72 Anhang 2 - Nachtrag 2021
Anfang / Mitte Juni riefen mich Oskar und Miriam aus Lanzendorf an. Tante Marga, die Mutter von Oskar, war nach langen Jahren der Demenz im Altenheim in Bad Berneck gestorben. Bis vor 35 Jahren nahm ich an den alljährlichen Familienfahrten mit meinen Eltern, Schwestern und Schwagern nach Lanzendorf teil, zog mich dann aber aus dieser Blase raus, um mich ganz und gar der Illusion der Szene des Braunschweiger Nachtlebens widmen zu können.
Erst seit ca 15 Jahren zog es mich wieder nach Lanzendorf. Seitdem hatten wir Tante Marga und Oskar des Öfteren besucht. Nun war Marga also gestorben, sie hatte meine Mutter immerhin um 5 Jahre überlebt. Beide Frauen mochten sich Zeit ihres Lebens nie und stichelten ständig gegeneinander.
Trotzdem: Zur Beerdigung von Marga fuhren wir selbstverständlich hin, da gab es keine Diskussionen oder Ausreden. Sunny und Reiner würden sicherlich ebenfalls dorthin fahren, das war klar wie Kloßbrühe. Nach knapp fünf Jahren würde ich Sunny somit sicherlich wieder mal begegnen. Wie würde sich das gestalten?
Wir hatten jahrelang nicht mehr miteinander gesprochen, seitdem diese Malaise mit dem Tod sowie der Erbschaft unserer Mutter stattgefunden hatte. Würde es zum Eklat kommen? Berta und ich hofften, dass vermeiden zu können. Wobei Berta Sunny einfach ignorieren wollte, während ich mich aus Höflichkeit sogar auf ein Gespräch eingelassen hätte.
Natürlich erwiesen sich sämtliche Überlegungen im Vorfeld als unnötig, als wir am 25. Juni frühmorgens zur Beerdigung nach Lanzendorf aufbrachen. Ob Sunny auch dorthin fuhr, wussten Berta und ich natürlich nicht, aber es war davon auszugehen gewesen.
Zu meiner großen Freude redeten Berta und ich während der Fahrt nicht die ganze Zeit über Sunny, sondern über andere unwichtige Dinge des Lebens. Bud konnte wegen seiner vielen ärztlichen Termine leider nicht mitfahren, also platzierte ich Berta auf den Beifahrersitz, damit sie nicht auf dem Rücksitz das Grübeln anfängt. Dort hatte sich meine Löwin hingesetzt, um noch ein wenig in Ruhe lesen zu können.
Da wir bereits um 5:30 Uhr aufgebrochen waren, kamen wir viel zu schnell und vor allem zu früh in Lanzendorf an. Als erstes holten wir die vorbestellten Fleischwaren aus der Frankenfarm, einem im übrigen sehr gut geführten Dorfladen, ab und setzten uns in ein Café, um noch einmal durchzuschnaufen und nicht allzu früh bei unseren Verwandten zu erscheinen.
Als ich auf der Toilette war, fuhren wohl Reiner und Sunny vorbei. Somit war das auch geklärt, sie waren also ebenfalls zugegen. Gegen 11 Uhr klingelten wir endlich an Oskars Tür. Miriam, Oskars liebevolle Frau, herzte ich wie üblich, ehe wir das Haus betraten. Ich hörte schon an den Stimmen, das Reiner und Sunny in der Küche saßen.
Kurzerhand drängte ich mich an Berta vorbei und betrat die Küche als Erster von uns Dreien. Ich schmiss ein fröhliches "Hallo Allerseits" in den Raum, aber lediglich ein eisiges Schweigen antwortete mir. Offensiv setzte ich mich auf die Sitzbank unter dem Fenster, auf der ich schon als Kind häufig gesessen hatte.
Nachdem dieses also schon einmal geklärt war, wurde mir sehr schnell klar, dass wir drei uns vollkommen umsonst Gedanken über mögliche Gespräche und Streitereien gemacht hatten. Ein gegenseitiges Anpöbeln würde entfallen, denn einen Eklat bei dieser Beerdigung meiner Tante galt es zu vermeiden. Es war gut zu wissen, dass Sunny offenbar genauso dachte wie Berta und ich.
Auf der Sitzbank saß ich Sunny genau gegenüber, Reiner diente als Puffer auf dem Stuhl an der Seite. Neben mir saßen meine Löwin und Berta auf der Bank. Oskar stand hinter dem Tresen der Küchenzeile gegenüber der Sitzgruppe und fragte uns, wie die Fahrt gewesen sei und ob wir schon in der Frankenfarm gewesen waren.
Reiner und Sunny saßen stumm und mit starrem Blick neben mir, ihnen war wie mir die ganze Situation offensichtlich unangenehm. Als ich dann noch ein Stückchen näher an Reiner heranrückte, wurde es Sunny zu viel. Mit den Worten "Mir ist das zu eng hier, ich muss hier raus" sprang sie urplötzlich auf und verschwand aus der Küche nach nebenan ins Wohnzimmer, oder draußen vor die Haustür.
Ich weiß das gar nicht mehr so genau, ist aber eigentlich auch egal. Reiner schüttelte nur missbilligend mit dem Kopf, blieb aber stur sitzen. Er wollte wohl Flagge zeigen, sich nicht einschüchtern lassen. Diese Denkweise kann ich nachvollziehen, mir gingen ja ähnliche Gedanken durch den Kopf. War ich bislang angespannt und trank meinen Kaffee mit etwas zittrigen Händen, so wurde ich jetzt zunehmend ruhiger und konnte sogar unverkrampfter reden, stellenweise sogar lachen.
Bis hierhin hatten Berta und meine Löwin die Gespräche mehr oder weniger am Laufen gehalten, während sich Sunny und ich uns damit begnügten, sich gegenseitig zu ignorieren und aneinander vorbeizuschauen. In dieser Situation merkte ich zu meiner großen Freude, das ich Berta vollkommen unterschätzt hatte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen