Samstag, 7. Oktober 2017

Hartmudo: Sturm und Streik

Damit hatte ich vorgestern Abend nach einem sehr nervigen Tag im Büro wahrlich nicht rechnen können. Als erstes berichtete mir Detzer, noch im Büro, dass wegen des Sturms, der draußen vor sich hinsäuselte, keine Züge in ganz Norddeutschland fahren würden. Mein Plan, an diesem Donnerstag mit dem Zug zurückzufahren, weil ich nach diesem wirklich nervenden Nachmittag einem Gespräch mit den üblichen Verdächtigen aus dem Weg gehen wollte, hatte sich dank Detzers Info erledigt.
So musste ich notgedrungen doch mit dem Bus nach Braunschweig zurückfahren; der Doppelkopfabend im Come In stand an. Isolde, die als Verwalterin bei einer großen Hausverwaltung arbeitet, war überraschend nicht im Bus. Normalerweise sitzt sie bereits hinter dem Miitelgelenk des Busses, wenn ich am Rathaus einsteige. Sie hatte wohl Urlaub. Nach und nach kamen aber die anderen beiden Mädels aus meiner „Donnerstags-abends-im-Bus-Runde“ hinzu. Als da wären Kati, die aktuell auch morgens mit im Zug sitzt, sowie Sybille, die langhaarige Games of Thrones Verehrerin.
des Nachts... Stöckheim

