Freitag, 23. Juni 2017

Hartmudo Spezial: Mutter

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Zum nächsten Wochenende hin hatten wir unsere kleine Flusskreuzfahrt von Berlin nach Braunschweig, die ja am 9. September überraschend vorzeitig zu Ende ging, weil ein Generator des Schiffes den Geist aufgegeben hatte. Die Nacht von Freitag auf Samstag konnte ich so in meinem eigenen Bett verbringen. Abends war dann Pockes Geburtstag angesagt. Ein Termin, nach dem ich noch nie nüchtern nach Haus gekommen war.
Gerade wollte ich mit dem Rad zu Pocke durchstarten; auf diese halbstündige Fahradfahrt und die Rücktour in der Nacht freute ich mich jedes Jahr. Meine Löwin würde etwas später mit dem Auto nachkommen und selbstverständlich früher als ich nach Hause fahren, weil sie am nächsten Tag auf dem Herbstmarkt beschäftigt sein würde.
Unerwartet klingelte das Telefon, als ich die Türklinke schon in der Hand hatte. Berta war am anderen Ende der Leitung. Mutter war noch in der vorherigen Nacht mit Verdacht auf einen Schlaganfall in die Salzdahlumer Klinik gebracht worden. Sie lag wohl in der Neurologie. Die arme Berta hatte in der Nacht vorher diesen Stress aushalten müssen und wollte mich nicht stören. Dabei hatte sie selbst ja auch gerade die abgebrochene Flusskreuzfahrt hinter sich.
Zum Glück war Mutter nur vorsorglich in die Salzdahlumer gebracht worden. Berta konnte mich da sofort beruhigen, eine Gefahr für Mutters Leben bestand zu keiner Zeit. Es handelte sich wohl höchstens um einen leichten Schlaganfall, wenn überhaupt. Doch ein wenig mulmig war mir trotzdem zumute.
So radelte ich dann mit gemischten Gefühlen los Richtung Stöckheim. Die ganze Fahrt über grübelte ich über Mutters Gesundheitszustand herum. Die Sache mit ihrer Vergesslichkeit bezüglich Rummicub bei meinem letzten Besuch ging mir nicht aus dem Kopf. Machte da ein Umzug nach Stöckheim überhaupt noch Sinn, wenn sie sowieso vieles nicht mehr mitkriegt oder sich einfach nur in ihrem Zimmer verkriecht?
Das Mutter sterben würde, kam mir gar nicht mal großartig in den Sinn. Ich denke, das wir Menschen solche Gedanken eher verdrängen. Mir kam es nicht in den Sinn, anstatt zu Pockes Geburtstag ins Krankenhaus zu fahren. Ich hatte in den vergangenen Wochen schon so viele Nachmittage im Heim oder auch Krankenhaus bei Mutter verbracht, da wollte ich den Geburtstag meines wohl besten Freundes nicht auch noch ausfallen lassen.
Zudem wollte Berta am Sonntag hinfahren, Sunny war wohl am Samstag da gewesen. Ich würde am Sonntag wieder mal Wahlhelfer bei der Briefwahl in der Alten Waage spielen müssen, da sollte es ausreichen, wenn ich Mutter am Montag in der Salzdahlumer besuche. So würde jeden Tag einer von uns 3 Geschwistern da sein. Das musste reichen.
Die abendliche Party bei Pocke war wieder mal Klasse und auch meine Löwin hatte ihren Spaß. Das war genau die Ablenkung, die wir bei dem ganzen Gewusel mit Mutter brauchten. Erst die gekürzte, aber schöne Flusskreuzfahrt - dann dieser Abend. Meine Löwin brach erwartungsgemäß etwas früher auf als ich. Und ich hatte dem Schnaps nicht übermäßig zugesprochen; das war wichtig, weil ich spät nachts noch das Fahrrad nach Hause bewegen musste.
Zu der Briefwahl am nächsten Tag fällt mir nur noch ein, das die ganze Chose bis 22.30 Uhr dauerte, weil wir überraschend viele Stimmzettel zum Auszählen bekommen hatten (die Wahlbeteiligung bei dieser Kommunalwahl war höher als sonst). Hinterher war ich ausgelaugt und müde, da ich am nächsten Tag wieder arbeiten musste. Ein schnelles Essen bei McDonalds beschloss mein ausgefülltes, längeres Wochenende.
Frohgemut und abgekämpft machte ich mich am nächsten Tag nach der Arbeit auf den Weg in die Salzdahlumer Klinik. An diesem Tag, wie auch schon vorher öfters und danach ständig, fuhr ich mit Phils' Auto zur Arbeit und anschließend in die Klinik. Ja, immer seltener fuhr ich morgens mit dem Rad zum Bahnhof. Mehr und mehr stieg ich komplett aufs Auto um, selbst den Besuch in der Mukkibude streckte ich von zweimal pro Woche auf „alle zwei Wochen". Mein altes Leben geriet daher etwas aus den Fugen.
Ich war schon wieder ziemlich geplättet, als ich in der Klinik ankam. Nicht nur, weil es Anfang September immer noch sehr heiß war, sondern weil ich am Vorabend nach der elend langen Auszählung der Stimmen zu Hause noch in meiner Musikbox geblättert hatte. Das war wie immer mit dem einen oder anderen Bierchen verbunden.
Müde schlich ich mich nicht durch die Gänge des Krankenhauses, sondern außen am kompletten Gebäudekomplex vorbei. Die Neurologie 1b liegt ganz weit hinten, gefühlt einen ganzen Kilometer weit weg. Greller Sonnenschein und Schatten wechselten sich ab, ein Stützbier hätte ich gut vertragen können. Nein, das ging natürlich nicht. Einfach nur Ruhe und kalte Limo aus dem Kühlschrank; das brauchte ich eigentlich.
Die richtige Station und damit Mutters Zimmer fand ich relativ schnell. Allein... Wo war Mutter? Weder auf dem Flur noch im Aufenthaltsraum, schon gar nicht auf der Terrasse war sie zu entdecken. Eine Schwester wusste Bescheid. Mutter war im Moment noch nicht mal in der Klinik, weil sie zum CT in die Celler Str. gefahren worden war.
Mutter war wohl in der Nacht aufgestanden und ist dann irgendwie hingefallen. Weder ihre Bettnachbarin noch irgendeine Schwester hatte dies mitbekommen. Irgendwann wurde sie dann blutend auf dem Boden gefunden und von der Nachtschwester verbunden. Das CT sollte klären, ob in ihrem Kopf noch alles rund läuft. Ich dachte nur: Rummicub...
Sie war schon seit 2 Stunden in der Celler Str.; niemand konnte mir sagen, wann sie wieder in der Salzdahlumer Klinik eintreffen würde. Aber die Schwester meinte, das die behandelnde Ärztin jetzt da wäre und ich sie nach Mutters Gesundheitszustand fragen könnte. Eine gute Idee, dadurch war ich nicht vergebens in die Salzdahlumer geeilt.
Denn eines dürfte klar sein: Auf Mutters Rückkehr würde ich nicht warten wollen, lieber wäre mir stattdessen ein erneuter Besuch am Dienstag gewesen. Die Ärztin zeigte sich erfreulicherweise von ihrer kooperativen Seite und bat mich in ihr Zimmer. Ich war baff erstaunt, das sie soviel Zeit für mich erübrigen konnte.
Sorgfältig berichtete ich der Ärztin wesentliche Eckpunkte zu meiner Mutter. Das sie sich in der Reuterstraße unwohl fühlte, ihre frühere Reiseleidenschaft und die Selbstständigkeit, die ihr immer wichtig war und die sie bis vor einem Vierteljahr genießen konnte. Und das es ihr nach dem Frühjahrsbesuch in Andalusien nach und nach schlechter ging, nicht wegen der Reise natürlich, aber der Krebs machte ihr zu schaffen.
An diesem Punkt schaltete sich die Ärztin ein, obwohl sie über den Krebs nichts weiter zu berichten wusste. Das hakte sie förmlich ab, ihr ging es mehr um den Schlaganfall und den allgemeinen Gesundheitszustand. Wenn es überhaupt ein Schlaganfall war, so war es ein leichter, also kein Grund zur Beunruhigung. So lautete ihr Statement.
Die schwere und teilweise nicht verständliche Aussprache von Mutter war dem Pfleger in der Reuterstraße Freitag Nacht aufgefallen und so hatte er sie in die Salzdahlumer Klinik einweisen lassen. Hinzu kam wohl eine Lähmung bzw. leichte Bewegungseinschränkung des rechten Arms. All dies sind Anzeichen eines Schlaganfalls, mir nicht unbekannt, das kannte ich schon von der Mutter meiner Löwin.
Das erklärte natürlich auch den „Umfaller" in ihrem Krankenzimmer. In der Celler wollten sie mit Hilfe eines CT`s feststellen, ob es tatsächlich ein Schlaganfall gewesen war. Der Krebs spielte für die Ärztin gar keine Rolle, da wäre sie ja in Behandlung ihres Hausarztes. Auf alle Fälle ging es Mutter schon wieder sehr gut, so dass eine Entlassung aus der Klinik in den nächsten Tagen erfolgen sollte.
Neu war für mich, das Mutter Probleme mit ihren Beinen hatte. Angeschwollen waren sie ja schon seit längerer Zeit und Mutter beklagte sich auch öfter darüber. Jetzt war wohl so viel Wasser in den Beinen, das diese ständig gewickelt werden mussten.
Ich dankte der Ärztin für die umfangreiche Zeit, die sie zugunsten meiner Information opferte und verließ die Klinik, ohne Mutter überhaupt gesehen zu haben. Den ganzen Weg schlich ich langsam zurück, zum Glück ging es mir mittlerweile etwas besser. Ich war schon auf Höhe des Haupteingangs, als an mir ein Minicar vorbeifuhr.
Das gibt es doch nicht, dachte ich noch. Ist das da etwa Hotte am Steuer? Anfang April hatten wir uns endgültig verkracht, nichtsdestotrotz hob ich die Hand zum Gruß. Tatsächlich wendete er und hielt auf der anderen Straßenseite, bei der Ausfahrt des Besucherparkplatzes, an.
Hier muss ich das „Verkrachen" kurz erklären, weil ich es bisher in meinem Blog noch nicht erwähnt hatte. Wollte ich eigentlich auch nicht, aber da Hotte ausgerechnet jetzt, in dieser Situation, wieder auftauchte, muss ich das noch kurz anreißen.
Zu meinem Geburtstag dieses Jahr hatte ich meine Freunde, so wie in den letzten Jahren üblich, per Email eingeladen, weil mich das Anrufen jedes Einzelnen in der Vergangenheit viele Abende gekostet hatte und ich davon immer schwer genervt war. Seit zwei bis drei Jahren geht es mir diesbezüglich erheblich besser, seitdem ich nicht mehr stundenlang am Telefon hänge.
Nun war es so, dass Hotte die Email irgendwie überlesen hatte oder eine komplett andere Email Adresse nutzte, wovon ich nichts wusste. Dazu hatten wir uns wohl zwischen Email und meinem Geburtstag noch einmal bei mir zu Hause getroffen und ich hatte es dabei versäumt, ihn nochmal explizit auf den Termin meiner Feier (Karfreitag) hinzuweisen.
Schließlich erfuhr er den Termin indirekt vom Kanonier, war deshalb stinksauer und kam einfach nicht. All dies warf er mir am Telefon vor, als ich ihn im April aufgrund eines „Winks" vom Kanonier anrief. Ich meinerseits war ebenfalls sauer gewesen, weil Hotte auch im Vorjahr nicht zu meinem Geburtstag erschien, weil er da wohl am Abend zuvor mit dem Ex-Gitarristen von Bob Marley versackt war.
Das Ganze gipfelte in dem Telefonat vom April darin, das ich ihm den Besuch eines Psychotherapeuten empfahl, zumal er sich an jenem Abend mal wieder über seine Mutter aufregte. Über diese ärgerte er sich schon seit über 2 Jahrzehnten und ewig hörte ich dieselben Geschichten. Und nicht zuletzt war ich sauer, weil er den Beleidigten ob der angeblich nicht erfolgten Einladung gab. „Das war es dann" waren Hottes letzte Worte, bevor er auflegte.
Meine Verärgerung über das Ende unserer Freundschaft währte seinerzeit nur kurz, irgendwie war mir sehr schnell klar, das es so besser für uns beide ist. Wegen irgendwelcher Nichtigkeiten blafften wir uns schon seit mehreren Jahren häufig an, das konnten wir uns beide ab sofort ersparen. Witzigerweise hat sich seitdem mein Bild von Hotte erheblich ins Positive verschoben, wohl weil wir uns nicht mehr sehen. Mit den Jahren haben sich unser beider Leben ganz unterschiedlich entwickelt, die verbindenden Gemeinsamkeiten waren schon seit Längerem nicht mehr vorhanden.
Nun ging ich trotzdem freudig über die Straße und unterhielt mich mit Hotte. Ich erzählte kurz von meiner Mutter, er von seiner (kurz) und eigentlich verlief das Gespräch locker und nett; die alte Wunde vom Frühjahr rissen wir vorsichtshalber nicht noch einmal auf. Wir sprachen schon so ca. 5 Minuten, als mein Smartphone klingelte, so das ich mich deswegen von Hotte verabschieden musste.
Es war Sunny, die anrief. Ich denke, über den Verlauf und das abrupte Ende unseres Gesprächs war Hotte genauso froh wie ich. Keine weiteren Schuldzuweisungen, nur die Erkenntnis, das wir uns noch in die Augen schauen können, falls wir uns bei irgendeiner Gelegenheit wieder über den Weg laufen.
Sunny erkundigte sich nach meinem Besuch bei Muttern. Sie selbst war ja am Samstag dagewesen und hatte festgestellt, das es Mutter in der Klinik besser ging als in dem Heim. Sie bekam dort das zu essen, was sie mochte und die Schwestern kümmerten sich aufopferungsvoll um sie. Im Heim war das ja nicht so.
Außerdem sprach sie das Problem mit dem Wasser in den Beinen an. Hierüber machte Sunny sich große Sorgen. Meine Löwin meinte übrigens hinterher dazu, das dies eventuell zu einer höheren Pflegestufe führen könnte. Ich wollte aber mit der Beantragung noch abwarten, schließlich sollte der medizinische Dienst der DAK eh am Donnerstag zur Begutachtung der Pflegestufe kommen.
Sunny regte an, das ich vielleicht noch einmal im Curanis anrufen sollte, um zu fragen, ob nicht doch ein Zimmer im normalen Pflegebereich frei sei. Sunny hatte die Befürchtung, das Mutter in der Reuterstraße „vor die Hunde" gehen könnte.
Da ich in diesem Punkt mit Sunny übereinstimmte, versprach ich ihr, mich darum zu kümmern. Sie selbst wollte am nächsten Tag mit Berta zusammen in die Salzdahlumer Klinik fahren, so dass ich spontan beschloss, am nächsten Tag doch nicht dorthin zu fahren. Ich würde mich wieder auf die Reuterstraße, sprich Dienstag in der nächsten Woche, konzentrieren. So konnte ich andere wichtige Dinge in Angriff nehmen.

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