51
Als ich aus dem Haus draußen war und auf dem Parkplatz stand, holte mich Berta ein. Sie hatte Mutters Wohnung gleich nach mir verlassen. Auch sie ließ sich mit Sunny, die wohl noch eine Zeit lang weiter krakeelt hatte, auf keine Diskussionen mehr ein. Berta berichtete mir noch von einigen Schimpfwörtern, die Sunny mir hinterher gerufen hatte. Doch ich vergaß dies binnen Sekunden; es interessierte mich einfach nicht mehr, ich war wegen Sunny noch viel zu angepisst.
So fühlte ich mich einerseits immer noch tiefenentspannt, weil ich mich nicht von Sunny provozieren ließ, als sie mich mit der Vollmacht, die sie einfach nur unterschreiben musste, einfach im Regen stehen gelassen hatte. Andererseits ärgerte ich mich doch noch über Sunnys Auftritt. Sie tat gerade so, als ob sie sich alleine um Mutters Angelegenheiten gekümmert hätte.
Sie besuchte Mutter im Krankenhaus oder dem Heim in der Reuterstraße auch nicht öfter als Berta oder meinereiner. Die Einkäufe für Mutter, als diese es im späten Frühjahr nicht mehr selbst konnte, wurden nahezu komplett von Berta erledigt. Und Berta war es auch, die Mutter beim Schriftkram und dem Zahlungsverkehr über die Bank half. Ich war lediglich wegen der Eigenanteile bei Verordnungen und Medikamenten involviert - da wollte Mutter allerdings keine Unterstützung, weil sie da dem Steuerberater vertraute. Sunny war bei diesen Tätigkeiten nicht präsent.
Die Organisation von Mutters Beerdigung in Travemünde bzw. der Trauerfeier in Melverode blieb in erster Linie mir, aber auch Berta überlassen. Sunny wurde erst aktiv, als es um die Auflösung, sprich Verkauf, von Mutters Hab und Gut ging. Hier hätten sich Berta und ich zugegebenermaßen mehr engagieren können, aber Sunnys permanente Wutausbrüche und Haßtiraden waren einfach nicht zu ertragen.
Den „Höhepunkt" von Sunnys Eskapaden hatten Berta und ich vor ein paar Minuten erleben dürfen. In abartiger Selbstgerechtigkeit war sie durch die Wohnung gestiefelt. Sie äußerte sogar noch, das sie Mutters Wohnung zum letzten Mal betreten hätte. Sie musste also leiden, sie war das Opfer. Diese Rolle spielte sie sehr überzeugend. Allein, es stimmt ja nicht. Sunny hatte es doch tatsächlich geschafft, ihre Sicht der Vorgänge seit Mutters Tod ins Gegenteil zu verkehren.
Wahrscheinlich war sie so hasserfüllt, weil wir einfach über ihren Kopf hinweg eine andere Firma zum Ausräumen der Wohnung beauftragt hatten. Dabei hatte ich es ihr doch am Telefon ausführlich erklärt. Geld bekommen statt Geld zu bezahlen war doch genau ihr Ding, sie meinte doch noch einige Wochen vorher, das sie Mutters Sachen nicht einfach so verschenken wollte.
Berta und ich unterhielten uns noch ein paar Minuten auf dem Parkplatz, dann fuhren wir beide nach Hause. An diesem Abend war ja noch Kegeln angesagt. Ohnehin war jetzt für mein Dafürhalten in Mutters Angelegenheiten nichts mehr zu regeln. Sunny würde ich nur noch bei dem Wohnungsverkauf, also beim Notar, sehen müssen. Bei der Kontoauflösung übrigens auch, aber dazu später.
Es war wohl an jenem Kegelabend, wo wir nochmal über das Boozeln in Dettum sprachen; das im nächsten Jahr ausgetragen werden sollte. Hier konnten sich Berta und ich nicht mehr bergen und erzählten dann doch einiges über den Streit, den wir gerade mit Sunny hatten. Berta hatte hier ein wenig mehr Mitteilungsbedürfnis als ich an den Tag gelegt, aber dennoch konnten wir wenigstens klarstellen, das dies unsere eigene Meinung ist und die Trantüten ruhig gegen die Dettumer boozeln könnten. Nur auf uns müssten sie dann halt verzichten.
Am folgenden Wochenende, genauer gesagt am Samstag, den 17. Dezember, war die Wohnungsräumung terminiert. Durch die Firma, die Berta dann als Ersatz für Sunnys Vorschlag ausgesucht hatte. Wir hatten bekanntlich dieselben Konditionen wie Sunny, und das auch nur dank des beherzten Einsatzes von Berta.
Ich kann mich deshalb noch so gut an das Datum erinnern, weil ich an jenem schönen Tag mit meinen alten Kumpels Wolfgang und Bela beim Auswärtsspiel in Karlsruhe war. 17. Spieltag und Kroll war aus dem Schwarzwald ebenfalls angereist. Das Tannenzäpfle von Rothaus ist aber auch gut - das Spiel war es nicht. Für mich war dies jedoch ungeachtet des lahmen 0:0 eine willkommene Abwechslung zu dem ganzen Stress mit der Familie. Endlich hatte ich mal nicht an die Streitereien denken müssen, die Wiedersehensfreude mit den Kumpels und das Tannenzäpfle halfen da doch sehr.
Nicht das ihr das falsch versteht. Meine Löwin hatte mich auch während all der Wochen und Monate moralisch unterstützt und mir auch viel Druck genommen. Einfach, weil sie da war. Mich aus der Lethargie gerissen, wenn es nötig war. Oder mich zum Lachen gebracht oder getröstet, wenn ich es am nötigsten brauchte. Aber - nichts für Ungut, meine Liebste - einfach raus und mal weg von allem, dazu ein Besuch im Stadion des Gegners, das tut dann gut.
Schon während der Hinfahrt hatte ich mich mit Bela gut unterhalten, auch Wolfgang war da noch guter Dinge. Kroll holten wir am Bahnhof ab und über einen Supermarkt (eine Flasche Bier auf die Faust) erreichten wir guter Dinge das Stadion. 0:0, wie gesagt. Kroll war irgendwann weg und auch wir waren auf der Rückfahrt im Zug nicht mehr so gesprächig und dösten so vor uns hin.
Zuhause angekommen, fühlte ich mich etwas ermattet. Meine Löwin war noch wach, von der Wohnungsräumung hatte ich keine Infos bekommen. Nicht das ich wirklich daran gedacht hatte oder mich sorgte, es könnte etwas schiefgegangen sein. An diesem Tag hatte ich den ganzen Streit hinter mir gelassen und mich auf das Auswärtsspiel gefreut. Endlich konnte ich durchatmen, ja befreit aufspielen.
Der Angstschweiß stand mir erst am nächsten Tag im Gesicht, als mich Berta anrief.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen