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Und es kam, wie es kommen musste: Alf, der zwischenzeitlich immer ruhiger geworden war, wurde wieder munter und begab sich zum ersten Tisch in seiner Nähe. Er setzte sich auf einen freien Stuhl und fing sofort an, die dort sitzenden 15 – 16jährigen Mädchen anzulabern und lächelte dabei sein strahlendes Lächeln.
Ja, ich weiß, wie sich das anhört. Als ich das eben niederschrieb, musste ich auch sofort an dieses böse Wort Kinderfxxx denken. Damals hatte das keiner von uns so gesehen, auch nicht der Alt68er. Dazu war Alf einfach zu freundlich gewesen, das hätte ihm keiner, der ihn kannte, zugetraut.
Ich denke, dass er wahrscheinlich eine Neigung in dieser Richtung gehabt haben mag, aber diese nie ausgelebt hatte. Und ich sehe zwar auch ab und an „Criminal Minds“, aber trotz allem sehe ich Alf nicht als zukünftigen Vergewaltiger oder gar Serienmörder. Seit Alfs Tod ist dies eh obsolet.
Notgedrungen setzte sich der Lehrer an einen der Tische und schaute sich Alfs Gebaren resigniert an. Er schilderte mir noch kurz, dass Alf seine Schülerinnen früher schon einmal zugelabert hatte. Es blieb da aber nur beim Reden, ansonsten wäre er – und sicherlich auch der Wirt – eingeschritten.
Kurze Zeit später erlösten wir den Wirt und den Lehrer von Alf und schliffen ihn zu meinem Panda, auf das ich ihn nach Hause bringe. Zu viert rauschten wir also ab und fuhren nach nicht einmal einem Kilometer in seine Straße ein. Kaum waren wir dorthin abgebogen, meldete sich Alf zu Wort:
„Kommt doch noch mit hoch, Jungs. Meine Frau möchte Euch kennenlernen! Ach bitte, kommt doch mit“
Wenn wir eins wussten, dann dies: Alfs Frau wäre alles andere als begeistert gewesen, wenn der stark lallende Alf auch noch seine Saufkumpane mit in die Wohnung gebracht hätte. Hinzu kam, dass die auf Alf einstürmende frische Luft ihm die Beine wegriss, als er aus dem stark geheizten Panda ausgestiegen war.
Nicht zum ersten Mal brauchte Alf jemanden, der ihn stützte. An diesem Abend waren sogar zwei starke Arme erforderlich, um ihn zur Eingangstür zu wuchten. Alf wohnte im zweiten Stock. Also klingelten wir an seiner Bimmel und lehnten ihn wie einen Baumstamm gegen die Eingangstür. Und schnell wie der Wind zogen wir uns zum Auto zurück; man könnte sogar fast behaupten, dass wir gelaufen waren.
Wer aber wirklich lief, war Alf. Und zwar in dem Moment, als wir im Panda saßen und der Motor lief. Laut „Kommt zurück! Meine Frau will Euch noch kennenlernen“ rufend kam der geölte Kugelblitz auf uns zu.
Ich fackelte nicht lang und legte schnell den Rückwärtsgang ein, dann fuhr ich los. Nach vielleicht 50 Metern – Alf lief uns immer noch hinterher – bekam der Alt68er Mitleid. „Das können wir doch nicht machen, Jungs. Wir müssen ihn zu seiner Frau in die Wohnung schaffen.“
Mike und ich schauten uns nur an, dann stoppte ich den Wagen. „Dann mach Du doch“, sagte ich belustigt. „Wir kennen das schon.“ Der Alt68er stieg aus, ging Alf entgegen und schob seine Schulter unter Alfs Arm. Ich wendete meine Karre und fuhr Mike nach Hause. Umgeschaut hatten wir uns nicht mehr, denn wie gesagt: Wir kannten Alf.
Deshalb wussten wir ganz genau, dass seine Frau in Anwesenheit seiner Kumpels zwar nicht meckern würde, aber ihre Gesichtszüge in dem Moment entgleiten würden, in dem grad niemand hinschaut. Diesen Kampf müsste Alf allein ausfechten, unsere Anwesenheit hätte es für ihn nur noch schlimmer gemacht.
Am nächsten Tag waren wir wieder auf der Arbeit und putzmunter – bis auf den Alt68er. Alf kam gar nicht mehr aus dem Lachen heraus, als er Mike und mir den weiteren Hergang des vergangenen Abends schilderte.
Der Alt68er hatte Alf doch tatsächlich noch in den zweiten Stock gewuchtet und begrüßte dann erstmal Alfs Frau, die sich sicherlich freute, ihn kennenzulernen. Der Alt68er fing mit einem genuschelten wie gelallten „Hello, my Dear“ an und wechselte die Sprache gar nicht mehr. Will sagen: Während seines gesamten Aufenthaltes in Alfs Wohnung sprach er dessen Frau auf Englisch an.
Als Krönung telefonierte er noch eine geschlagene halbe Stunde mit seiner Frau – ebenfalls auf Englisch. Sie sollte ihn abholen. Leider wusste er nicht, wo er sich gerade befand, so dass Alf hier noch Unterstützung geben musste. Das Gesicht von Alfs Frau hätte ich während dieser halben Stunde gern gesehen gehabt.
Nicht gerade überraschend lehnte es die Frau des Alt68ers ab, ihren stark alkoholisierten Gatten abzuholen. Er musste wohl oder übel mit der Taxe nach Hause. Da er es am nächsten Tag nicht ins Büro geschafft hatte, ist davon auszugehen, dass er wohl noch einen kleinen Schlenker über eine von ihm sehr geliebte Gartenkantine nahm.
Es ist wirklich erstaunlich, dass ich in den bald 10 Jahren (der Alt68er starb leider Anfang des Jahrtausends auf tragische Weise) nicht mehr gemeinsame Events mit beiden zusammen erleben durfte.
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