Missmutig schlich ich bei der heute beißenden Kälte um 5.15 Uhr zum Bus. Zweifelsohne steckte ich in einem Dilemma: Dannys Geburtstag auszulassen gehört sich für den Stiefvater nicht, aber die Jungs konnte ich doch auch nicht hängen lassen. So grübelte ich auf dem Weg zum Bus noch vor mich hin, immer wieder zog ich mich darauf zurück, dass Danny ja selbst im Vorfeld abgesagt hatte. Meine Gedanken kreisten und gebaren ein großes Loch.
Das Lesen im Bus entspannte mich ein wenig. Am Bahnhof zog ich mir wie gewohnt einen Kaffee bei Steinecke und wartete wie üblich fast 10 Minuten auf dem zugigen Bahnsteig, bis der Zug aus Lebenstedt endlich eintraf. Dort konnte ich in Ruhe weiterlesen, da Sybille sich ein Auto gekauft hatte und nicht mehr pendeln muss sowie Kati heute ihren ersten Urlaubstag hatte. Nach Dublin wollte sie, dort ist es sicher wärmer als hier.
Ich saß bereits einige Zeit mit meinem Buch, als der Fahrer mittels Lautsprecher die folgende Info verbreitete: „Meine Damen und Herren, wegen eines technischen Defekts an einem liegengebliebenen Zug ist die Strecke vorerst gesperrt. Sowie ich näheres weiß...“
Na Super! Das jetzt auch noch! In der Arbeit haben wir im Team eine Menge an Rückständen aufgrund zwei langzeit erkrankten Kollegas, dazu sind zwei Kollegas noch neu und brauchen Unterstützung. Nebenbei ist heute noch Streik, an dem der Sozialarbeiter, der uns heute Nachmittag das Publikum abnehmen sollte, sicherlich teilnimmt. Aber andererseits…
im Zug angekommen |
Falls Ihr Euch erinnert: Ich hatte bereits früher schon mal einen Tag frei nehmen müssen, weil der Zug nicht gefahren war bzw. in Drütte einfach kommentarlos zurückfuhr. Würde ich Danny vielleicht doch noch persönlich zum Geburtstag gratulieren können? Der zuvor düster beginnende Tag schien mit der aufgehenden Sonne zunehmend freundlicher zu werden. In aller Ruhe las ich mein Buch zu Ende, ich war jetzt tiefenentspannt.
Ein schon gut angesoffener Fahrgast masselte gerade den Strahlenschützer voll, während eine Dreiviertelstunde ereignislos verstrich. Ich schaute noch in meiner „DB Navigator“ App hinein und musste feststellen, dass die beiden uns nachfolgenden Züge bereits gecancelt waren. Erst nach etwas Nachdenken schaltete sich bei mir die Logik ein. War ja schon so spät und wir standen immer noch am Bahnhof. Da sind wir der aktuelle Zug; der Rest muss ja ausfallen, Zeit war schon vorbei.
Als der Besoffski endlich ausgestiegen war, um den Bus zu nehmen, fuhr der Zug doch tatsächlich keine Minute später los. Schade eigentlich, denn ich hatte schon auf einen freien Tag gehofft, so dass ich zu Danny gekonnt hätte. So würde ich wenigstens meine Kollegen nicht im Stich lassen müssen.
Kurze Zeit später waren wir in Drütte angekommen, der Zug blieb urplötzlich stehen. „Meine Damen und Herren, der liegen gebliebene Zug versperrt immer noch das Gleis und wir können in Drütte nicht anhalten und die Fahrgäste aussteigen lassen. Daher fahren wir nach Braunschweig zurück.“ Die Ansage kannte ich doch! Unter den Strahlenschützern kam eine unruhige Stimmung auf. Sie fragten sich, wie sie jetzt zur Arbeit kommen sollten. Hierbei konnte ich ihnen behilflich sein, da ich die Fahrpläne gut kenne.
Zugegebenermaßen gutgelaunt telefonierte ich mit meinen Kollegas bzw. versuchte es, erreichte aber niemanden. Dafür konnte ich meiner Löwin Bescheid sagen, dass ich nun doch noch mit zu Danny fahren kann. Eine Rückfahrverbindung nach Braunschweig mit dem Zug hatte ich da bereits herausgesucht. Ich konnte doch tatsächlich beide Termine wahrnehmen. Meine Löwin zeigte sich erfreut. Ich musste nur noch am frühen Nachmittag mit dem Bus zu ihr auf die Arbeit kommen, weil sie direkt von dort aus zu Danny wollte.
In Braunschweig angekommen, ging ich als erstes zu McDonalds, um einen Kaffee zu trinken und auf der Arbeit anzurufen. Ich erreichte immer noch keinen und sprach dann mit einer Freundin von Roberta, die am Infoschalter der Verkehrs AG arbeitet. Ich erzählte ihr von meinem Unverständnis, dass der Zug nicht wenigstens so weit fuhr wie es ging, um dort die Leute aussteigen lassen zu können. Wahrscheinlich war der Vorgängerzug eh im Bahnhof Lebenstedt liegen geblieben. Die Fahrer dürften aber nur am Bahnhof halten, um Fahrgäste aussteigen zu lassen. Das hätte versicherungstechnische Gründe! - so Robertas Freundin. Das Argument leuchtete mir dann ein. Ich war beruhigt.
Im Bus nach Hause überlegte ich fieberhaft, was ich denn zum Frühstück essen wollte. Derweil erreichte ich wenigstens Detzer auf der Arbeit, nicht aber meine Kollegas. Erst als ich schon bei Rewe gewesen und von der Bushaltestelle zu Fuß nach Hause unterwegs war, rief mich eine Kollegin zurück, der ich kurz erklärte, warum ich heute nicht kommen konnte. Noch eine kurze Info über eine Kundin, die am Nachmittag noch erscheinen wollte, weil sie kein Geld erhalten hatte, dann verabschiedete ich mich in einen freien Tag.
Mit fast abgefrorenen Fingern. Meine Güte, das war ja wirklich kalt an dem Tag. Aber… Mein schlechtes Gewissen wegen Danny war verflogen. Und das wegen der Arbeit hielt sich in Grenzen, da uns jüngst dank einer Besprechung bewusst wurde, dass es nicht darum geht, den bei uns seit eineinhalb Jahren vorherrschenden Personalmangel zu beheben, sondern bei Bedarf einen Schuldigen für die Misere benennen zu können. Bedauern habe ich lediglich für meine Kollegen übrig.
Doch jetzt… was essen, später zu Danny und hinterher zum Doppelkopf. Arbeit ist Morgen.
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