durch. Insbesondere ihr, die ihr Fans von Tom Clancy seid.
Philip P. Peterson – Paradox
Hier haben wir wieder mal einen Autor, der es im Book on Demand Verfahren versucht. Dank eines Lektorats ist dieser wohl zweite Roman des Autors flüssig lesbar und braucht den Vergleich mit etablierten Autoren des Genres nicht zu scheuen. Noch dazu handelt es sich um einen deutschen Autor; der Raumfahrtingenieur arbeitete früher für die europäische Raumfahrtbehörde und ist mit diesem Roman in 2016 für den Kurt-Laßwitz-Preis nominiert.
Zu Recht, wie ich finde. Peterson hat mit dieser packenden Story wie Brandhorst oder der von mir schon hoch gelobte Elbel locker internationales Format erreicht. Da sieht man, was ein unabhängiger Autor im Book on Demand Verfahren so alles reißen kann, ich werde meine Augen in diesem Bereich offen halten müssen, damit mir nichts entgeht.
In diesem Roman geht es hauptsächlich um 2 Personen. Da hätten wir zum einen den alternden Astronauten Ed Walker, der auf seiner letzten Mission als Captain der internationalen Raumstation ISS zum Helden wird, weil er seine Besatzung dank eines waghalsigen Manövers vor dem sicheren Tod bewahrt.
Der junge David Holmes ist Physiker und arbeitet an seiner Doktorarbeit über den Weltraum außerhalb des Sonnensystems. Während seiner Forschungen findet er heraus, das bei allen Sonden, die in den interstellaren Raum geschickt wurden, der Funkkontakt zur Erde in der jeweils gleichen Entfernung zur Sonne ohne Grund abbrach.
Der Raumfahrtkonzern Centauri des exzentrischen Milliardärs Wyman (der Charakter ist Elon Musk nachempfunden) stellt ihn schließlich ein. Wyman träumt von einer Kolonisation von Planeten außerhalb des Sonnensystems. Centauri hat einen Antimaterieantrieb entwickelt, mit dem die Reise zum Rand des Sonnensystems, an dem die Sonden verschwunden sind, lediglich ein halbes Jahr dauert. Der eher theoretisch veranlagte David soll eine Expedition dorthin als Wissenschaftler begleiten.
Captain der vierköpfigen Besatzung ist Ed Walker, der unverhofft zu einem weiteren Ausflug ins All kommt und dabei seine Frau verliert, die es satt hat, dass Ed sich wieder mal ins Weltall verabschiedet. Die Astronautin Wendy, mit der er schon auf der ISS war sowie die Wissenschaftlerin Grace, die de Antrieb mit entwickelt hatte, komplettieren die Besatzung der „Helios“.
Weit über 2/3tel des Romans geht es ausschließlich um das Training zu dieser Mission sowie die auftretenden zwischenmenschlichen Konflikte der vier Besatzungsmitglieder. Das Grace eigentlich Missionsleiterin werden wollte und lesbisch ist, macht diese Person auch nicht markanter. Der Autor hat hier gezeigt, das er im Bereich der Charakterschilderung von Frauen noch Luft nach oben hat.
Jedenfalls wird es auf den letzten 100 Seiten richtig spannend. Als die Helios die Barriere um das Sonnensystem durchstößt, sind die Sterne auf einmal weg. Die Barriere besteht aus intelligenten Nanomaschinen, die vernetzt sind und nicht nur in der Milchstraße, sondern auch in den Nachbargalaxien sämtliche Sternensysteme umschlossen haben.
Die Sterne werden auf die Innenseite der Barriere projiziert, um die eingeschlossenen Lebensformen wie z.B. die Menschen nicht zu beeinflussen. Aber aus ihren Gefängnis darf die Menschheit nicht raus, um andere Systeme zu kolonisieren. Dann droht die Vernichtung.
Da passt es ganz gut, das die Menschheit gerade vor dem dritten Weltkrieg steht. Um diesen Krieg zwischen USA und China zu verhindern, opfert sich Ed uneigennützig, damit die bewegungslose Helios wieder in Funkreichweite zur Erde kommt. Leider wird das Signal abgefangen und der Krieg bricht aus.
In der Schlussszene sieht Eds Frau die Atomraketen starten und sehnt sich nach Ed, der inzwischen wie die gesamte Besatzung der Helios gestorben ist. Nicht gerade ein Happy End, aber eben dadurch ein überraschendes Ende. Ich will mehr von Peterson.
