Sonntag, 13. Dezember 2020

Sam Phillips 1/6

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Wow, was für ein Buch. Irgendwann Anfang des Jahres war ich mehr oder weniger durch Zufall über diese Biografie gestolpert. Die Story von Sam Phillips, dem Inhaber und Betreiber der Sun Studios in Memphis - dieses Buch musste ich mir einfach holen. Gerade war es in deutscher Übersetzung beim Cosoc Verlag (nie gehört) als gebundenes Buch erschienen.
Ganz voran stellen möchte ich dies: In dieser Biografie geht es nicht um Sun Records und all die wegweisenden Rockabillys, die dort Mitte bis Ende der 50er Jahre einen Mythos schufen. Du erfährst zwar viel über einzelne Musiker, aber insgesamt geht es um den Typen, der es dank seiner Hartnäckigkeit und des technischen Verständnisses als Produzent diesen Musikern überhaupt erst ermöglichte, ins Rampenlicht zu treten: Sam Phillips.
Sam Phillips wird vom Autor Peter Guralnick als gerader und (irgendwo doch) ehrlicher Typ dargestellt, der jeden seine Meinung frei heraus sagte und seine Entscheidungen nicht ausdiskutierte. Gerade die Geschichte seiner Jugend wie auch der weitere Lebenslauf bis zur Eröffnung der Sun Studios ist ein Paradebeispiel für die Energie und den Willen, über welchen die Pioniere des Rock `n` Roll verfügt hatten, um ihren Traum zu leben.
Sam Phillips wurde in Florence, Alabama,als jüngstes von acht Geschwistern im ländlichen Milieu geboren und wuchs dort auf. Schon von klein auf war er von den schwarzen Landarbeitern beeindruckt, die trotz der Schufterei in ihrer Musik aufgingen. Eine Parallelwelt, die für Sam als Weißen verschlossen war. Sams Vater war beileibe kein Rassist. Er half trotz seiner eigenen Armut Schwarzen wie Weißen gleichermaßen, wo er konnte.
Der junge Sam half nicht nur nebenbei auf der Farm seines Vaters, sondern arbeitet nebenbei noch u.a. in einem Drugstore, um das kärgliche Einkommen seiner Familie aufzubessern. Nebenbei betätigte er sich zusammen mit seinem Bruder J.W. als Prediger, ehe er das Elternhaus verließ und auf die High School ging.
Schon während seiner Zeit als Jugendprediger träumte er von der Beale Street, der pulsierenden Straße in Memphis, wo die Rassenunterschiede schon damals in den Hintergrund gerückt und viele Freigeister unterwegs waren. So hatte er bereits in seiner Kindheit über das Radio Blues und Jive förmlich aufgesogen; ebenso mochte er allerdings Bluegrass und Hillbilly.
Peter Guralnick stellt Sam Phillips von Anfang an als gläubigen und ehrlichen Menschen dar. Als „geraden“ Typ, der nicht um den heißen Brei herumredet und sich nicht verbiegen lässt. Dass er erst ein Verhältnis mit seiner Assistentin Marion einging, um diese dann später mit der neuen (und jüngeren) Assistentin Sally zu ersetzen, steht dem wohl nicht entgegen.
Lapidar rückt er dies passend zusammen, weil Sam Phillips dies vor seiner Frau, die ihn über alles liebte, nicht geheim hielt. Diese Art von „Ehrlichkeit“ ist mir allerdings suspekt. Ich denke, dass Phillips nicht der gute Mensch war, den Guralnick uns verkaufen möchte. Geradlinig vielleicht, aber ein Egomane vor dem Herrn.
Bemerkenswert fand ich aber bereits auf den ersten 200 Seiten, mit welcher Beharrlichkeit Sam Philips agierte und für seine Vision von dem Wegfall der Rassenschranken durch Musik lebte. Selbst als er Ende der 40er Jahre einen festen Job als Radiomoderator inne hatte, arbeitete er nebenbei noch in diversen Nebenjobs, auch in einem Bestattungsunternehmen, um sich seinen Traum vom eigenen Studio zu erfüllen.
Der enorme Stress, auch als Ernährer seiner Familie mit den Söhnen Knox und Jerry, führte zweimal zu psychischen Zusammenbrüchen. Zeitgemäß ließ sich Sam Philips zwei Mal bei längeren Aufenthalten in einer Klinik mit Elektroschockbehandlungen fit machen. Laut Guralnick hatte Sam Philips diese Behandlung gut überstanden. Heutzutage wäre eine solche Tortur undenkbar und sicherlich verboten.
Aber erst einmal der Reihe nach. Nach seiner Heirat wollte er zunächst Anwalt werden, konzentrierte sich dann allerdings auf seine Tätigkeit als Radiomoderator bei WREC in Memphis, wo er ab Juni 1945 zwei tägliche Radioshows betreute. Dies machte ihm sichtlich Spaß, obwohl er selbst wusste, dass es erheblich bessere Moderatoren als ihn gab.
Doch das focht ihn nicht an. Er nutzte sein natürliches Talent als Tontechniker und begann, schwarze Gruppen für das Radio aufzunehmen. Er experimentierte mit der Anordnung der Mikrofone, um einen Sound zu erzielen, den er zu dieser Zeit - Mitte/Ende der 40er Jahre - noch nicht greifen konnte. Er stand vornehmlich auf Blues - Country, Bop und Jive hatten es ihm aber auch angetan.
Sam Phillips war mit Rebecca Burns seit 1942 verheiratet und bereits zweifacher Vater, als er 1948 Marion Keisker bei WERC kennen und auch lieben lernte. Mit dieser talentierten Radiomoderatorin zusammen wagte er den nächsten Schritt und gründete im Oktober 1949 den Memphis Record Service in der 706 Union Avenue.
Memphis Recording Service

Dieses kleine Geschäft war "eine Bruchbude, eingeklemmt zwischen einem schmierigen Lokal und einem Gebrauchtwagenhandel, und komplett von Cadillacs umgeben. Vor den staubigen und heruntergekommenen Jalousien hing ein blasses Neonschild..."
Mit seinem griffigen Slogan „We record anything - anywhere - anytime“ nahm er überwiegend verschiedene Künstler auf, die ihm mehr oder weniger zufällig über den Weg liefen. In den Anfangsjahren stellten jedoch Aufnahmen von Beerdigungen und Hochzeiten oder von seinen Kunden selbst gesungene Grüße z.B. an die Verlobte die Haupteinnahmequelle dar.
Es war diese Liebe zu der Musik aus seiner Kindheit, die Sam Phillips antrieb. Obwohl er mit seinem Record Service immer knapp an der Pleite entlang schrammte und nebenbei weiter im Radio seine Shows moderieren musste, um über die Runden zu kommen, gab er nicht auf. Jeden übrig gebliebenen Dollar reinvestierte der detailverliebte Tontechniker in neues Equipment.
Bereits 1950 gründete er mit seinem Freund, dem charismatischen Radio DJ Dewey Phillips (nicht verwandt), das Plattenlabel Phillips Records. Der auch als „Be-Bop Boy“ bekannte Joe Hill Louis nahm dort mit „Boogie in the Park“ eine wenig beachtete Single auf. Das war es dann bereits gewesen mit Phillips Records.

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