Beide arbeiten genau wie ich im „Social Government“, jedoch im Jobcenter, wo sie die Hartzer betreuen. Und zu meiner großen Freude war meine missmutige Stimmung dank der gutgelaunten Kolleginnen schnell in eine euphorische Feierabendlaune umgesprungen. Trotz der schlechten Nachricht, die sie mir berichteten.
Wir sprachen zuerst über den Sturm und sahen auch den einen oder anderen entwurzelten Baum am Straßenrand liegen. Plötzlich fiel Sybille der Streik der Busfahrer ein, sie hatte davon am Mittwochabend auf news38.de gelesen. Am Freitag wird die Braunschweiger Verkehrs AG komplett bestreikt. Es geht wohl um die Erhöhung des Weihnachtsgeldes; weder Busse noch Straßenbahnen werden am nächsten Tag fahren.
Sybille und Kati rieten mir daher, am nächsten Tag mit dem Bus der KVG um halb sieben nach Salzgitter zu fahren. Falls die Bahn am folgenden Morgen immer noch nicht fahren sollte, wäre dies die einzige Möglichkeit, um nach Salzgitter zu gelangen. Deswegen musste ich am nächsten Morgen auf alle Fälle mit dem Rad zum Bahnhof.
Hinterher, beim Doppelkopf im Come In, sinnierte ich nicht mehr weiter darüber nach. Ich achtete ebenfalls nicht auf die Kalorien, aß zum Chili gar noch Massen von Weißbrot. Bier und Mexikana – hinein damit. Da Kroll als Gast des Abends auch noch mitspielte, schob sich das Ende dieses sehr schönen Abends noch über Mitternacht hinaus. Ich glaube nicht, dass Kroll, Angel und Ulli noch ihren Bus Richtung Heimat gekriegt haben, denn ab Mitternacht war Freitag und da fuhren bekanntlich keine Busse.
Gutgelaunt radelte ich nach Hause und stand nach erquicklichen 4 Stunden Nachtruhe auf. Keinen Schädel, wunderbar. Bei nasser Straße, aber ohne Regen, astete ich auf meinem Radel zum Bahnhof. Als ich vor dem Busterminal vorbeifuhr, fiel mir sofort auf, dass quasi keine Leute an den Haltestellen auf Bus oder Bahn warteten. Und auf einmal hatte es die Verkehrs AG hinbekommen, dass unter den zu erwartenden Wartezeiten auf die Busse und Bahnen (die zwar nicht kommen würden, aber vielleicht will ja jemand wissen, wie lange es noch dauern würde, wenn mal wieder Busse fahren…) eine Laufschrift eingeblendet wurde, wo zum ersten Mal auf den Streik hingewiesen wurde.
Am Vorabend hatte dies die Verkehrs AG natürlich nicht für nötig erachtet. Ein Scheiß Service der Firma, denn dass man zur Unterstützung des Streiks auch noch die Passagiere, vor allem die Pendler, im Ungewissen lässt, ist meiner Ansicht nach nicht zielführend. Zumindest die Geschäftsleitung sollte so schlau sein und begreifen, dass eine verfehlte Informationspolitik Fahrgäste kostet.
Aber sei es drum. Ich parkte mein Rad im Fahrradkeller und betrat die Eingangshalle des Bahnhofs. Die große Anzeigetafel vor dem Gang zu den Bahnsteigen war tot. Keine Anzeige, nada. Stattdessen war die Halle voll mit Leuten, die ungläubig auf die Tafel schauten und wohl darauf warteten, dass sie endlich etwas anzeigen möge und ihnen die Erleuchtung brächte. Das war um 5.45 Uhr, eine Zeit, an dem das Infohäuschen der Bahn natürlich noch nicht besetzt ist. Selbst bei so ungewöhnlichen Ereignissen wie dem kompletten Zusammenbruch des Bahnverkehrs aufgrund des Unwetters hält die Bahn es nicht für nötig, die Information mal ausnahmsweise eine Stunde früher zu besetzen, denn ab 5.00 Uhr geht in Braunschweig der Pendlerverkehr los.
Kopfschüttelnd zog ich mir meinen üblichen Kaffee (der seit einer Woche 5 cent mehr kostet) und begab mich Richtung Bahnsteig. Um diese Zeit müsste der Zug nach Schöppenstedt noch auf Gleis 3 stehen. Dieser kommt vorher immer aus Salzgitter Lebenstedt… Also wenn der da steht, dann funktioniert auch der Verkehr nach Salzgitter.
Relativ hinten im Gang, so zwischen Gleis 6 und 7, sah ich schon einen aufgebauten Tisch mit Thermoskannen und einige Leute mit den typischen roten Plastikumhängen. Entweder streikende Busfahrer oder doch tatsächlich Bahnpersonal vor Räumung von den mit Bäumen verschütteten Gleisen? Ich war zu schlaff, um mir das von Nahem anzuschauen.
Oben, auf dem Bahnsteig, sah ich nur, dass nichts zu sehen war. Das heißt: Nicht ein Zug stand im Bahnhof, nichtsdestotrotz waren die geplanten Abfahrtzeiten akkurat angezeigt. Toll, nicht mal die Anzeigen haben sie entsprechend geschaltet. Der Sturm Xavier (wie Naidoo, was für ein bescheuerter Name) hatte am Vortag alles lahmgelegt und die Bahn tut so, als wäre nichts passiert. Was muss passieren, bis die Bahnverwaltung einen Notfall sieht und entsprechend reagiert. Eine nordkoreanische Atombombe oder was?
Irritiert stand ich noch 2 – 3 Minuten auf der Treppe, dann zog ich mich in die Bahnhofshalle auf einen Sitzplatz zurück, um auf den Bus nach Salzgitter zu warten, der in einer knappen halben Stunde kommen würde. Jetzt hätte ich noch Zeit zu lesen, aber ich packte mein Buch noch nicht aus der Tasche.
Zwei bemützte Gestalten mit einer dunklen Weste hatten mein Interesse geweckt. Seelsorge stand hinten auf den Westen drauf. Die Bahnhofsmission! Die hatte ich ja schon seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen, wo kamen die denn auf einmal her? Glaubten die zwei tatsächlich, dass die enttäuschten Bahnkunden sich jetzt endlich missionieren lassen würden? Das wurde ja immer besser.
Der Infoschalter wurde zwischenzeitlich von den Bahnleuten zur gewohnten Zeit eröffnet. Keine Andrang, keine Schlangen vor dem Schalter. Der geübte Bahnfahrer weiß halt genau, dass die Mitarbeiter der Info für gewöhnlich noch weniger wissen als der irritierte Bahnkunde. So blieb es denn den Seelsorgern vorbehalten, durch die Menge der herumstehenden Bahnkunden zu irren und die frohe zu zu verbreiten, dass noch immer kein Zug fahren würde. Hallelujah!
Insgesamt also ein schlechtes Krisenmanagement von der Verkehrs AG wie der deutschen Bahn. An diesem Morgen konnte ich es leider wieder beobachten, dass die angeblich so hoch qualifizierten und selbstverständlich motivierten Mitarbeiter bei Störungen im Betriebsablauf völlig unfähig sind, angemessen zu reagieren.
Schräg hinter mir saßen ein paar Enddreißiger, die offenbar nach Wolfsburg zu VW mussten. „Das kann die Firma nicht verlangen, dass ich noch mit dem Taxi zur Arbeit fahre oder zu Fuß zur Gliesmaroder laufe (dort fährt der Bus nach Wolfsburg ab). Gestern Abend war ich schon eine Stunde später zu Hause, weil ich mit dem Bus fahren musste. Das bezahlt mir keiner!“ So maulte einer rum.
Was für ein Arschloch, typischer Büro-Asi im Großkonzern. Da nimmt man einen Tag frei, du Idiot und jammert nicht rum wie ein 10jähriger, der beim Diebstahl erwischt wurde. Dachte ich noch… und überlegte… na klar!
Ich griff zum Handy, rief meine Vertreterin Cleo an und nahm den Tag frei. Ich fühlte mich auch sofort besser, nachdem ich diesen Entschluss gefasst hatte. Erst gestern dieser sch… Arbeitstag, danach der lange Doppelkopfabend. Und gerade eben war ich nach dem kurzen Schlaf etwas ermattet. Oder sollte es an den Mexikana gelegen haben? Ich radelte also flugs nach Hause und ergriff die seltene Gelegenheit, meiner Löwin für ihren beginnenden Arbeitstag noch alles Gute zu wünschen, da sie gerade die Wohnung verließ.

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