https://www.heise.de/tp/features/Die-Verschwoerungstheorie-von-der-Sogwirkung-der-Rettungsschiffe-4505709.html
Es ist ja nicht alles falsch in diesem Artikel von Franz Alt, dessen Arbeit ich in den 80ern beim Politmagazin Report sehr geschätzt hatte. Leider bleibt Herr Alt in der Welt der 80er Jahre gefangen und zieht Vergleiche die einfach nicht passen.
Für mich sitzt Franz Alt in der digitalen Gummizelle. Doch hier schnell noch der Forumsbeitrag zum Artikel:
„Fakten wie der Ort der Aufnahme auf ein Schiff und Labels wie "VT"
Vor einigen Jahren war ich auch noch skeptisch, als dem Pull-Faktor der Rettungsschiffe eine große Bedeutung beigemessen wurde. Aber damals war die Situation auch noch eine andere. Die meisten Fälle, in denen Menschen auf Rettungsschiffe aufgenommen wurden, waren irgendwo mitten im Meer oder z.B. in der Nähe von Lampedusa. Damals wurden Boote benutzt, mit denen Europa im Prinzip hätte erreicht werden können, und die Seenotrettung spielte vor allem dann eine Rolle, wenn etwas schief ging. Es war plausibel anzunehmen, dass die meisten, die ohne Einreiseerlaubnis auf dem Meer nach Europa fuhren, dies auch ohne diese Rettungsschiffe getan hätten. Einen gewissen Einfluss als Pull-Faktor wird es durch die Risikoverminderung schon damals gegeben haben, aber das war kaum das Dominierende, und aus einer utilitaristischen Perspektive würde ich sagen, dass selbst dann, wenn deswegen vielleicht ein paar Personen mehr über das Meer fuhren, die Vorteile der Rettungsschiffe ziemlich sicher stark überwogen.
Die damalige Situation war auch eher mit den Boat People aus Vietnam vergleichbar, die auch nicht mit untauglichen Gummibooten ein paar Kilometer aufs Meer hinaus fuhren und dort abgeholt wurden, sondern Boote verwendeten, die zwar sicher überfüllt, riskant und nicht gut ausgerüstet waren, aber nicht prinzipiell ungeeignet, um ihr Ziel zu erreichen.
Aber seither hat sich die Situation stark geändert, wahrscheinlich in erster Linie als Folge der Bekämpfung der Schlepper. Die meisten Fälle, in denen Personen auf NGO-Schiffe aufgenommen werden, sind jetzt in der Nähe der libyschen Küste. Diese Entwicklung wird auf einer interaktiven Karte der New York Times gut dargestellt: https://www.nytimes.com/interactive/2017/06/14/world/europe/migrant-rescue-efforts-deadly.html
Jetzt ist die typische Situation von Personen, die auf NGO-Schiffe aufgenommen werden, dass sie Boote verwenden, die untauglich sind, um damit Europa (und sei es Lampedusa) zu erreichen, und sie werden - wenn für sie alles gut geht - nach einem kleinen Bruchteil der Strecke von den NGO-Schiffen aufgenommen. In dieser Situation ist es natürlich höchst plausibel, anzunehmen, dass die Präsenz dieser NGO-Schiffe dafür, dass Menschen mit untauglichen Gummibooten von der afrikanischen Küste aus aufs Meer fahren, eine bedeutende Rolle spielt.
Natürlich kann Franz Alt eine andere Meinung vertreten und behaupten, diese Afrikaner würden ganz unabhängig von den NGO-Schiffen mit Booten, die ungeeignet sind, Europa zu erreichen, aufs Meer hinaus fahren (es wäre interessant, wie Franz Alt das begründen würde, hält er diese Afrikaner für sehr dumm?).
Aber es ist sicher nicht sinnvoll, für die Idee, dass Afrikaner nicht einfach aus Dummheit mit untauglichen Gummibooten aufs Meer hinausfahren, sondern dass die Präsenz von Schiffen, die sie, wenn alles gut geht, auf dem Meer kurz vor der Küste abholen und nach Europa bringen, eine Rolle spielt, den Begriff der "Verschwörungstheorie" zu verwenden. Wer soll sich hier mit wem "verschwören"? Der Begriff der Verschwörungstheorie ist ohnehin problematisch und wird oft für spekulative Theorien, welche der jeweilige Sprechende nicht mag, verwendet (nicht aber für spekulative Theorien, die er mag). Aber hier hat eine weitere Analyse, weshalb der Begriff "Verschwörungstheorie" verwendet wird, wohl gar keinen Sinn, sondern Franz Alt meint damit einfach: "Ich bin dagegen, habe aber keine Argumente und will keine verwenden und nicht auf die Argumente anderer eingehen, aber es ist pfui, so etwas zu denken."
"Niemand verlässt freiwillig seine Heimat"
Nun gut, viele Menschen ziehen freiwillig in ein anderes Land um. Aber es ist klar, dass bei der Migrationsbewegung von Europa nach Afrika das große Wohlstandsgefälle eine wichtige Rolle spielt.
Ein kleiner Teil mag die Bedingungen für Asyl erfüllen, und ich bin durchaus dafür, dass Möglichkeiten geschaffen werden, damit aus anderen Ländern Asylanträge gestellt werden können, die dann ohne vorherige Einreise geprüft werden. Aber es sind sich wohl alle einig, dass das nur einen kleinen Teil der Migrantinnen aus Afrika betrifft, die meisten haben keine Chance auf Asyl.
