Der politische Hintergrund wird nur kurz skizziert und bildet lediglich die Bühne für das Geschehen. In dem Roman tauchen verschiedene Hauptpersonen nebeneinander auf, deren Lebenslinien sich im Verlauf der Story mal kurz, mal lang miteinander kreuzen. Diese Protagonisten leben übrigens alle in dem japanisch besetzten Teil an der Westküste oder in den Pufferstaaten.
Oder tauchen unvermittelt dort auf wie Rudolf Wegener, ein Agent der deutschen Abwehr. Wegener trifft sich, als schwedischer Geschäftsmann getarnt, mit dem Leiter der japanischen Handelskommission von San Francisco, Mr. Tagomi. Er möchte einen weiteren Weltkrieg verhindern, indem er Mr. Yatabe (Chef des japanischen Generalstabs) vor den Nazis warnen will. Diese wollen nämlich einen Zwischenfall a la „Gleiwitz“ inszenieren und Japan mit einem atomaren Schlag ausschalten. Wegener entgeht der Verhaftung des deutschen Sicherheitsdienstes nur, weil Mr. Tagomi die 2 Agenten erschießt. Das Schicksal von Wegener bleibt aber letztendlich offen, weil er nach Deutschland zurückkehrt, wo er von der Waffen SS empfangen wird.
Frank Frink wurde von seiner Firma, die Fälschungen von ehemaligen amerikanischen Alltagsgegenständen herstellt, entlassen. Mit seinem ehemaligen Vorarbeiter Ed McCarthy fertigt er daraufhin diese bei den japanischen Besatzern als Antiquitäten außerordentlich beliebten Sammlerstücke an und verkauft diese (Edfrank Schmuckstücke) auf Kommission über den Antiquitätenladen von Robert Childan. Frinks früherer Arbeitgeber denunziert ihn schließlich als Juden. Frink wird verhaftet und soll an die Deutschen über Mr. Tagomi ausgeliefert werden. Tagomi verhindert dies jedoch, weil er sich wegen Wegener über den deutschen Sicherheitsdienst ärgert. Frink kommt frei und weiß nicht mal warum.
Robert Childan hat sich als Antiquitätenhändler einen guten Ruf bei den Japanern erarbeitet und glaubt anfangs tatsächlich, das seine gesammelten Alltagsgegenstände Originale sind, dabei ist der Großteil gefälscht. Childan ist ein chronischer Opportunist; er biedert sich einem jungen japanischen Ehepaar (Betty und Paul) an, dabei schwankt er permanent zwischen Bewunderung und Abscheu der japanischen Kultur, außerdem ist er gleichzeitig Bewunderer der deutschen Herrenkultur und Rassist. Erst als Paul ein Schmuckstück, das Childan Betty geschenkt hatte, per Massenanfertigung als billige Glücksbringer über Childan in den Handel bringen will, entdeckt dieser auf einmal seinen amerikanischen Nationalstolz und ringt Paul eine Entschuldigung hierfür ab.
Mr. Tagomi ist zerrissen, er schwärmt sowohl für die amerikanische Kultur wie auch für die fernöstliche, buddhistische Tradition. Schließlich eröffnet ihm ein Schmuckstück aus der „Edfrank Kollektion“ in der berühmten Schlussszene den Zugang zu einer anderen, vermeintlich unseren Realität.
Juliana Frink ist die Exfrau von Frink und lebt als Judolehrerin in Colorado, also einem Pufferstaat. Sie hat eine Affäre mit dem italienischen Trucker Joe Cindella, der in Wirklichkeit Schweizer und deutscher Spion ist. Cindella zeigt ihr das verbotene Buch „Schwer liegt die Heuschrecke“ von Hawthorne Abendsen. In jenem Buch wird ein anderer Geschichtsablauf geschildert, in dem die Achsenmächte den 2. Weltkrieg verloren haben. Cindella und Juliana wollen Abendsen besuchen, der angeblich in einer Art Festung auf einem Berg leben soll. In Denver entdeckt Juliana die wahre Identität des Schweizer Killers Cindella und tötet ihn. Am Ende findet sie Abendsen, der in einem stinknormalen Haus vollkommen unauffällig wohnt. Abendsen erklärt Juliana, das er das Buch unter Einfluss des I Ging geschrieben habe.
