Dienstag, 23. September 2025

Hartmudo: Belgien

15
Die unzähligen Effekte machten mich ganz schwummrig im Schädel, da musste ich mich erst einmal setzen. Kann natürlich auch sein, dass mich der Hunger mittlerweile übermäßig stark beeinträchtigt hatte. Auf einer Bank sitzend (scheint wohl mehreren Leuten so gegangen zu sein, deshalb die Bank), traf ich meine Löwin wieder, die ich kurzzeitig aus den Augen verloren hatte. Auch sie wirkte erschöpft.
Wir bestaunten in der Folge das Blitzlichtgewitter noch so gut wie es ging, dann gingen wir weiter in dem Rundgang. Die nächste Rolltreppe führte eine Stufe abwärts zur zentralen Kugel des Atomiums. Dort hatte sich bereits eine lange Schlange gebildet, weil die Rolltreppe defekt war und die Besucher über die unbewegten Stufen steil nach unten klettern mussten.
Selbstverständlich befand sich kurz vor uns eine Dame, die aus lauter Panik die Stufen rückwärts bewältigen musste, weil ihre Ängste übermächtig waren. Dicht an dicht stand ich mit den anderen Besuchern im Gedränge vor der stillstehenden Rolltreppe, bis auch ich mich endlich an den Abstieg heranwagen durfte.
Und ich muss schon sagen, dieser steile und vor allem lange Abstieg zehrte doch etwas an den Nerven. Wie in einem Sog fühlte ich mich von der Tiefe förmlich angesaugt und konnte nur mühsam die Kontrolle über meine urplötzlich puddingweich schlackernden Beine aufrechterhalten. Unten angekommen, atmete ich erst einmal tief durch.
Zunächst einmal war es wieder hell geworden - hatte da etwas jemand die mächtige Sonne wieder eingeschaltet? Über großzügig verteilte Fenster genoss ich einen hervorragenden Panoramablick über die Umgebung des Atomiums, ja sogar über ganz Brüssel. Ein imposanter Anblick, der mich mein leichtes Schwindelgefühl schnell vergessen ließ.
Da fiel mir mein Hunger wieder ein. Idealerweise befand sich in dieser Kugel ein kleines Cafe, in dem sicher auch etwas zum Schnabulieren feilgeboten wurde. Ein schöner Abschluss also zum Besuch dieses sehr unterhaltsamen Museumsbesuchs, hier wollte ich nun meine Löwin zum Kaffee und verspäteten Frühstück einladen.
Etwas erhöht, nur 3 - 4 Stufen galt es zu erklimmen. Dies wäre ein krönender Höhepunkte dieses sehr schönen Urlaubs gewesen, der uns Beiden sichtlich gut getan hatte. Meine Löwin (der ähnliche Gedanken durch den Kopf geschwebt waren, wie sie mir später berichtete) schlich derweil noch an den Panoramafenstern herum.
Vorsichtshalber griff ich schon mal in meine linke Jackentasche, wo ich meine Brieftasche unter der dicke Mütze geparkt hatte. Ich fand sie nicht, da kam mal wieder die übliche Panik in mir auf. Das war wieder mal so typisch für mich; ich konzentrierte mich auf meine Atmung. Jetzt hieß die Losung, achtsam mit der Situation umzugehen.
Nach einigen Atemzügen hatte ich mich gut runter regeln können, wohlwissend, dass ich mich gerade wieder in eine Panik hineinsteigern wollte, wo die meisten Menschen systematisch alle Möglichkeiten durchgehen würden und in Ruhe eine nach der anderen abarbeiten würden, bis sie die Brieftasche in der rechten Tasche entdeckt hätten.
Dies würde also mein Weg sein, danach - mit der gefundenen Brieftasche - würden wir die Stufen hinauf ins Cafe gehen und einen sicher überteuerten Milchkaffee trinken, dazu vielleicht ein getoastetes Sandwich, derweil wir noch einmal den schönen Blick über Brüssel genießen könnten, bevor wir uns in Richtung Europaparlament aufmachen würden.
In der rechten Jackentasche ertastete ich doch tatsächlich mein Smartphone sowie eine Packung Taschentücher, aber nicht die Brieftasche. Ruhig, Brauner… Ich schaute mir noch einmal die linke Tasche an. Zuerst holte ich die zusammengeknüllte Mütze heraus, faltete sie auseinander und wurde nicht fündig. Dort hatte sich die Brieftasche also nicht versteckt.
Puh, war das warm in dieser Jacke. Ah, da war noch was in dieser Tasche… Schade, wieder nur eine Packung Taschentücher. Mist! Jetzt die Hosentaschen - manchmal, wenn es schnell gehen muss - pflege ich dort Brieftasche oder Handy zwischenzuparken. Vorne links, vorne rechts, hinten rechts, hinten links… da war meine Brieftasche nicht.
Mittlerweile lief mir der Schweiß schon den Rücken herunter. Innerlich befand ich mich in höchster Alarmbereitschaft, während ich nach außen kalt wie Hundeschnauze dreinblickte. Mein selbst auferlegtes Achtsamkeitstraining war somit wenigstens zu 50% erfolgreich gewesen, das tröstete mich aber in dieser Situation eher weniger.
Dies wäre der ideale Moment, in dem alles von mir abfällt und ich ruhig und sachlich die Situation analysieren und dann die nächsten Schritte - achtsam selbstverständlich - überlegen würde, bevor ich unerschütterlich zur Tat schreiten könnte.
Unerschütterlich war leider nur die innere Unruhe, welche ich in jenen Minuten, als der Himmel auf mich herabstürzte, verspürte. „Warum ich?" - eine Weltuntergangsstimmung drohte mich zu übermannen. Ich war wie zur Salzsäule erstarrt und griff nach meinem letzten Strohhalm. Die Brieftasche befand sich garantiert in der Handtasche meiner Löwin.
Mit pochendem Herzen ging ich hoffnungsvoll zu ihr hin, berichtete ihr über meinen soeben festgestellten Verlust. Ruhig hörte sie mich an, um dann unaufgeregt und aufgeräumt ihre Handtasche zu durchsuchen. Wie nicht anders zu erwarten war, verlief ihre Suche erfolglos. Anschließend stellte sie mir ruhig und sachlich die naheliegende Frage:
"Wo hast Du denn die Brieftasche zuletzt in der Hand gehabt? Überleg doch mal. Vielleicht beim Eingang vor der Rolltreppe. Oder bei der Lichtinstallation; Du hast doch dauernd an deiner Tasche oder der Brieftasche herumgefummelt."
Angestrengt überlegte ich, wann ich die Brieftasche vor kurzem in der Hand gehalten hatte. Blitzartig ließ ich die Bilder der vergangenen Stunde noch einmal Revue passieren, konnte mich aber nicht wirklich konzentrieren. Permanent schlich sich die Hoffnungslosigkeit des Seins vor meine nüchterne Analyse und verhinderte ein zielführendes Ergebnis.

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