Mittwoch, 27. Mai 2020

Uncle Fester: grad gelesen Mai 2020


Dietmar Dath - Neptunation
„Der einzige relevante SF-Schriftsteller der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.“ (Lars Weisbrod, DIE ZEIT). Kann man so sehen, ist aber nicht so, wie der fleißige Leser meines Blogs weiß. Dath erzählt uns in diesem Roman eine sehr spannende Geschichte, nervt aber mit seinen ständigen Einfügungen irgendwelcher Kunstkacke sowie längeren Deutsch-Englisch Passagen, die einem Intellektuellen vorgaukeln, dass er toll ist, weil ja nicht jeder die Gedanken des Autors versteht.
Ich bin auch Abiturient und hatte beim Lesen zeitweise trotzdem Schwierigkeiten, den weitläufigen Abschweifungen des Autors zu folgen. Dath steht wohl der DKP nahe und entwickelt im Gedanken das politische Spektrum der KPDSU weiter, was löblich und auch nachdenkenswert ist. Andererseits ist er ein Jazzficker und streut in seinen Roman auch noch Musik ein, die keiner hören will bzw. nur jemand gut findet, der sich an seiner eigenen Überlegenheit ergötzt, weil ja alle blöd sind und diese „tolle“ Musik nicht mögen.
Konzentrieren wir uns lieber auf den Plot und vergessen mal das nervtötende Philosophieren des Autors. Kurz vor dem Zusammenbruch des Ostblocks bricht ein großes Raumschiff mit Russen und Ostdeutschen auf, um das Weltall zu erforschen und dadurch der Idee des Sozialismus doch noch zum Sieg zu verhelfen. Im Asteroidengürtel kommt es zum Crash und ideologischen Disputen, so dass ein Teil der Crew unter Führung von Antonia Burckhard zum Neptun weiterfliegt, während der Rest die Asteroiden besiedelt, sich borgmäßig umwandelt und mit Killerbots in einzelnen Szenen Angst und Schrecken verbreitet.
Das Ganze natürlich vollkommen an der Weltöffentlichkeit vorbei, nur die Deutsche Cordula Späth (huch – die Tochter von Lothar?) hat es mitbekommen; keiner weiß, warum. Sie organisiert 30 Jahre später eine deutsch-chinesische Expedition, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Christian Winseck, unehelicher Sohn von Antonia Burckhard und Sprachwissenschaftler, kommt hier quasi die Hauptrolle in diesem Roman zu, obwohl er relativ wenig zum Gelingen beitragen kann. Ähnliches gilt für die junge Filipa Scholz, die eigentlich eher durch ihre sexuellen Exzesse mit dem Bundeswehrsoldaten Meinhard Budde auffällt. Bis dieser sich nach einem Angriff von Killerbots aus dem Asteroidengürtel zugunsten des Kapitäns Aiguo Sun opfert. Danach schult sie die eher intellektuelle Besatzung im Nahkampf.
Nach diversen Irrungen und philisophischen Ergüssen kommen unsere Helden auf Neptun an. Ohne Cordula Späth, die einfach im Asteroidengürtel zurückbleibt, nachdem sie von Liz, einer weiteren Hauptperson, aus Rache fast getötet worden wäre.
Auf Neptun sind zwischenzeitlich die Amis gelandet und haben die Kontrolle über Alexandra Burckhard und die „Kommies“ übernommen. Absolut unlogisch, dieses Handlungselement. Ich verzichte hier auf die Schilderung der weiteren Handlung. Nur so viel: Die Neptunation ist eine Lebensform und im Prinzip der Planet Neptun. Am Schluss werden die Amis von den Kommies abgeschlachtet. Es stellt sich heraus, dass unsere Protagonisten durch Zeit und Raum gereist sind. Christian und Filipa sollen die Botschaft zur Erde tragen.
Bloß welche Botschaft? Dath hat es bestimmt erläutert, ich habe es aber gleich wieder vergessen. Der Autor hat mich zwar zum Nachdenken über ein alternatives politisches System zum Kapitalismus angeregt, aber das Ganze war doch sehr abstrakt. Die Geschichte selbst ist interessant aber zum Schluss derart wirr aufgelöst, dass ich wohl von Dath nichts mehr lesen werde.


                                                   

Marc-Uwe Kling - Qualityland
Ja, genau der. Der mit dem Känguru hat einen Science Fiction Roman geschrieben und nach der Enttäuschung mit Dath passte Kling gut dahinter, war ich doch von den Känguru Chroniken nicht so begeistert wie meine beiden einstigen Trauzeuginnen. Aber zu meiner großen Freude hat Kling da wirklich einen lesenswerten Roman zu Papier gebracht.
„Eine verblüffende Zukunftssatire über die Verheißungen und die Fallstricke der Digitalisierung.“ So steht es im Einband und so ist es gut beschrieben.
Peter Arbeitsloser betreibt eine Schrottpresse in Qualityland. Die Presse ist der Flur seines Ladens, in dem er auch wohnt. Peter soll nicht mehr ordentlich funktionierende Roboter und andere KIs verschrotten, weil diese unter Neurosen und Psychosen leiden und deshalb ihre jeweiligen Tätigkeiten nicht mehr verrichten können.
Tatsächlich verschrottet Peter die sehr menschlich wirkenden Roboter nicht, sondern gewährt ihnen Asyl in seinem Keller. Überhaupt sind die Menschen eher die Roboter, weil kalt und gefühllos.
Deutlich wird dies am anderen Strang der Erzählung. Der Präsident von Qualityland muss neu gewählt werden, weil die Amtsinhaberin zu einem bestimmten Zeitpunkt sterben wird. Das hatten die allgegenwärtigen Algorithmen herausgefunden. Was für eine schöne Spitze gegen Controlling und Umfrageauswertungen!
Der Android John of Us tritt gegen den faschistoiden Conrad Koch an. Letzterer ist an Leuten wie Höcke und Gauland angelehnt. Wider Erwarten wird John of Us gewählt und empfängt Peter Arbeitsloser, der die Gelegenheit nutzt, um von seinen vergeblichen Versuchen, ein Päckchen an den weltweit größten Onlinehändler zurückzugeben, zu erzählen.
Da stürzt der „Held“ eines dritten Erzählstrangs, Martyn Vorstand, auf die Bühne und tötet John of Us mit einer Bombe. Als letzte Amtshandlung stößt John Peter weg und rettet diesem damit das Leben. Martyn Vorstand ist der typische Berufspolitiker - nichts gelernt, aber aus einem reichen Haus. Ein Kotzbrocken, der seine Frau schikaniert und auf Online Pornos steht.
Wunderschön gezeichnet sind die neurotischen Androiden, die Peter Arbeitsloser bei seinen vergeblichen Bemühungen um die Retoure eines pinken Plastikvibrators in Delphinform unterstützen. Die schwarze Kiki, in die sich der schüchterne Peter verliebt, rundet mit ihrem anarchistischen Background das Ganze ab. Dazu noch der geheimnisvolle Alte... Starke Charaktere in einer rabenschwarzen Groteske. Toll!
Im Gegensatz zu Dath schafft Kling es, aktuelle Missstände in unserer Gesellschaft aufzuspießen und bietet sogar Lösungswege an. Obwohl einfach geschrieben, hat dieser Roman mehr Tiefe als der hochgelobte Neptunation von Dath. Ich glaube, dass Känguru werde ich mir irgendwann doch noch mal antun.

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