Andreas Brandhorst – Das Schiff
Der neue Brandhorst ist mal wieder unwiderstehlich. 6000 Jahre in der Zukunft wird die Erde von den künstlichen Intelligenzen des Clusters beherrscht. In einem Krieg setzten sie sich gegen die Menschen durch. Die überlebenden Menschen haben nur noch eine Population von ca. 4 Millionen Leben, sind dafür aber unsterblich. Die künstlichen Intelligenzen führen bei jedem Menschen am 30. Geburtstag eine Unsterblichkeitsbehandlung durch.
Leider verlaufen diese Operationen nicht immer erfolgreich, so dass einige Menschen nicht unsterblich werden können. Damit sind sie aber ideal für die Tätigkeit als Mindtalker. Der Cluster dehnt seinen Einflussbereich im Weltall dank Expeditionsschiffen mit quasi Lichtgeschwindigkeit aus und ist zum Zeitpunkt des Romans schon 1000 Lichtjahre ins All vorgestoßen. Hier kommen die Mindtalker ins Spiel. Deren Bewusstsein kann vom Körper getrennt werden und per Funk ohne Zeitverlust auch über 1000 Lichtjahre hinweg übertragen werden. Vor Ort, an den neu entdeckten Orten, können die Mindtalker via Avatare auf die örtlichen Gegebenheiten reagieren und unabhängige Entscheidungen treffen, was den Maschinenintelligenzen nicht möglich ist.
Auf dem Mars wacht der Supervisor, ein zentrales Bewusstsein aus den 129 intelligentesten Menschen vor dem Krieg, über das fragile Gleichgewicht zwischen den Menschen und den Maschinen. Denn die Menschen haben auch eine Widerstandsgruppe namens Morgenröte zu bieten. Eine wesentliche Führungsrolle in dieser Organisation hat Evelyn inne, eine der nur 2 Hauptpersonen dieses genialen Schmökers. Sie versucht schon seit Jahrzehnten, Kontakt mit dem Mindtalker Adam aufzunehmen. Dieser ist 92 Jahre alt und kurz vor dem Tod, aber offenbar immer noch einer der wichtigsten Mindtalker, denn er ist ständig im All unterwegs.
Die unsterbliche Evelyn überredet den greisen Adam zu einem Trip nach den Ruinen von Brüssel, wo sie – die Schlüsselszene des Romans – ein Bild über Adam, Eva und die Schlange betrachten. Die Vertreibung aus dem Paradies hat für die Story Symbolcharakter.
Bei ihren Expeditionen ins All sind die Maschinen auf das einzige hochtechnisierte, aber leider ausgestorbene, Volk der Muriah gestoßen. Und auf den Feind der Muriah, das Schiff. Wie sich herausstellt, hatten die Muriah genau wie die Menschen im technologischen Fortschritt ihren Maschinen immer mehr Macht überlassen, bis diese sich gegen ihre biologischen Erzeuger zur Wehr setzten.
Auch die Maschinenintelligenzen der Erde betrachten sich als evolutionäre Fortentwicklung ihrer biologischen Vorgänger. Im Krieg gegen das Schiff wandeln sie auch die unsterblichen Menschen zu Mindtalkern um, denn die Unsterblickeit kann wieder zurückgenommen werden. Sie wollen auch die Macht des Supervisors brechen und die Macht übernehmen, ja auch die über das Schiff. Doch sie haben ihre Möglichkeiten weit überschätzt und werden ihrerseits vom Schiff assimiliert.
Der Schlüssel zur Vernichtung ist Adam. Nach vielen Irrungen und Täuschungen durch die Maschinen werden Adam und Evelyn ebenfalls vom Schiff assimiliert, jedoch kann sich Adam dank der ihm innewohnenden Schädlingssoftware eine gewisse Unabhängigkeit bewahren. Er sorgt letztendlich mit einigen befreiten Muriah, den letzten ihrer Art, für ein Gleichgewicht zwischen den biologischen und den maschinellen Intelligenzen.
Dieser Roman beschwört nicht als erster die Gefahren der Automation unserer Gesellschaft. Aber er weist nachdrücklich darauf hin, das sich beide Lebensformen ergänzen können und nicht im Widerspruch stehen. Together we are beautiful, möchte man meinen. Auch für unsere reale Welt können wir daraus etwas mitnehmen. Technologie zu verteufeln ist genauso unsinnig wie über die Ökos zu schimpfen. Beides kann sich ergänzen und ergibt in der Summe mehr.
Die Geschichte liest sich toll und durch die Konzentration auf wenige Hauptfiguren lässt die Story nicht zerfasern, was bei über 500 Seiten ja schon mal eine Gefahr darstellt. Ich warte jedenfalls gespannt auf den nächsten Hammer von Brandhorst.
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