Es geht auch keineswegs um eine begrenzte Zahl der Menschen, denen es besonders schlecht geht und die jetzt in einem Akt der Menschlichkeit aufgenommen werden müssen. Erstens zeigen viele Untersuchungen, dass es nicht die Ärmsten sind, die sich auf den Weg nach Europa machen - eine solche Reise kostet etwas, und die Ärmsten können sich das im Allgemeinen nicht leisten. Zweitens ist das keineswegs eine begrenzte Zahl von Personen - in Umfragen sagt ein bedeutender Teil der afrikanischen Bevölkerung, dass sie gerne (unter anderem nach Europa) auswandern würden, und gerade weil bei allen wirtschaftlichen Problemen der Wohlstand in Afrika doch auf tiefem Niveau tendenziell steigt, ist eher mit mehr Personen zu rechnen, die einen solchen Wunsch auch in die Tat umsetzen würden. Die afrikanische Bevölkerung wird sich gemäß Prognosen bis zum Ende dieses Jahrhundert verdreifachen bis vervierfachen. Dann müssen wir uns schon ernsthaft fragen, ob es für Afrika und für Europa die richtige Lösung ist, hunderte von Millionen von Afrikanerinnen, die wahrscheinlich zu einem großen Teil schwer zu integrieren sein werden, nach Europa einwandern zu lassen. Ich glaube nicht, dass es hilfreich ist, mit Schlagworten, dass alle, die über die potenzielle Zahl längerfristig zu erwartender Migrationswilliger nachdenken, angeblich "Rechte" seien, das ist nur eine Verweigerung einer rationalen Debatte. Zu sagen, jetzt seien es ja noch nicht so viele, bedeutet einfach den Kopf in den Sand zu stecken - sollen jetzt noch alle, die ein paar Kilometer aufs Meer fahren, nach Europa gebracht werden und dort bleiben können, und ab irgendeiner Zahl heißt es dann plötzlich, jetzt sei die Obergrenze erreicht?
Ich meine, dass die wohlhabenden Länder (in Europa, Amerika und Asien) in erster Linie eine moralische Verpflichtung haben, armen afrikanischen Ländern zu helfen. Sicher ist das nicht einfach und viele Arten der Entwicklungshilfe sind ineffektiv oder zum Teil möglicherweise kontraproduktiv, aber das betrifft kaum alle Arten, es scheint durchaus effektive Entwicklungshilfe zu geben. Auf jeden Fall kann mit dem Geld, das für einen einzigen Migranten aus Afrika, der nicht in die Arbeitswelt in Europa integriert werden kann, in Europa ausgegeben wird, einer großen Zahl von Menschen in Afrika, wo die Lebenskosten viel tiefer sind, geholfen werden.
Von mir aus kann es auch Programme geben, mit denen eine begrenzte Zahl von Personen aus Afrika nach Europa kommen können (eher solche, die bessere Integrationschancen haben), aber das ist kaum die effektivste Methode, um Afrika zu helfen.
Für eine staatliche Seenotrettung wäre ich auch, aber es müsste sichergestellt werden, dass es die Wahrscheinlichkeit, nach Europa zu kommen, nicht erhöht, wenn sich jemand in Seenot begibt. Wer mit untauglichen Booten von der afrikanischen Küste aus aufs Meer fährt, soll gerettet und zurück nach Afrika gebracht werden (natürlich gibt es dort zum Teil noch Probleme mit der Rückaufnahme, diese sollen gelöst werden). Es ist eher absurd, wenn so getan wird, dass es nicht dazu führt, dass Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen, wenn eine Fahrt mit dem Gummiboot den gewünschten Transport nach Europa mit vorläufigem Bleiberecht zur Folge hat, und jeder der nicht will, dass Menschen ertrinken, müsste meines Erachtens gegen eine solche Regelung sein, bei der Seenot für bestimmte Personengruppen eine notwendige und hinreichende Bedingung für eine Aufnahme in Europa ist.
Franz Alt hat offensichtlich eine andere Antwort. Er meint, dass man von Menschen in Afrika verlangen soll, dass sie ihr Leben auf Gummibooten aufs Spiel setzen, und wenn sie diese Bedingung erfüllen, sollen sie das Recht erhalten, in Europa zu bleiben und Sozialgelder zu bekommen. Dass einige dabei ertrinken, wird hingenommen. Ich halte das für äußerst unmenschlich.
Franz Alt halte ich aufgrund seiner Texte für einen Menschen, dem es vor allem wichtig ist, sich selbst in seinen eigenen Augen moralisch über andere zu erheben. Dass das, was er propagiert, wahrscheinlich unmenschliche Folgen hat, scheint ihn nicht zu kümmern. Schließlich gehört er ja zu den Guten, dann ist seine Aufgabe, seine Gegner mit schlimmen Labels zu versehen, nicht darüber nachzudenken, was für Folgen das, was er propagiert, hat.“
Ich denke, der Forist hat hier den Dogmatismus der strikten Befürworter einer unkritischen Sennotrettung der MFlüchtlinge im Mittelmeer nach Europa anschaulich herausgearbeitet. Da können Franz Alt oder Carola Rackete noch so leidenschaftlich argumentieren. Jeder in Europa aufgenommene Flüchtling verschlechtert die Lebenschancen ihrer Landsleute in Afrika. Denn es sind die Armen und eher schlecht Ausgebildeten, die in Afrika zurückbleiben und ihre Länder nicht voran bringen können.
Diejenigen, die das könnten, sitzen dann in einer deutschen Großstadt, erhalten Sozialgeld und haben zumeist kaum Chancen, hier Fuß zu fassen. Die Hilfe für die Menschen muss in Afrika erfolgen und nicht im Mittelmeer, egal wie diese Hilfe auch aussieht.
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