Sonntag, 6. Dezember 2020

Hartmudo: Amsterdam 5/5

5
Wir Übriggebliebenen hatten jetzt noch ein Ziel: Die Foodhallen von Amsterdam. Phil war bei seinem letzten Besuch in A-dam (mit seinen Kumpels) von den Markthallen begeistert gewesen, vor allem von den Foodhallen. Das war zwar vor Corona gewesen, aber so neugierig, wie wir nun mal sind, lassen wir uns von Kleinigkeiten nicht aufhalten.
Zu Fuß setzten wir uns in Bewegung. Nach kurzer Zeit, vielleicht 10 Minuten, während wir die erste Gracht überquerten, beruhigte Phil uns mit den Worten: „Jetzt ist es nicht mehr weit. Das war die erste von acht Grachten, dann sind wir da.“ Meine Jeansjacke (Lee) wurde mit jedem Schritt schwerer und klebte auch schon auf der nackten Haut.
Bei herrlichstem Sonnenschein wanderten wir konzentriert Gracht für Gracht voran, die Gespräche waren nach und nach verstummt. Das lag natürlich daran, dass meine Löwin und ich bereits etwas hinterherhinkten; ich noch mehr als die beste Ehefrau von allen (in Memoriam Ephraim und Sara Kishon). Nach der siebten Gracht war es dann Zeit für eine Pause.
Das Bagels & Beans auf De Clercqstraat sah einladend aus und bot uns auch eine Toilette, die wir alle benötigten. Wir saßen gemütlich an einem modernen hellen Holztisch, der mit zwei sternförmigen Ornamenten punkten konnte. Fehlte nur noch das Päckchen Tabak, die langen Blättchen...
El Feistolino

