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Zu Hause angekommen, lief wieder das übliche Programm. Vielleicht schaffte ich es noch, mit meiner Löwin ein oder zwei Partien „Take Five" zu spielen, das war es dann aber auch schon gewesen. Als es dunkel wurde, war meine Angst vor der Angst, nachts wieder nicht durchschlafen zu können, allgegenwärtig.
Dank der Schlaftabletten klappte dies zwar zufriedenstellend, doch morgens fühlte ich mich nach dem Aufwachen immer hundemüde und wie ausgeschissen. Zweifelsohne befand ich mich in einem Strudel, der mich mit zunehmender Dauer immer weiter nach unten zog. Ich schaffte es nicht, einen Halt zu finden, um mich selbst herausziehen zu können.
Freitag, 03. Februar. Ein weiterer Wintertag, an dem die Sonne über einem wolkenfreien Himmel voller Kraft strahlte. Was kann es da noch Schöneres geben, als sich kurz vor 9.00 Uhr zu einen Termin bei seinem HNO-Arzt zu begeben und sich dort die übliche Predigt zur Umsetzung eines gesünderen Lebenswandels anzuhören?
Richtig, ein längerer Spaziergang mit einem guten Freund. Endlich hatte ich mich mit Charles zu einem Walk verabredet. Der war ja gerade frisch zum Rentner avanciert und konnte genau wie ich etwas Abwechslung gebrauchen. Liebevoll bereitete er seiner Frau Diana, die leider noch erwerbstätig war, ein Mittagessen zu. Irgendwann zwischen 1:30 Uhr und 2 Uhr lief ich bei ihm auf und schon konnte es losgehen.
Bislang hatten wir uns fast ausschließlich übe die glorreiche Eintracht und unser jeweiliges familiäre Umfeld unterhalten. Doch auf diesem und vielen weiteren Spaziergängen, welche wir in den folgenden Wochen unternehmen sollten, kamen wir uns näher als jemals zuvor. Nein, Ihr Dussel! Nicht sexuell, sondern mental.
Das galt ebenso für die Walks mit Pocke, aber eins nach dem andern. An diesem 3. Februar nahmen Charles und ich das Ringgleis fusswärts in östlicher Richtung in Angriff, normalerweise eine meiner liebsten Radstrecken.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass die Luft klar und frisch war. Dazu schien die Sonne bereits sehr intensiv mit vereinzelten weißen Wölkchen. Ich hatte gehofft, dass wir es bis zum großen Edeka Görge an der Hamburger Straße schaffen könnten, aber weit gefehlt. Denn als wir an der Uferstraße angekommen waren, entschieden wir uns spontan dazu, den Ölper See zu umrunden. Uns beiden tat der Spaziergang sichtlich gut, die Gespräche taten ihr Übriges.
Charles hatte ich bislang eher als stillen Vertreter der Menschheit kennengelernt. Er ist halt nicht so eine Quasselstrippe wie Meinereiner. Zu meiner Schande muss ich zusätzlich gestehen, dass ich Charles in der Vergangenheit häufig Unrecht getan hatte. Charles hatte in seinen jüngeren Jahren bereits so Einiges erlebt.
Aber er geht damit nicht hausieren und wirkt deshalb für „Uneingeweihte" etwas still. Bei mir verhält es sich zugegebenermaßen etwas anders. Ich erzähle (bei guter Laune) sehr gerne von meinen Erlebnissen als junger Erwachsener. Von all den guten Konzerten, wilden Parties und sonstigen Besäufnissen.
Typisch dürfte da mein Spruch „5 Gramm die Woche" (und danach abschätzig abwinken) sein. Resümierend möchte ich meinen, dass wir an diesem Nachmittag mehr voneinander kennengelernt hatten als in all den Jahren zuvor. Liegt das an unseren Frauen, die sonst zumeist anwesend waren und uns nicht zur Ruhekommen ließen? Wohl kaum - eher war ein jeweils fehlerhaftes Bild vom Gegenüber der Grund gewesen.
Und die mit zunehmenden Alters verstärkte Neigung, die Neugier für seine Mitmenschen zu verlieren. Man hat ja schon alles gesehen, oder wie? Diese Einstellung war und ist (leider) bei mir 100prozentig vorhanden. Charles möchte ich dies nicht zwingend unterstellen, auch wenn sich dies so liest.
Auf einer der vielen Parkbänke legten wir ein Päuschen ein und gingen anschließend weiter. Es klingt sicherlich abgedroschen, doch an diesem Nachmittag fühlte ich mich richtig gut und vor allem befreit. All meine negativen Gedanken und Ängste konnte ich vergessen. Ich lachte viel und schien gar einem Flashback (5 Gramm die Woche) zu erliegen.
Doch leider ging auch dieser Spaziergang irgendwann zu Ende. Ich brachte Charles sogar noch bis zu seinem Haus, bloß um den schönen Nachmittag zu verlängern. Den ich spürte schon, dass mich am Abend meine Ängste über den erhöhten Puls wieder quälen würden. So geschah es dann auch, aber die Hoffnung auf eine Besserung meines Zustandes blieb nicht zuletzt dank dieses Nachmittags am Leben.
Über den auslaufenden Winter und den Frühling hindurch konnten wir unsere Spaziergänge am Nachmittag verstetigen. So landeten wir z.B. bei unserem zweiten Spaziergang im Siedlerheim in der Kälberwiese.
An und für sich wollten wir dort lediglich eine Kaffeepause einlegen, aber ich verspeiste dort dann doch eine Kleinigkeit. Es war wohl irgendetwas mit Rührei - nicht gerade die typisch syrische Küche, welche zu der Zeit im Siedlerheim angeboten wurde.
Normalerweise hätte ich Charles keinen vorgekaut, aber auch im Februar fühlte ich mich morgens nach dem Aufstehen zumeist noch schlapp und so richtig antriebsarm. Das Frühstück, egal ob Brot oder Müsli, musste ich mir beim Gucken unserer Serie förmlich reinquälen. Mir ging es dann immer erst im Laufe eines Vormittags etwas besser; ein richtiges Hungergefühl stellte sich ergo frühestens am späten Nachmittag ein.
Beim Spaziergang mit Charles ging es mir an diesem Tag gleich so richtig gut, daher verspeiste ich das Rührei mit Genuss. Im Übrigen hatte es leicht genieselt, deshalb war unser Walk an diesem Tag reichlich kurz geraten gewesen. An anderen Tagen wiederum hatte ich immer meine 10000 Schritte geschafft gehabt.
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