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Mo. 20. Juni
Wochenbeginn, die Arbeit ruft. Heute muss ich zu Muttern nach der Arbeit, um mit ihr den Vordruck für die Zuzahlungsbefreiung auszufüllen und die benötigten Unterlagen zu suchen. Gestern nach den Spielen hatte ich es wenigstens geschafft, das Geburtstagsgeschenk für meine Löwin bei Amazon zu bestellen. Die Idee dazu kam mir am Vorabend, weil sie es erwähnte. Aber sei es drum, heute rollt der Ball wieder weiter.
Nach einem nervigen Arbeitstag, Montag halt, machte ich mich um 15.00 Uhr auf dem Weg zu Mutter. Den Vordruck bzw. Antrag hatte ich nicht vergessen. Eine Stunde später stieg ich auf der Brücke am Sachsendamm aus. Mittlerweile fahren hier ja 2 Linien, die 1 nach Stöckheim und die 2 in den Heidberg.
Wehmütig musste ich an meine vergangene Jugend denken, schnüff. Vor allem 1976/77 stand ich Samstags nach 14.00 Uhr im Wartehäuschen, Veit und/oder andere aus meiner damaligen Clique trafen auch ein. Wir fuhren ins Stadion zur Eintracht. In jener Saison spielten sie um die deutsche Meisterschaft mit.
Frank Holzer und Norbert Stolzenberg hatten sie zu Saisonbeginn geholt. Vorne stürmte mit Wolfgang Frank einer der 3 besten Mittelstürmer des Landes jener Jahre. Popivoda war ebenfalls eine Bank, deshalb spielte Frank Holzer nicht immer, was ich sehr bedauerlich fand. Karl-Heinz Handschuh, Wolfgang Grzyb oder auch Pferde-Franz waren nationale Spitze, bloß für die Nationalelf reichte es nicht.
Bernie Franke darf man nicht vergessen, er hatte das Pech, dass Sepp Maier beim schönen Helmut gesetzt war. Schade am Ende der Saison war nur, das Willi Reimann im vorletzten Heimspiel kurz vor der Pause das 1:0 für den HSV markierte und sich die Hamburger anschließend hinten reinstellten. Ich bin auch heute noch der Auffassung, das Eintracht Meister geworden wäre, wenn dieses Tor nicht gefallen wäre.
Tabellenführer waren sie vor dem Spiel. Sie hätten in der zweiten Halbzeit das Siegtor gemacht, da bin ich felsenfest von überzeugt. Die letzten beiden Spiele gewannen sie sowieso. Sie wurden Dritter, nur 1 Punkt hinter dem Meister Gladbach. Heute ist jene gute Saison leider etwas in Vergessenheit geraten. Vollkommen zu Unrecht, wie mich finde.
Wir tranken damals übrigens (noch) kein Bier, hatten natürlich mit 16 keinen Führerschein und tranken noch nicht mal eine Cola. Wir gönnten uns lediglich eine Bratwurst von Fichtelmann. Vom Stand am Aufgang zur Südkurve neben der Gegengerade. In der Halbzeit wechselten wir immer zur Nordkurve, weil Eintracht nach der Pause zumeist auf diese Seite spielte.
Veit habe ich schon vor 30 Jahren aus den Augen verloren. Das Wartehäuschen ist auch nicht mehr da und die 1 fährt schon seit Jahren über den Schlesiendamm nach Stöckheim. Dort, wo ich als Kind auf der seinerzeit brachliegenden Fläche Sommer wie Winter gespielt hatte. An all das dachte ich, als ich am Hochhaus vorbei zu Mutter ging.
Sie freute sich, mich zu sehen, war aber wieder etwas aufgeregt. Sie hatte eine Verordnung zur Lymphdrainage ihrer Beine vom Arzt bekommen. Die Chemo lief ebenfalls gut. Aber über die Krankenkasse hatte sie sich geärgert, und das gewaltig.
Dummerweise hatte sie mit dem Callcenter der Krankenkasse gesprochen; die wissen eh immer nichts. "Und dann kam sie mir auch noch pampig" grollte Mutter Stunden später immer noch."Da habe ich einfach aufgelegt. Das hat mir gereicht."
Für Argumente war Mutter überhaupt nicht aufnahmefähig, konnte meinen Erklärungen über Sinn und Zweck der Zuzahlungsbefreiung nicht folgen und blockte alles ab. Nicht einmal der Spruch "ja wenn Du das Geld verschenken willst..." half. Sie blieb stur und ich fuhr unverrichteter Dinge nach Hause. Wenigstens hatte sie sich über das Brot und die leckeren Hefeteile, welche ich ihr mitgebracht hatte, gefreut. Meine Löwin meinte später, das sie genau dieses Verhalten auch von ihrer Mutter kennt. Die wollte auch niemanden, nicht einmal dem eigenen Kind, erzählen, wie hoch ihre Rente war.
Schwamm drüber. Um halb sieben war ich endlich zu Hause, jetzt schnell ein Schälchen Reis und dann begann auch bald die EM im Fernsehen. Aber vorher wollte ich noch die Nachrichten checken. Sieh an, die Kroaten wurden wegen der Ausschreitungen gegen Tschechien am Freitag mit einer Geldstrafe von 100.000 € belegt. Sie erhielten nicht einmal die Androhung einer Sperre, so wie die Russen.
