Donnerstag, 23. Oktober 2025

Hartmudo: Belgien

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Ich kam nicht drauf - aber was waren jetzt die noch möglichen Optionen? In diesem Moment übernahm meine Löwin die Initiative; ich selbst war wie gelähmt und typischerweise in meinen sich im Kreis drehenden Gedanken gefangen. Die Welt um mich herum schien sich von mir zunehmend zu entfernen. Es war wieder so weit: Ich wollte mich nur noch ganz schnell unter einer Decke verkriechen und zusammenrollen.
Wie in Watte beobachtete ich meine Löwin, die zielstrebig zur Mitarbeiterin des Atomiums am Fahrstuhl ging, welcher direkt in die unterste Kugel und damit zum Ausgang führte, um ihr meine missliche Lage zu schildern.
Eher mühsam als achtsam löste ich mich aus meiner Starre und folgte meiner Löwin, um mich am Fahrstuhl in das Gespräch zwischen meiner Löwin und der Mitarbeiterin einzuschalten. Ich musste jetzt aktiv werfen - wie schaute das denn sonst aus? Meine Passivität machte mir zu schaffen; ich schämte mich regelrecht.
Mit meinem sehr brüchigen Englischkenntnissen erklärte ich der Mitarbeiterin die Situation und äußerte die Hoffnung, dass irgendjemand meine Brieftasche gefunden und diese sofort bei ihr abgegeben hätte. Schließlich war ja kein Bargeld drin gewesen und mit den Karten sollte auch nicht sehr viel anzufangen sein.
Leider konnte die Frau meine Löwin und mich nicht mit einer frohen Nachricht beglücken. Dank jahrelanger Tätigkeit im Atomium wusste sie zu berichten, dass sich professionelle Taschendiebe standardmäßig vor dem Atomium aufhalten würden und die Klagen hierüber nicht gerade selten seien. Auch würde die Polizei nicht mehr dagegen ankommen.
Aber ich könnte ja mal an der Information in einem der Pavillons vor dem Atomium nachfragen, vielleicht hätte ich da ja Glück. Freundlicherweise schleuste sie uns an der langen Schlange vor dem Aufzug zum Erdgeschoss vorbei, so dass wir sofort zur Information gelangen konnten. Derweil hatte ich Kredit- und Bankkarte noch nicht sperren lassen, da ich immer noch hoffte, dass sich die Brieftasche wieder von allein anfinden würde.
In Braunschweig war mir Ähnliches bereits ein- oder zweimal widerfahren und die Brieftasche fand sich dann doch wieder an. Hier denke ich vor allem an einen Besuch des Wolfenbütteler Weihnachtsmarktes mit unserem Kegelverein, den Trantüten. Da konnte ich mir meine Brieftasche am folgenden Tag bei der KVG in Wolfenbüttel abholen, weil ein freundlicher Fahrer meine Brieftasche in der Zentrale angegeben hatte.
Im Erdgeschoss angekommen, fragte ich hoffnungsvoll die Kontrolleure im Eingangsbereich, ob nicht vielleicht ein freundlicher Zeitgenosse meine Brieftasche gefunden und dort abgegeben hätte. Achtsam, aber bestimmt, wurden wir an die Information verwiesen. Wir hatten schon den Eindruck, dass die Kontrolleure eine derartige Anfrage nicht zum allerersten Mal in ihrem Berufsalltag zu hören bekommen hatten.
Desillusioniert betraten wir die Information. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich bereits wieder in meinem Schneckenhaus verkrochen und überließ meiner Löwin den aktiven Part, den sie auch souverän bewältigte. Die Dame am Informationsschalter notierte sich artig meine Telefonnummer, um uns zu kontaktieren, falls die Brieftasche überraschenderweise doch wieder auftauchen sollte. Unnötig zu erwähnen, dass sie uns eher mitleidig abfertigte.
Das kann ich aber auch verstehen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Touristen pro Tag mit einem ähnlichen Ansinnen bei ihr vor dem Tresen standen. Wenigstens konnte sie mit einer Information dienen, die für uns in dieser Situation unerlässlich war. Meine Löwin hatte gleich dran gedacht, ihr diese Frage zu stellen.
Die nächste Polizeistation befand sich offenbar fußläufig lediglich in zehn Minuten Entfernung. Augenblicklich setzten wir uns dorthin in Bewegung. Jetzt endlich dachte ich daran, Kredit- und Bankkarte zu sperren. Mittlerweile war mir klar geworden, dass der Junge auf dem weißen Pferd nicht mehr kommen und mir meine Brieftasche aushändigen würde.
Düstere Gedanken umwehten mein schütteres Haupt; Da wurde negative Gedanken von Ende 2001 wieder hochgespült. Seinerzeit - es geschah zwischen Weihnachten und Neujahr - hatte ich meinem Freund Klaas bei der notwendigen Renovierung seines neu angemieteten Hauses in Klein Schöppenstedt geholfen.
Sowohl mit Klaas als auch mit Jock verband mich unser Spieleabend, den wir allwöchentlich an den Montagabenden mit der Nintendokonsole verbracht hatten. Da half man sich gegenseitig; insbesondere Jock hatte auch mir 2 Jahre zuvor bei meinem Umzug zum Amalienplatz ohne viel Federlesen geholfen gehabt.
Um es kurz zu machen: Als ich nach der Renovierung erschöpft an der Tanke angehalten hatte, um mir noch einige kalte Biere zur Entspannung zu gönnen, musste ich feststellen, dass meine Geldbörse inklusive sämtlicher Papiere abhanden gekommen war. Und ich hatte auch sofort einen Verdacht gehabt.
Als erstes war ich zu Klaas zurückgefahren, um meine Geldbörse dort noch einmal zu suchen. Natürlich Fehlanzeige. Der Typ jedoch, welcher mit mir ein Zimmer tapeziert hatte und von dem ich aufgrund seines Verhaltens annehmen musste, dass er dem Genuss von Koks oder Speed zumindest nicht ablehnend gegenüber stand, schien mir hinreichend genug verdächtig für einen Diebstahl zu sein.
Klaas konnte mir glaubwürdig versichern, dass dieser es nicht gewesen sein konnte, da er seine Kokainabhängigkeit überwunden und seine Strafe abgesessen hätte. Vielleicht 10 Jahre später erhielt ich einen Anruf der Polizei, die meine Geldtasche anlässlich einer Hausdurchsuchung bei diesem Typen gefunden hatte. Die 300 DM waren da natürlich nicht mehr drin gewesen - wie überraschend!
Nun wurde bekanntlich weniger Tage nach diesem Diebstahl der Euro eingeführt. Und etwas einen Monat später hatte ich meine Löwin auf einer Party kennengelernt gehabt - da gibt es zeitlich also einen Zusammenhang in meinem Leben.

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