Ende Januar hatte ich „The Man in the High Castle“ durch. Diese Serie auf Amazon Prime hatte schon vor der Ausstrahlung für Aufsehen gesorgt. Dank einer geschickten Werbekampagne bekamen sie das gewünschte Medienecho.
So grüßte die Freiheitsstatue mit Hitlergruß von den Plakaten; in New York wurden die Sitze einer U Bahn mit den fiktiven Wappen der beiden Großmächte der Serie, Japan und „the greater Nazireich“, versehen. Das löste im Netz einen Sturm der Entrüstung aus, so das der Gouverneur von New York eingriff und die U Bahn aus dem Verkehr zog.
Es ist erstaunlich, das selbst 53 Jahre nach Erscheinen des Romans die amerikanische Seele derart verstört ist, das sie sich nicht mit der Fiktion auseinandersetzen will, den 2. Weltkrieg verloren zu haben und in einem Überwachungsstaat leben zu müssen, wie es das deutsche Reich unter den Nazis oder aber auch mit Abstrichen die DDR gewesen waren.
Aber vielleicht hilft der Erfolg der Serie bei Netflix, dass Bernie Sanders doch eine Chance hat, amerikanischer Präsident zu werden, weil immer mehr Amis inzwischen dämmert, das sie genau in dieser Art von Überwachungsstaat leben, der in „The Man in the High Castle“ beschrieben wird. Doch zuerst zurück zu 1962.
Nach einer längeren Schreibpause veröffentlichte Dick „The Man in the High Castle“, dtsch. „Das Orakel vom Berge“ 1962. Dieser Roman gewinnt den begehrten „Hugo Gernsback Award“, obwohl hier die klassischen Science Fiction Elemente wie Aliens, Raumschiffe oder auch neue technische Erfindungen fehlen. Dick schildert hier lediglich eine Parallelwelt im selben Jahr, also 1962. Und eben dies ist für die damals fortschrittsgläubigen und konsumfreudigen Amerikaner ein Schlag ins Gesicht. Für den normalerweise gebildeten Science Fiction Leser, der eher kritisches Denken gewohnt ist, war allein die Idee so verlockend, das dieser Roman Kultstatus erreichte, auch über die Klientel der Nerds hinaus.
Folgendes Szenario liegt an: Die Achsenmächte haben 1947 den 2. Weltkrieg gewonnen, der Unterschied zu unserer Realität setzt bei Dick mit der Ermordung von Franklin D. Roosevelt 1933 ein. Die USA werden von den Siegermächten kontrolliert. Westlich der Rocky Mountains herrschen die Japaner, während die deutschen östlich der Rockies die Herrschaft ausüben. Der restliche Bereich ist neutral und bildet die „Rocky Mountain Staaten“.
Es ist kein Roman über einen glorreichen Widerstand und die Befreiung von „Gods own Country“, sondern lediglich die äußerst ernüchternde Schilderung des Schicksals verschiedener Einzelpersonen, die lediglich miteinander gemein haben, das sie das „“I Ging“ für ihr Leben zu Rate ziehen. Genial schildert uns Dick diese Alternativwelt in einer entwaffnenden Normalität; Es gibt weder Pläne noch Hoffnung, das faschistische System zu stürzen. Die Japaner werden sogar noch sehr menschlich und eher positiv gezeichnet, ja man könnte sich sogar die Frage stellen, ob das Leben im San Francisco des Romans ohne den Turbokapitalismus und der allgegenwärtigen wie bunten Werbewelt unserer Realität sogar schöner wäre.
All das und mehr bietet uns Dick mit diesem Werk, bloß keine stringente Handlung. Das könnte auch daran liegen, das er den Roman selber unter Einfluss des I Ging geschrieben hat. Ich sage es noch einmal anders: Dieser Roman war 1962 deshalb subversiv, weil er es eben nicht ist. Diese Normalität des Lebens unter den Nazis mit all den schlechten, aber auch guten Menschen, war und ist bis heute vor allem für Amerikaner nicht begreifbar, weil sie die Zeit der Naziherrschaft (wie auch die DDR, das sollte man nicht außer Acht lassen) nur als Terror gegen die Bevölkerung verinnerlicht haben.
Im Prinzip zeigt Dick mit dem Roman auf, das das Leben auch in Unrechtssystemen weitergeht. Und damit indirekt auch, das ja auch in unserer, realen Welt nicht alles Gold ist, was glänzt. Diese eher unterschwellige Botschaft ist gerade in der heutigen Zeit, über 50 Jahre später, wichtig, da der bisher beliebte Turbokapitalismus mehr und mehr an seine Grenzen stößt, weil auch dieses System Menschen unterdrückt, wenn es sich bedroht fühlt. Nicht das Du jetzt glaubst, Dick (oder ich) wollte die Naziherrschaft verharmlosen. Dazu werden im Roman zu viel schmutzige Dinge geschildert, wie wir sie von Nazis auch erwarten. Nein, es geht nur darum, das die Menschen trotz des Terrors der Staatsmacht ihr Leben leben (müssen), ob sie daran verzweifeln oder nicht. Da denkt man eben nicht primär an die Bildung einer Widerstandsbewegung, wie wir uns das in unserem jugendlichen Leichtsinn früher immer so ausgemalt hatten, wenn wir über die Nazizeit und die Rolle unserer Eltern in diesem System nachdachten.
Es gibt Unterschiede zwischen dem Roman und der 50 Jahre später von Ridley Scott (wer sonst außer dem Regisseur von Blade Runner hätte es machen können?) gedrehten Story. Das hat durchaus auch Vorteile, aber zuerst zum Roman.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen