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Wie Detzer mir eine Woche später berichtete, verstarb Onkel Hotte am 1. Oktober 2015. Ein historisches Datum. 1876 erscheint zum ersten Mal der „Vorwärts“, herausgegeben von Karl Liebknecht und Wilhelm Hasenclever. 331 vor Christus besiegt Alexander Dareios III und zerschlägt damit das Perserreich. 1946 endet der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. 1999 beginnt der zweite Tschetschenienkrieg mit dem Einmarsch der Russen.
Das sind nur ein paar Geschehnisse der Weltgeschichte am 1. Oktober; aber wer Onkel Hotte kannte, weiß, warum ich gerade diese Beispiele herausgesucht habe. Ihr Anderen werdet es nach diesem Nachruf verstehen.
Meine Erlebnisse mit Onkel Hotte datieren aus den 90ern. Irgendwie lernte ich ihn über Wastl kennen, so Anfang bis Mitte der 90er Jahre. Wastl hatte seinerzeit eine Kneipe im Schlemmermarkt am Anfang der Fußgängerzone in Lebenstedt. Heuer gibt es den Schlemmermarkt ja leider nicht mehr, aber in den frühen 90ern waren wir sehr häufig bei Wastl im KöLuDu. Das meint „König Ludwig Dunkel“ und das schenkten sie dort auch aus.
Seitdem weiß ich übrigens, warum ich kein Schwarzbier trinke. Die Kopfschmerzen, die mich bereits nach dem vierten oder fünften großen Köludu ereilten, könnten aber auch von den Obstlern oder Schinkies herrühren, die wir immer gern dazu genommen hatten.
Mit Mike und Alf war ich des Öfteren ab Nachmittags da; Wastl natürlich auch, denn der durfte ja in seiner eigenen Kneipe nicht bedienen, da er hauptberuflich im Tiefbauamt tätig war. Und irgendwann saß dann auch Onkel Hotte mit am Tisch, man kann getrost sagen: Er war mit im Team.
Schon seinerzeit im Ruhestand, fiel er durch seine Robustheit im Umgang mit Hartsprit auf. Er wusste immer Geschichten aus seinem früheren Berufsleben zu erzählen, in dem er für MAN im Ankauf/Verkauf tätig und häufig auch auf allen Kontinenten unterwegs war. Am besten in Erinnerung ist mir diese Story – in his own words:
„Ich war ja überall in Asien für MAN unterwegs. Hör mir auf mit den Schlitzaugen! Als ich das erste Mal in Bangkok war und aus dem Flugzeug stieg, kam so ein kleines Mädchen auf mich zu. Noch auf der Rollbahn begrüßte sie mich mit: ‚Du Neckelmann, Du Ficki Ficki.‘ So sind die drauf!“
Und dazu gab es dann wie üblich seine schallende Lache. Ebenso berüchtigt war er für seinen rüden Ton, wenn er sich über irgendetwas aufregte. Meistens regte er sich über andere Leute auf, da wurde er mit zunehmendem Pegel immer lauter und aggressiver, ja er kriegte sich gar nicht mehr ein.
Legendär waren natürlich seine Pöbeleien gegenüber Anwesenden, am liebsten Wastl. „Du hast ja ne Klatsche“ war da noch die liebenswürdigste Anmache. Wir nahmen das aber nicht so ernst, anscheinend gehörte das mit zur Show von Onkel Hotte. Nach diversen Bieren und Schnäpsen war er eh breit, dass erkannte man in der Regel an seinen geschlossenen Augen. Er sprach und gestikulierte ganz normal weiter, nur waren seine Augen fest geschlossen.
Was allerdings unangenehm rüberkam, mich aber in den 90ern wenig störte, da ich mich in dem Jahrzehnt relativ wenig für Politik begeistern konnte, war seine offen zur Schau gestellte faschistoide Weltsicht. Eigentlich kam er aus dem alten ostpreußischem Landadel und wurde wohl als Kind vertrieben, um dann in Salzgitter eine Heimat zu finden.
Stolz berief er sich immer wieder auf „die alten Ideale“, die er in der heutigen Zeit so sehr vermisste. Sein zur Schau gestellter Rassismus belustigte uns eher als das es uns abstieß, denn wir konnten ihn diesbezüglich wirklich nicht ernst nehmen. Er haute ja auch sonst immer dermaßen auf den Docht und entpuppte sich wider Erwarten als freundlicher Mensch, wenn es ernst wurde.
Wie gesagt, Onkel Hotte machte sich einen Spaß aus seiner Show. Der in Wirklichkeit vereinsamte Mann, der in den einschlägigen Kneipen sein Wohnzimmer hatte, versuchte sich dadurch interessant zu machen. Ich erwähne dies hier ausdrücklich, weil ich ihn später auch anders kennengelernt hatte.
Eine latente Homosexualität wurde ihm immer gern unterstellt, zumal er nie mit einer Frau gesehen wurde. Mich jedenfalls hatte er niemals nicht angegraben; geoutet hatte er sich auch nie. Deshalb könnte er natürlich trotzdem schwul gewesen sein; Viele verbergen dies ja aus diffusen Ängsten heraus.
Seine Wohnung hatte wohl kaum jemand betreten, ich jedenfalls nicht. Soll laut Wastl auch siffig gewesen sein, aber der stichelte und pöbelte schon immer gern mit und gegen Onkel Hotte.
So bleibt mir in Erinnerung das Bild eines eher lächelnden Mannes mit derbem Humor, der seine polternden Ausbrüche gerne mit ausufernden Gesten untermauerte.
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