Da sieht man wieder, wo der Hase hinläuft. Der "Russe" ist wie üblich der Buhmann, das hatten wir schon häufiger. In einem Spiel gegen Italien letztes Jahr hatten kroatische Hooligans ein Hakenkreuz in den Rasen des Stadions von Split gebrannt. Das haben die Russen bis heute nicht gebracht, insofern verstehe ich dieses milde Urteil für die Kroaten nicht. Die UEFA macht sich immer unglaubwürdiger.
Und es gab News aus dem deutschen Lager. Mehmet Scholl hatte es gewagt, Mesut Ösil Teilnahmslosigkeit vorzuwerfen. Ösil zeigte sich verschnupft und konterte, das es an ihm abpralle, wenn ein Ex-Spieler in die Schlagzeilen wolle. Für mich klingt das pomadig. Mehmet hat nämlich recht, Ösil spielt einfach schlecht. Ob er als gläubiger Moslem den Ramadan begeht oder die Nationalhymne nicht mitsingt, geht Mehmet und mir am Arsch vorbei. Zur Zeit ist er außer Form und Ende. Mach mal Power, Mesut. Leg endlich den Turbo ein.
Heute schauten meine Löwin und ich Slowakei gegen England, der Verlierer könnte als möglicher Dritter schon draußen sein. Wales gegen Russland ist zwar auch interessant, aber beide Teams schätzten wir schwächer ein. Zu Recht?
Das Schöne der Vorrunde an diesem Modus ist ja, das generell noch alle Teams am letzten Vorrundenspieltag die Chance auf ein Weiterkommen ins Achtelfinale haben, die Ukraine einmal ausgeklammert. Da fällt die Wahl des attraktiveren Spiels schwer, wie wir gestern feststellen mussten.
England gegen die Slowakei war an diesem Tag aber wohl doch die bessere Wahl. Die Engländer machten von Beginn an ordentlich Druck. Hodgson hatte Vardy und Sturridge hineingenommen. Fünf neue Leute und Wayne Rooney, Kapitän und Leader des Teams, blieb auf der Bank. Zur Überraschung der Kritiker auf der Insel waren die Engländer haushoch überlegen und schnürten die Slowaken richtig ein. Offensiv fand die Slowakei gar nicht statt. Ihr Star Hamsik vom SSC Neapel ging komplett unter.
Vor allem Vardy erarbeitete sich Chance auf Chance, bloß ein Tor gelang ihm nicht. Dafür den Walisern nach 11 Minuten, wie ich der Bildschirmanzeige entnehmen durfte. Da musste ich einfach blitzschnell umschalten. Es dauerte auf Sat 1 leider einige Zeit, bis sie das Tor noch einmal zeigten. Derweil hörte ich den Gesängen der Waliser fasziniert zu, da bekam ich doch glatt eine Gänsehaut. Sehr schön, Außenseiter Spitzenreiter.
Nach dem erneuten Umschalten sah ich wieder das Anrennen der Engländer. Der Führungstreffer war nur noch eine Frage der Zeit. Dank ihres aggressiven Forecheckings nahmen sie den Slowaken die Pille zumeist noch vor der Mittellinie ab und schnürten den Gegner ein. Dazu sangen die versoffenen Engländer auf den Rängen die Nationalhymne ab, Prinz Harry, der auch unter den Gästen weilte, vernahm dies sicherlich mit Wohlwollen.
20. Minute, 2:0 für Wales. Diesmal war die Wiederholung schneller zu sehen. Ich blieb noch ein paar Minuten bei dieser Begegnung und sah eine überaus unengagierte russische Mannschaft. Sollten diese Spieler die Grundlage des russischen Teams bei ihrer Heim WM in 2 Jahren darstellen, dann brauchen die gar nicht erst antreten. Sicher waren sie nach dem Rückstand etwas geplättet und ein Aufbäumen machte für sie keinen Sinn mehr. Aber wenigstens für die Galerie hätten die Russen kämpfen können.
Meine Löwin hatte sich schon kurz nach der Halbzeit in den Schlaf verabschiedet. Die Engländer drückten weiter, jedoch erspielten sie sich mit der Zeit immer weniger Torchancen. Als Hodgson Mitte der zweiten Halbzeit Rooney brachte, tobte das ganze Stadion. Ein Tor erzielten die Engländer trotzdem nicht mehr und hätten nach einem Patzer des Innenverteidigers fast noch selbst ein Tor hinnehmen müssen. So aber endete das Spiel nach fünf Minuten Nachspielzeit torlos und damit auch irgendwie trostlos.
Wales erzielte sogar noch das 3:0 durch Gareth Bale – wer auch sonst – und spielte anschließend das Match nur noch routiniert herunter. Sie waren gegen die völlig enttäuschende Russen sogar noch gnädig, zu Recht fahren die Russen nach dieser desolaten Vorstellung frühzeitig nach Hause. Wales dagegen ist nach diesem Sieg Erster in der Gruppe und spielt am Samstag gegen einen Gruppendritten. Gute Chance also, das wir die Waliser im Viertelfinale auch noch erleben.
Die Slowakei als Dritter muss zittern und sich vor allem gewaltig steigern, sollten sie es schaffen. Die Engländer sind durch und können noch bis nächsten Montag das Toreschießen üben.
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