Die Niederlage der Achsenmächte sei die innere Wahrheit des Buches, so die Auskunft des I Ging, als Juliana das Orakel zum Buch befragt. Dieses Resümee steht als Abschluss des preisgekrönten Romans von Dick und bietet Interpretationen logischerweise reichlich Nahrung.
Mir fiel noch auf, das das Heuschreckenbuch im Original „The Grashopper lies heavy“ heißt, was wegen der Doppeldeutigkeit von „lügen“ und „liegen“ nochmal zusätzlich an Reiz gewinnt. Im Deutschen geht dies dummerweise verloren. Auch wurde bei allen positiven Berichten über Dicks Roman häufig außer Acht gelassen, das sich die geschilderte Welt des Heuschreckenbuches von unserer Realität noch einmal unterscheidet. So konnte die sowjetische Armee Stalingrad nur dank des Eingreifens britischer Truppen halten. Das Hitler und Goebbels von den Engländern lebend gefasst und in Nürnberg abgeurteilt wurden, ist nicht so wesentlich wie der beginnende kalte Krieg zwischen den stark bleibenden Briten unter Churchill, der jahrelang Premierminister bleibt, und den schwächelnden Amis. Die Sowjetunion spielt in einer Welt unter britischer Führung keine Rolle.
Ich interpretiere (für mich) „das Orakel vom Berge“ als einen Roman über menschliche Stärken und Schwächen an sich. Denn selbst unter der Horrorvision eines totalitären Polizeistaates gehen die Menschen weiterhin ihrem Leben nach, weil sie es eben müssen.Liebe, Glück oder Leid scheren sich eben nicht um politische Systeme oder Ideologien. Diese Erkenntnis ist elementar, denn ein noch so gutes politisches System allein macht die Menschen nicht glücklich. So habe ich schon seit geraumer Zeit den Eindruck gewonnen, das je wichtiger Herrn X eine “gerechte“ Welt ist, desto weniger liegen ihm die Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen am Herzen. Auch werden die Japaner, anders übrigens als in der Serie von Ridley Scott, durchaus menschlich und positiv gezeichnet. Richtig böse sind hier lediglich die deutschen Nazis, und die sind weit weg im Osten Amerikas, wo die Handlung gar nicht stattfindet.
Die dem Roman innewohnende fehlende Glitzerwelt der 60er Jahre wird dann auch nicht wirklich vermisst, denn alle Personen fühlen sich in ihrer Welt auch ohne den „american Way of Life“ wohl, selbst unter japanischer Herrschaft. Und als Mr. Tagomi dank des Schmuckstücks auf einmal in unserer Realität neben einem stark befahrenen Interstate Highway steht und vor lauter Lärm und Gestank wieder in seine Realität zurück will, da macht Dick seine Kapitalismuskritik deutlich. Deshalb ist „das Orakel vom Berge“ für mich auch ein höchst politisches Buch, anders als es die Rezensionen vieler Science Fiction Fans vermuten lassen.
Ridley Scott hat von Dicks Roman nur noch grob die Handlungsstränge übrig gelassen. Mit Obergruppenführer Smith fügt er einen Charakter hinzu, der im Roman gar nicht erwähnt wird und verlegt einen wesentlichen Teil der Handlung in das „Greater Nazi Reich“ an der Ostküste. Da die Japaner in der Serie auch wesentlich brutaler und rücksichtsloser agieren, gerät der von mir vermutete politische Hintergedanke von Dick vollkommen in den Hintergrund. Einerseits finde ich das schade, andererseits halte ich diese Alternativwelt für realistischer als die Schilderung von Dick, da sich die Japaner im 2. Weltkrieg auch nicht besser aufgeführt hatten als die Nazis und dies sicherlich nicht abgelegt hätten, wenn sie den 2. Weltkrieg mit den Deutschen zusammen gewonnen hätten.
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