Auch hier roch es vor der Eingangstür verdächtig nach Gras, aber gottlob sind diese Zeiten für mich vorbei. Ja, es waren schöne Zeiten, aber irgendwann eben nicht mehr. Wenn ich das nur eher gemerkt hätte, wäre mir Ende der 90er einiges erspart geblieben. Den Geruch werde ich wohl nie vergessen, aber Lust auf eine Tüte habe ich keine mehr.
Wo war ich? An dem Tisch, auf einer Holzbank sitzend. Rechts von mir die nächste Gracht, gegenüber zwei olivgrüne Rattanstühle. Auch sonst war das Publikum eher jung und erinnerte mich, wie vor allem die Kellnerin, an alte Zeiten in den Achtzigern im Cafe Kollontay. Wer es nicht mehr kennt: Friedrich-Wilhelm-Straße, bereits in den 80ern gendergerecht und voller Junghippies. Nikki Sudden war damals angesagt.
Natürlich gab es hier keinen „normalen“ Kaffee. Alles mit Espresso, selbst der Latte Macchiato. Dennoch tat die Pause gut, da wir alle doch etwas abgekämpft waren. Nach den örtlichen Kaffee Spezialitäten und einem Toilettengang ging es weiter, bis wir die Foodhallen erreicht hatten.
Diese erinnerten mich von außen sofort an die Hallen in Riga, obwohl ich unwillkürlich sofort an die grüne Woche denken musste. Sei es drum, wir suchten den Block mit den Spezereien und setzten unsere Masken auf. Denn wir stellten schnell fest, dass im Hallenbereich auch hier die aus Deutschland schon als „neue Normalität“ bekannte Maskenpflicht galt.
Die „Foodhallen“ sind eigentlich nur eine Halle, in der man sich irgendwo einen Platz suchen muss, ehe man ans Bestellen von Essen überhaupt nur denken kann. Phil war ursprünglich von der Vielfalt an Gerichten aus aller Welt begeistert gewesen, die er sich beim freien Wandern durch die Hallen in Ruhe anschauen konnte.
Am besten beschreibt man das auch an diesem Tag große Angebot, wenn man es als eine große Ansammlung von Street Food Fahrzeugen betrachte. Mehr oder weniger kleinere Portionen, so dass man auch viele Leckereien probieren kann, ohne sich restlos zu überfressen. Qualitativ hochwertig und selbstverständlich auch hochpreisig - genau so geht es in den Foodhallen ab, nur an festen Ständen statt rollenden Wägen.
Dank der Corona Zeiten waren die Foodhallen mehr oder weniger leergefegt, so dass die wohlige Atmosphäre der Vorhalle des Braunschweiger Bahnhofs förmlich greifbar war. Jeweils einzeln und mit Maske gingen wir jetzt die einzelnen Stände auf der Suche nach Nahrung ab, aber... nein, so war das ganz und gar nicht.
Denn nachdem wir uns erst einmal gesetzt hatten, war Bewegung unerwünscht. Auf den standhohen Tischen waren QR Codes aufgeklebt, dank derer man sich auf einer Webseite einloggen konnte. Während Phil beim Versuch des Einloggens fast verzweifelte und ich dies gar nicht erst versuchte, waren die Frauen erfolgreicher.
Als erstes wurden die Getränke bestellt; bei mir reichte es zu einem Carlsberg. Meine Löwin hatte den Bogen schnell raus und flugs 3 Austern geordert. Für jeden eine, außer für mich. Denn sie weiß, dass ich so etwas nicht esse. Nach und nach bestellten wir mehrere Speisen, die nach einiger Zeit von diversen Kellnern gebracht wurden.
Ein zugegebenermaßen gutes System, um den Betrieb während dieser Pandemie am Laufen zu halten, aber dank der leeren Halle kam hier kein Flair auf. Ein enges Gedränge wie in der Markthalle Hannover, dazu an jeder Ecke der Duft verschiedener Speisen aus aller Welt. Das macht in meinen Augen eine Markthalle aus, nicht ein Service wie in den japanischen Restaurant am Eintracht Stadion (Nagano), welches wir vor zwei Jahren des Öfteren besucht hatten.
In die anderen Hallen mit Haushaltswaren und Klamotten schauten wir anschließend nicht mehr hinein, weil wir auch so langsam zurück mussten. Da wir den Rückweg nicht noch einmal zu Fuß bewältigen wollten (zumindest meine Löwin und ich nicht, denn wir waren doch etwas platt), orderte Phil ein Uber, der uns zum Parkhaus mit dem Auto bringen sollte.
Meine erste Fahrt mit einem Uber! Nach dem Anruf und der Übermittlung des Treffpunkts war der Fahrer auch tatsächlich nach den versprochenen 10 Minuten da und fuhr uns stumm zu dem Parkhaus. Phil bezahlte den online verabredeten Preis und wir stiegen aus. Kein Hallo, kein Au Revoir. Nur Tür auf, aussteigen und Türen zuwerfen.
Ohne viel Federlesens stiegen wir in Phils Auto und fuhren Candela zum Flughafen, wo sie uns auf den Kurzzeithalteplätzen beim Abflug schnell verließ, um ihren Flieger nach München zu kriegen. Kurz darauf waren wir auch schon auf der Bahn und fuhren ohne weitere Vorkommnisse, sprich Staus oder Unfälle, nach Braunschweig.
Anfangs beteiligte ich mich noch an den Unterhaltungen mit meiner Löwin und Phil, aber irgendwann fielen mir die Augen zu. Wir reflektierten noch schnell das abgelaufene Wochenende und erörterten anschließend die politische Lage aus unserer jeweiligen Sicht. Schade, dass ich solche Gespräche nicht aufnehme, obwohl...
Dann würde ich das auch noch protokollieren. Letztendlich wäre das dann sicherlich too much. Was aber bleibt, ist der positive Eindruck dieses Familienausflugs, der vor allem für meine Löwin unvergesslich gewesen war. Und genau dies möchte ich mit diesem Bericht würdigen, falls Du Dich gefragt haben solltest, warum der Bericht so umfangreich ausfällt.
Amsterdam ist schön und eine Reise wert. Aber viel wichtiger war das gemeinsame Erlebnis dieses kleinen Teils unserer Familie. Zugegebenermaßen wird dies im Text nicht gerade sichtbar gemacht, aber all die kleinen Gesten und Gespräche untereinander kann ich jetzt - eineinhalb Monate später - nicht mehr wiedergeben.
Dies ginge nur, wenn ich alles filme oder die Gespräche mitschneide. Und dann wäre dieser Text mindestens dreimal so lang ausgefallen und garantiert zu persönlich, um ihn auf diesem Blog veröffentlichen zu können.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen